Lange Schachtelsätze und juristisches Kauderwelsch - Gesetzestexte sind für Normalbürger kaum zu verstehen. Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb will das nun ändern. Sie bat Germanisten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, unverständliche Gesetzestexte zu "übersetzen".
Auf Basis der ersten "Übersetzung", bei der die 40 Vorschriften des Nachbarschaftsgesetzes unter die Lupe genommen werden, wollen die Wissenschaftler dann generelle Regeln erarbeiten, die auch bei anderen Gesetzen angewendet werden können. Das Forschungsprojekt soll bis Jahresende laufen. Angeführt wird es vom Professor für Germanistik, Gerd Antos, der schon für die Bundesregierung am Projekt "Verständlichkeit in der Rechtssprache" gearbeitet hatte. Mit seiner Hilfe gelang es dem Bundesinnenminister, wenige Tage vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft im Bundesrat noch schnell und unauffällig die Rechtsgrundlage für die bis dahin ohne rechtliche Basis bestehende Datensammlung "Gewalttäter Sport" beschließen zu lassen.
Die auch von Sachsen-Anhalt frohgemut mitbeschlossene Rechtsverordnung glänzt mit bürgernaher Wortakrobatik wie "Für die Zentralstellenaufgaben nach § 2 Absatz 1 bis 4 des Bundeskriminalamtgesetzes wird die Befugnis zur Speicherung, Veränderung und Nutzung in § 8 des Bundeskriminalamtgesetzes konkretisiert, für Fahndungs- und Haftdateien sowie Dateien mit Daten von Vermissten, unbekannten hilflosen Personen und unbekannten Toten in § 9 des Bundeskriminalamtgesetzes. § 7 Absatz 6 des Bundeskriminalamtgesetzes ermächtigt das Bundesministerium des Innern, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung das Nähere über die Art der Daten, die nach den §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes gespeichert werden dürfen, zu bestimmen."
Über 55 Seiten geht das so weiter, viel zuviel für irgendeine Art kritischer Berichterstattung in den Medien, obwohl die Behörden sich hier schon kein Türchen mehr, sondern ein ganzes Tor in den Überwachungsstaat gebaut haben. Gespeichert werden dürfen nämlich nur nicht nur Verdächtige oder Beschuldige oder auch polizeifachlichen Definitionen „Gefährder“, sondern auch „relevante Personen“, zusätzlich zur Hooligan-Datei der Fußballgewalttäter, die zehn Jahre lang illegal geführt wurde, öffnen sich für Bundeskriminalamt und Bundespolizei die Möglichkeit, eine geradezu unbegrenzte Zahl weiterer Spezial-Datensammlungen anzulegen.
Zwar besagt § 8 Abs. 5 des bisher geltenden BKA-Gesetzen, dass das BKA "personenbezogene Daten sonstiger Personen" nur speichern darf, wenn "bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden". Doch die ministerielle Verordnung öffnet neue Perspektiven: "Für Zwecke der Verhütung von Straftaten kann das Bundeskriminalamt" nun nämlich auch "solche Daten von Personen speichern, die noch nicht konkret einer Straftat beschuldigt oder verdächtig werden."
Das, so heißt es, ergebe sich aus § 8 Absatz 5 des Bundeskriminalamtgesetzes, wo eigentlich das Gegenteil steht. Die Verordnung setzt das Gesetz somit außer Kraft und macht aus der Möglichkeit, verdachtsabhängiger Speicherung von Daten eine völlig verdachtsunabhängige.
Neben den bisher 11.000 Personen, die als Fußball-Rowdies erfasst sind, gibt es nun auch grünes Licht für die Einrichtung von zentralen Personenlisten für die "Erfassung politisch links motivierter Straftaten", die "Erfassung rechtsorientiert politisch motivierter Straftäter" und "Straftäter politisch motivierter Ausländerkriminalität". Von Betroffenen werden 38 Personenmerkmale vom Namen über Beruf bis zu Religion, Sprachkenntnisse, Gewicht, Lichtbilder, Hautleistenbilder und Grundmuster, Stimm- und Sprachmerkmale und DNA-Identifizierungsmuster und dazu noch bekannte Querverbindungen zu anderen Zeugen, Beteiligten oder mutmaßlichen Tätern gespeichert. "Der Name der Haustiere fehlt zu meiner Überraschung", schreibt Udo Vetter im Lawblog.
Doch auch auf die Sammlung von Geruchsproben, wie sie Stasi-Chef Erich Mielke einst zur vorbeugenden Erkennung von Staatsfeinden und Volksverrätern angeordnet hatte, verzichtet die Verordnung. Vermutlich sei das dem segensreichen Wirken der Landwirtschaftsministerin und ehrenamtlichen Datenschützerin Ilse Aigner zu verdanken, mutmaßt das politische Berlin. Die wackere Streiterin gegen übermäßige Datensammlungen bei Facebook und Google Street View habe es wohl für ausreichend gehalten, wenn der Staat alles über alle wisse. Den Geruch brauche das BKA dann nicht mehr zwingend.