Georg Simader - Agent im Dienste ihrer Majestät


Sehr verehrter Herr Simader, vielen Dank dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten. Sie sind Gründer der Literaturagentur Copywrite und waren zuvor lange Jahre in der Verlagsbranche tätig, unter anderem als Lektor beim Eichborn Verlag.

Literaturagenten haben ja, ganz besonders unter den Nachwuchsautoren, einen geradezu mythischen Ruf. Fast könnte man sie als Einhörner bezeichnen. Also Wesen, die man nur sehr selten beobachten kann und mit denen man als Nachwuchsautor noch seltener ins Gespräch kommt.
Woran liegt’s?Sind Sie tatsächlich so furchtbar scheu, ist es wirklich derart schwierig mit Ihnen in Kontakt zu kommen, wie das so mancher Blogpost und Kommentar in den einschlägigen Autorenforen  suggeriert?
Was glauben Sie, wie schnell wir sind, wenn wir ein gutes Manuskript in die Hände bekommen?

Nein, mal im Ernst: Wir prüfen etwa 1000 Manuskripte im Jahr, mehr als 95% sind leider so, dass sie für die großen und mittleren Verlage, mit denen wir in der Regel arbeiten, nicht in Frage kommen.
Da wir nun mal nicht jede Ablehnung kommentieren können, denn begründete Absagen sind sehr arbeitsaufwendig, mag es manchem so erscheinen, dass wir Agenten schwer greifbar sind. Was uns bisweilen traurig stimmt, sind jene Manuskripte, die wir zwar gut finden, bei denen wir aber ahnen, dass sie aus irgendwelchen Gründen schwer vermittelbar sind.
Oft sagen oder schreiben wir der Autorin / dem Autor auch: Bitte probieren Sie es selbst, bei den kleineren unabhängigen Verlagen, manchmal geben wir Tipps.
Insgesamt gilt aber, und das zeigt, dass wir nicht scheu sind: Von den etwa 40 bis 50 Autoren, die wir betreuen, vertreten wir einen Großteil seit ihrem ersten Manuskript: Die Bestsellerautoren Jan Costin Wagner, Mia Morgowski, Stephan Thome, Alina Bronsky, Rita Falk, um nur einige zu nennen, kamen mit ihrem ersten Manuskript zu uns.
Georg Simader -  Agent im Dienste ihrer Majestät
   Georg Simader - Agent im Dienste ihrer Majestät des Buches


Es hat sich seit letztem Jahr ja so einiges in der Buchwelt getan; Stichwort: E-Books. Wie sehen Sie aus Ihrer professionellen Sicht als Agent diese Entwicklung?
Bringt sie Schaden, ist sie womöglich ein Segen, doch eher Fluch – oder womöglich schlicht irgendetwas dazwischen?

Egal ob Segen oder Fluch: Dass sich das E-Book etablieren wird, ist hochwahrscheinlich. Das ist wie mit CD und mp3, beide gibt es. 

E-Books werden sich, das ist zu erwarten, in einem bestimmten Segment sehr stark entwickeln. Ich nenne diese Buchsparte "Wegleseliteratur".
Für mich ist das der einfache Krimi, das unterhaltsame Frauenbuch, die humorvolle Unterhaltung, der übersichtliche Reiseratgeber, also alles, womit man sich und seine Bibliothek nicht unbedingt füllen will.
Alle diese Bücher dürften mehr und mehr Konkurrenz durch das E-Book bekommen. Doch die handwerklich schön gemachten Bücher, mit Lesebändchem und hübschem Vorsatzpapier, mit liebevoll gestaltetem Schutzumschlag, mit Sätzen, die man immer und immer wieder lesen will, die werden bleiben. 
Für das einfache Taschenbuch wird's also schwerer. Das schon mal vorab.
An sich wäre das ja noch keine sonderlich tragische Entwicklung, doch zum Fluch könnte sich das E-Book entwickeln, wenn nur noch wenige Global player den Markt beherrschen. Schon heute hat Amazon mit seinem Kindle die Nase ganz weit vorne.
Sollten etwa die Kollegen aus Seattle (Amazon.com) in Deutschland Marktmonopolisten werden, und das ist ihr Bestreben, werden die großen Printverlage ins Schwitzen geraten, denn dann ist klar, wer die Vertragskonditionen bestimmen wird.
Schlimmer und gefährlicher aber noch: Wenn sich das E-Book bei den Mass-Market-Büchern durchsetzt, dann wird, worst case szenario, Amazon just zu diesen Autoren gehen und sagen: Was braucht ihr Autoren einen Buchhandels-Vertrieb? Was braucht ihr Werbung in den Buchhandlungen?
Hier gibt's das Internet, hier gibt's uns, hier habt ihr die Werbung. Wollt ihr 10 Prozent pro Buch verdienen und bei den konventionellen Verlagen bleiben? Oder wollt ihr 40 Prozent und mehr?
Sollte ein Domino-Effekt einsetzen und sich Autoren von Stephen King bis J. K. Rowling von den konventionellen Printverlagen verabschieden, dann haben just diese Verlage keine Möglichkeiten mehr, die "kleinen" Autoren zu finanzieren.

Amazon ist zwar ein kundenorientiertes, aber auch ein extrem profitorientiertes Unternehmen, mit für mich nicht sichtbarem Interesse an der Vermittlung oder Förderung irgendwie gearteter kultureller Werte.
Konventionelle Printverlage, sprich: alteingesessene Häuser, investieren in Talente, bieten oftmals akzeptable Vorschüsse, ermöglichen also zu schreiben, pflegen den literarischen Nachwuchs.
Nehmen wir beispielsweise zwei Häuser, stellvertretend für viele seien der Dtv und S. Fischer genannt. Beide Verlage produzieren Unterhaltung UND Hochliteratur.
Klar ist: Mit einem jungen literarischen Debütanten ist in der Regel viel weniger Geld verdient als mit einem bayerischen Regionalkrimi. Wandert der Provinzkrimiautor ab, kann der junge (hoffentlich sich irgendwann einmal durchsetzende) Literat nicht mehr finanziert werden.
Die Basis bricht weg. 
Äußerst fraglich ist, sollte es den konventionellen Verlagen an den Kragen gehen, ob sich je reine E-Book-Verlage entwickeln, die einer Mischkalkulation folgen wollen.
Self publishing, sagen jetzt bestimmt viele, könnte ja auch für die jungen Autoren die Alternative sein.

Ist sie aus vielerlei Gründen nicht immer!
Das fängt beim begleitenden Lektor an und hört bei der Umschlaggestaltung auf. Die Spreu vom Weizen zu unterscheiden, das dürfte schwerer werden, und wird erst dann wieder einfacher, wenn sich im Internet Firmen entwickeln, die für ein Höchstmaß an Qualität bürgen.
Ansätze gibt es hier zweifelsohne, ich verfolge zum Beispiel gerade mit Interesse die Aktivitäten von dotbooks. Doch wohin in diesem Segment der Hase läuft, ist noch nicht abzusehen.
Wolfgang Tischer vom literaturcafe.desieht mittelfristig die Zukunft des stationären Buchhandels in einem düsteren Licht. Sie ebenfalls?

Gefährdet sehe ich Teile des stationären Buchhandels, nämlich die so genannten Filialisten wie Thalia, Hugendubel etc.

Wenn sich die Filialisten nicht anstrengen, nicht ihr Publikum beispielsweise durch Lesungen und gute Beratung an sich binden, sich auch um die kleinen Verlage, die Independents sorgen, dann dürfte es noch schneller bergab gehen.
Denn Bestseller ohne wirkliche Beratung verkaufen und austauschbar sein, das kann das Internet auch.
Die kleine, gut geführte Stadtteilbuchhandlung hingegen, die könnte sich halten. Denn lieben wir sie nicht alle, die persönliche Beratung und die Frage:
"Lieber Herr XY, Ihnen hat doch Roman A so gut gefallen, ich hätte da was Ähnliches für Sie."
Ganz furchtbar allerdings wird's, wenn die Buchpreisbindung fällt: Die weit verbreitete Geiz-ist-geil-Mentalität der Deutschen dürfte dann auch den Kleineren den Garaus machen, denn nichts ist unseren Landsleuten lieber als das Schnäppchen.
Unter vielen Autoren, ob arriviert oder noch Anfänger, herrscht die Ansicht, dass es gefährlich sein könnte, seine Werke selbst als E-Books zu publizieren, da dies womöglich von den Verlagen als anrüchig betrachtet würde und daher einen Verlagsvertrag von vornherein ausschließt. Ist da etwas dran? Würden Sie selbst einen erfolgreichen Indie-Autor in Ihre Klientenliste aufnehmen?
Klar würden wir einen erfolgreichen Indie-Autor aufnehmen.

Warum denn nicht? Erfolg kommt ja nicht von ungefähr.
Nur nebenbei: Es gibt ja Autoren, die von sehr schönen Erfolgen sprechen, die sie durch Self-publishing erreicht haben.
Zumindest bei amazon kann man Schwindlern schnell auf die Spur kommen: www.novelrank.com eingeben - und schon kann man die Verkaufszahlen sehen.

Wo genau würden Sie denn „Erfolg“ in der schönen neuen E-Book-Welt festmachen, will heißen, gilt man Ihrer Auffassung nach bei 10.000 verkauften E-Books als Indie-Autor schon als erfolgreich?
10.000 verkaufte E-Bücher? Da kommt's darauf an, was die kosten. Doch bei 99 Cent-Autoren? Nun ja, ich weiß nicht. Ich gestehe, dass ich mich damit noch nicht wirklich damit beschäftigt habe, denn was 99 Cent kostet, das klingt für mich nach billigem Ramsch.

In der Buchbranche debattiert man seit einiger Zeit darüber, ob es  generell schädlich für den Markt sei, wenn bei den großen Plattformen wie Amazon.de die Charts immer mehr von Titeln zu 99 Cent bzw. 2,99 Euro dominiert werden. Wie stehen Sie dazu? Ist es bald an der Zeit da irgendwie eine Reißleine zu ziehen?

Mir ist das egal. 

Wenn was 99 Cent oder 2,99 € kostet, dann schau ich nicht drauf.
Ich kaufe auch kein Schweinefleisch das Kilo für 3,99 € und keinen versauten Billigwein.
Wenn Autoren oder wer auch immer jemanden mit der "Geiz ist geil"-Mentalität erreichen wollen, dann sollen sie das versuchen.
99 Cent oder 2,99 € sind in meinen Augen sehr ungeil - Qualität soll und darf etwas kosten.
Nun, die sicherlich furchtbarste Frage von allen: Herr Simader, wie muss ein Exposé beschaffen sein, das Ihre Neugier erweckt und Sie möglicherweise gar dazu animiert zum Telefon zu greifen und sich mit dem Verfasser verbinden zu lassen?

Das ist in der Tat eine sehr furchtbare Frage, denn sie ist unbeantwortbar.

Fest steht: Das Exposé alleine ist's nicht. Wenn jemand eine tolle Idee hat und nicht schreiben kann, dann denke ich mir: Tolle Idee, aber er kann nicht schreiben.
Wenn - jetzt kommt das Gegenteil - ein Exposé ein bisschen hausbacken wirkt, ich aber schon bei den ersten Sätzen vom Stil der Autorin, des Autors mitgerissen bin, dann denke ich mir: Langweiliges Exposé, aber gut geschriebener Text.
Ich kann aber immerhin sagen, wann ich sofort gähne.
Wenn mir jemand schreibt, dass er im Stil von (jetzt kommen beliebig einsetzbare Namen von Bestsellerautoren) schreibt, dann denke ich mir: Und, hat er keinen eigenen Stil, keine eigene Idee?
Und vielleicht noch etwas: Unaufgeregte Exposés sind mir lieber als aufgeregte. Es geht einfach darum, dass ich als Agent in kürzester Zeit den Kern des Textes erfassen kann.
Alle werbenden, lobenden und sich selbst anpreisenden Hinweise sind fehl am Platz.
Wobei ein bisschen Humor, ein wenig Augenzwinkern natürlich nicht schaden kann.

Lesungen werden für den Erfolg von Autoren immer wichtiger, habe ich den Eindruck.  Muss ein Autor daher immer auch ein guter Entertainer sein, um Erfolg beim Publikum zu erlangen? Geht’s nicht, ohne zumindest eine Spur vom „Rampensau -Faktor“ in sich zu haben?
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, wie sich ein Autor bei Lesungen oder auch bei Facebook etc. präsentiert.

Es ist ziemlich simpel: In den allermeisten Fällen gibt es eine Verbindung von Autor und Werk.
Autoren, die in der Welt "draußen" nicht oder nur kaum existieren, werden weniger wahrgenommen.
Nehmen Sie eine Lesung, über die ein Provinzredakteur in der Lokalzeitung berichten muss.
Geht er nur auf das Gelesene ein, kann es schnell langweilig werden.
Kann er darüber hinaus seinen Beitrag mit etwas Außergewöhnlichem aufpeppen, sei es einer Geschichte aus dem Privatleben des Autors, sei es irgendeiner netten Anekdote, die der Autor während der Lesung bringt, dann wird's leichter.
Graduelle Unterschiede gibt's da sicherlich: Im Feuilleton von FAZ, SZ oder Zeit sind derlei Dinge nicht ganz so wichtig, da geht's mehr um den Text - aber bei der Unterhaltungsliteratur, da kann die Story jenseits der Rezension wahre Wunder bewirken.
"So ein sympathischer Autor", diesen Satz habe ich schon oft gehört.
Wo sehen Sie den deutschen Buchmarkt in fünf Jahren? Werden Indie-Autoren darin wirklich eine beständige Rolle spielen, oder hat das Phänomen Indie, wie so viele andere netzbasierte Trends, bis dahin seine Halbwertzeit längst aufgebraucht?
Es wird sich, siehe oben, die Spreu vom Weizen trennen.

Ich hoffe, dass die 99-Cent-Autoren Randerscheinung bleiben und der Wert des Buches deutlich  in den Vordergrund rückt. 
Zu uns: Wir überlegen, derzeit noch sehr vage, jene Autoren, die aus irgendwelchen Gründen, für die großen Verlage nicht marktkompatibel sind, zu labeln. 
Will heißen, dass wir über eine E-Book-Edition nachdenken, in der wir jene Werke von Autoren publizieren, deren Manuskripte wir für sehr gut befinden, die aber aus irgendwelchen Gründen nicht in eine der wohlgeordneten Regale des Buchhändlers passen.
Das können genreübergreifende Werke sein. Oder Werke, die unterhalb oder oberhalb von marktüblichen Seitenzahlen liegen.
Vielleicht auch Werke von Autoren, die nach wie vor sehr gut schreiben, die aber deswegen von Verlagen abgelehnt werden, weil die gängigen Warenwirtschaftssysteme sagen: "Sorry, dieser Autor verkauft sich nicht mehr".
Im Internet nämlich gibt es keine Warenwirtschaftssysteme, so wie sie die großen Buchhändler haben.
Sollte es je zu einem eigenen Label kommen, dann wird es aber bestimmt keine Dumpingpreise geben.


Haben Sie einen heißen Marketingtipp für Indie-Autoren?
Nein, heiße Tipps habe ich keine.

Eine Sache jedoch gilt immer: Gleich ob Print- oder E-Buch, es muss sauber und hochprofessionell gearbeitet werden.
Schlampig gearbeitete Ware verkauft sich auf Dauer nicht.
Das Cover muss stimmen, Einleitungstexte müssen passen, Rechtschreibfehler soll es schon gleich gar nicht geben.
E-Book-Autoren sollten bedenken: Grafiker kosten, Lektoren kosten, Werbetexte kosten, auch Anzeigen etwa bei facebook sind nicht umsonst.
Nimmt man dann noch die Zeit dazu, die für social-media-Präsenz benötigt wird, dann wird man sehr schnell feststellen, dass von den hohen Margen weit weniger übrig bleibt, als man gemeinhin denkt.
Zu alledem kommt: Wer seinen eigenen Roman präsentieren will, der wird schnell betriebsblind.
Ich bin beispielsweise heilfroh, dass in Printverlagen Autoren ihre Werbetexte (Buchhandelsvorschauen) nicht selbst schreiben müssen, denn ein Autor ist viel zu nah am eigenen Stoff dran, kann ihn schwerlich "runterschreiben" - hin auf die Allgemeinverständlichkeit.

Welche Frage wollten Sie schon immer einmal von einem Journalisten gestellt bekommen; und weshalb gerade diese?

"Lieber Herr Simader, lesen Sie E-Books?"

Ja, ich lese E-Books, aber nicht auf dem Kindle.
Ich kaufe meine Bücher bei www.libri.de und gebe an, dass ich diese über eine Frankfurter Stadtteilbuchhandlung beziehen will.
Die sollen nämlich die Prozente abbekommen - und nicht irgendein Unternehmen ganz weit weg, zu dem ich keinen Bezug habe.

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