Gerechtigkeit!

Linkssein, Rechtssein - was heißt das schon? Die jeweiligen Seiten fließen ineinander. Progressiv, konservativ - das ist müßig! Nicht alles was progressiv ist, ist richtig, ist förderlich; nicht alles was konservativ ist, muß grundsätzlich falsch sein. Sich nach solcherlei Begriffen auszurichten, es ist wenig sinnvoll, denn es handelt sich um Abstraktionen und wird einer Art politischen Lagerkollers unterordnet. Die Frage, die die jeweiligen Positionen spaltet, sie ist viel genereller zu stellen: Es handelt sich um die Frage der Gerechtigkeit. Oder anders gefragt, wie Gerechtigkeit gesehen und gefordert wird.

Beide Seiten, rechts wie links, beide Strömungen, konservativ wie progressiv, führen das Wort Gerechtigkeit im Munde. "Die Gerechtigkeit" ist ein verbales Handwerkszeug, ein Mundwerkszeug sozusagen, jeder politischen Coleur. Selbst offenbare Ungerechtigkeit kann hiermit umgedeutet, zu einer hehren Gerechtigkeit verklausuliert werden. Meucheleien, ausgeführt in Uniform, um Ressourcenstabilität zu erhalten beispielsweise, können somit zu einem Akt der Gerechtigkeit verkommen. Der Krieg ist kein großes Unrecht mehr, er ist eine Maßnahme zur Schaffung von Gerechtigkeit.

Wie wird Gerechtigkeit begriffen? Das ist die zentrale Frage, die ich mir stelle, wenn es darum geht, mich politisch und gesellschaftlich zu verorten. Und dabei ist stets die Gerechtigkeit in zwei unterschiedliche Varianten unterteilt. Da gibt es jene, die Gerechtigkeit als exklusives Anliegen verstehen. Exklusiv meint hieran, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen vom zentralen Gerechtigkeitsgedanken, bzw. etwas konkreter formuliert: vom zentralen Aspekt der ökonomischen und kulturellen Teilhabe, ausgeschlossen sind (lat. exclusio, Ausschluss). Der größte Teil des politischen Flügels der Wirtschaft (vulgo: Bundestag oder Landtage genannt), der Parteienpolitik folglich, läßt sich hier ansiedeln. Wenige aber folgen einem inklusiven Gerechtigkeitsempfinden. Sie sprechen sich dagegen aus, dass bestimmte Gruppen, Ethnien oder Gemeinschaften ausgesperrt werden, sie wollen den Einschluss, die Einbeziehung (lat. inclusio).

Ich kann mir keinen Grund ersinnen, weshalb ich Gerechtigkeit (oder den Weg dorthin, zu einer möglichst "gerechten Gerechtigkeit") als ein exklusives Recht einer Gesellschaftsgruppe oder -schicht anerkennen soll. Menschen vom gesellschaftlichen Wohlstand fernzuhalten, das ist ungerecht. Diesen Umstand damit zu rechtfertigen, dass beispielsweise die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Menschen eine solche mangelnde Teilhabe rechtfertigte, das ist exklusiver Gerechtigkeitssinn; eine Gerechtigkeit nach Apartheidmethoden. Es gibt keine "Gerechtigkeit für Staatsbürger" oder eine für Arbeitende, eine für Rentner oder eine für Kinder. Ob es eine Gerechtigkeit für alle Menschen gibt, ob man kompromisslos an jeden denkt, wenn man etwas fordert, das ist für mich relevant. Wie Gerechtigkeit verstanden wird: das ist für mich relevant - unter Linken findet man einen inklusiven Gerechtigkeitssinn häufiger. Aber auch dort gibt es Ausreißer in die Exklusivität - und mit solchen Linken oder Progressiven, die exklusiv denken, will ich mich nicht gemein machen.

Es gibt Rechtskonservative, die diesen inklusiven Gerechtigkeitssinn kennen und zuweilen leben. Es gibt Linksprogressive, die ganz ungeniert um eine Exklusivität für alle deutschen Arbeitnehmer schwadronieren. In diesem Lande gelten Grüne als links - und genau die geben sich viel zu häufig leidenschaftlich exklusiv. Mancher Unionspolitiker ist zuweilen viel inklusiver aufgestellt. Mit parteipolitischer Betrachtung ist noch nichts ausgesagt - und damit, ob sich jemand als links oder rechts erachtet, auch nichts. Wie man Gerechtigkeit anerkennt, als generalisiertes Streben oder als kleinkarierte Glückesschmiede für eine Handvoll Menschen: das ist von Belang! Ob man danach strebt, national oder international für Gerechtigkeit einzustehen, klassenübergreifend, ohne Ausschlussverfahren: nach dem sollte man sich richten!

Es gibt keine Linken, keine Rechten, keine Konservativen, keine Progressiven: es gibt Gerechte und Scheingerechte - denn als Ungerechter gibt sich niemand zu erkennen...


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