German Angst

DVD-Cover German Angst 5.5/10

Originaltitel: German Angst
DE | 2015 | 106 Min. | FSK: ab 18
Horror
Regie: Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski, Andreas Marschall
Drehbuch: Jörg Buttgereit, Goran Mimica, Andreas Marschall
Besetzung: Lola Gave, Andreas Pape, Milton Welsh u.a.
Kinostart:
DVD/Blu-Ray VÖ: 15.05.15

Links zum Film:
IMDb
Bilder © Neue Pierrot le Fou

Worum geht’s?

Ein Teenagermädchen erwacht in der Wohnung ihrer Eltern, kuschelt mit ihrem Meerschweinchen und bereitet sich auf einen blutigen Racheakt vor. Eine Neonazigang diskriminiert ein taubstummes Pärchen, als Täter und Opfer durch Zauberkraft ihre Seelen zu tauschen scheinen. Ein Fotograf erzählt seiner Freundin von seinen Abenteuern in einem ominösen Club, die ihn länger verfolgen als ihm lieb ist. Drei Geschichten über Liebe, Sex und Tod in Berlin.

Wie ist der Film?

Szenenbild German AngstIn den 20er Jahren glänzte Deutschland mit Schlüsselwerken wie „Das Cabinet des Dr. Caligari“ oder „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ als Vorreiter des phantastischen Films, bevor die zugehörigen Künstler ins Exil flüchteten. Seither hat sich wenig verändert, doch diese verlorengegangene deutsche Horrorkultur wollen die Regisseure Buttgereit („Nekromantik“), Kosakowski („Zero Killed“) und Marschall („Tears of Kali“) mit ihrem Projekt „German Angst“ zurückbringen. Der titelgebende Begriff bezeichnet typisch deutsche Bedenken im Angesicht der Veränderung; den auffälligen Drang nach Absicherung – einstimmig beobachtet von umliegenden Ländern, zurückzuführen auf historische Traumata. In diesem Ursprungssinn passt der Titel nicht, denn „German Angst“ traut sich viel, aber typisch deutsch zu sein kaum.

Deutschland = Berlin: ein engstirnig und abgedroschen wirkendes Konzept, bei dem die meisten Figuren obendrein Englisch sprechen, weil die Macher sich Festivalteilnahmen im Ausland erhoffen, wo sie mit ihren bisherigen Werken Erfolg hatten. Eine gewisse Doppelmoral, ohne die „German Angst“ sympathischer gewesen wäre. Doch bei all dem Geläster sind Jörg Buttgereit, Michal Kosakowski und Andreas Marschall trotzdem sympathische, intelligente Filmmacher mit der noblen Intention, deutsches Genrekino zu beleben. Mit Abstrichen ist ihre Anthologie des Schreckens auf alle Fälle ein interessantes Experiment.

Mit hyperrealistischen Großaufnahmen und verwischter Schärfe sorgt Buttgereit in seiner Eröffnungsepisode „Final Girl“ augenblicklich für Beklemmung. Sein detailverliebt-hässliches Abbild einer Plattenbauwohnung versprüht dichte Atmosphäre. Übertriebene Soundeffekte und eine lethargische Erzählstimme bremsen den Sog wieder, bis die Geschichte ihr Publikum nach diversen Gräueltaten verwirrt zurücklässt. Rückblickend wählt Buttgereit seine Bilder sehr bedacht und verleiht ihnen reichlich Symbolik. Zwar kommen auch Splatter-Einlagen nicht zu kurz, doch setzt „Final Girl“ vor allem auf einen großen Interpretationsspielraum. Die schlichteste und zugleich tiefsinnigste der drei Episoden, passend untermalt mit melancholischen Klavierklängen.

Zu Kosakowskis Beitrag „Make a Wish“ passt das Klavier nicht mehr ganz so gut. Der aus Polen stammende Regisseur verarbeitet seine Rassismus-Erfahrungen mit Handkamera und Jumpcuts. Er schwingt die alte Nazi-Keule, arbeitet aber immerhin auf eine allgemeinere Aussage hin. Ein Zauberamulett als Aufhänger macht es der Geschichte schwer, ernstgenommen zu werden, doch eine bittere Pointe von poetischem Ausmaß versöhnt. Nur das Verhalten diverser Charaktere erscheint zwischendurch wenig plausibel. Und während Hauptdarsteller Andreas Pape als Skinhead spielfreudig ins Schwarze trifft, betreiben zwei seiner Gangmitglieder – insbesondere die Frau – enervierendes Overacting jenseits der Toleranzgrenze. Dabei soll doch die skrupellose Diskriminierung Bauchschmerzen bereiten, nicht das Schauspiel.

Andreas Marschalls finale Episode „Alraune“ dauert mit über 40 Minuten etwa doppelt so lang wie die Vorgänger und bringt die Anthologie in ein unschönes Ungleichgewicht. Dafür sieht sie aber auch am besten aus. Hauptdarsteller Milton Welsh macht mit seiner kernigen Stimme viel her, wie auch Schauplätze und Lichtsetzung. Nur leicht albern, dass der Protagonist nicht mal dann seine Muttersprache benutzt, wenn es inhaltlich Sinn macht. Dem deutschen Vorbild zum Trotz erinnert „Alraune“ stark an David Cronenbergs sexualisierte Körper-Experimente und Kubricks „Eyes Wide Shut“. Ein stimmungsvoll und beachtlich professionell gestalteter Beitrag, der etwas aus dem Gesamtkonzept fällt.

Ja, die Macher haben etwas zu sagen, genießen hier und da aber auch den überzeichneten Splatter-Effekt um des Ekels willen, was dem Horrorfan durchaus vergönnt sei. Eher ein Glücksfall also (und natürlich die unbedingt richtige Entscheidung), dass die FSK im zweiten Anlauf doch noch eine Freigabe ab 18 erteilte, unzensiert. Schön, dass es so etwas wie „German Angst“ überhaupt gibt; eine Fortsetzung mit anderen Regisseuren würde der deutschen Filmlandschaft sicher gut tun. Dieser erste Anlauf ist ein facettenreicher Film, der wehtut, meist aus den richtigen Gründen. Irgendwo zwischen Avantgarde und B-Movie-Trash ein Genre-Hilfeschrei, der sich leider schlecht verkaufen lässt. Also eigentlich alles wie gehabt bei den Undergroundkünstlern.

Wertungen (ø 5.5) [?]

5.5 – Philipp Stroh
5.5 – Sonse

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