Immobilienwerbung für "hochherrschaftliches Wohnen" in Berlin Kreuzberg
Gentrification, das lernen die Studierenden seit Jahren in den Seminaren, geht auf das Wortspiel einer britischen Geographin zurück, die Veränderungen in einem Londoner Stadtteil mit der Rückkehr des niederen (Land-)Adels in die Städte im 18. Jahrhundert verglich. Im Kern ist und bleibt die Gentrification aber vor allem ein Aufwertungs- und Verdrängungsprozess und lässt sich nicht wirklich mit „Veradelung“ übersetzen.
Immobilienunternehmen und Investor/innen sehen das offenbar anders. Auf der procontra online (Die Fachzeitschrift für Finanzprofis) wird eine Beitrag zu Aufwertungspotentialen in deutschen Großstädten mit dem Titel „Der niedere Adel kommt“ überschrieben und in Kreuzberg wirbt ein Investor für ein „hochherrschaftliches Palais am Hofgarten“ und ein ‘Wilhelm I Penthouse’. Gemeint sind (aufwendig) sanierte Gründerzeitwohnungen, wie es sie zu Tausenden in Berlin gibt.
In der Stadtteilzeitung Kreuzberger Horn hat Jürgen Enkemann, die Geschichte des umworbenen Hauses der Marketingstrategie gegenübergestellt: Ein höfisches Palais in Kreuzberg? Während die Werbestrategie eine aristokratische Atmosphäre des Hauses suggerieren soll („hochherrschaftlich“, “ Hofgarten“) ist die tatsächliche Geschichte des Altbaus viel gewöhnlicher.
Der „Hofgarten“ bezieht sich auf den nebenliegenden Gebäudekomplex „Riehmers Hofgarten“ – einen gestalterischer Ausbruch aus der Enge der Mietskaserne im Ausgehenden 19. Jahrhundert. Und auch auf eine ‘hochherrschaftliche’ Vergangenheit des Hauses konnten nach Blick in die historischen Bauakten und Adressbücher keine Hinweise gefunden werden:
Besitzer und Erbauer des Hauses war der zuvor in der Teltower Straße (heute Obentrautstraße) wohnende Maurermeister Julius Heydemann. Er hatte bereits in den 1870er Jahren eine Baugenehmigung für Schuppen und dgl. auf dem Grundstück beantragt. Das Haus selbst wurde dann, direkt neben dem Riehmers gehörigen Grundstücken, 1882 begonnen und im Sommer 1883 fertig gestellt.
Heydemanns Beruf wird in allen zeitgenössischen Dokumenten als ‘Maurermeister’ angegeben. Wenn in dem oben zitierten Werbetext von dem angeblich “herrschaftlichen Bau des Architekten J. Heydemann“ die Rede ist, dann klingt das sicherlich vornehmer, als wenn der Entwurf einem gewöhnlichen Maurermeister zugeschrieben wird. (…)Das älteste zugängliche Berliner Adressbuch, das dieses Wohngebiet einschließt, stammt aus dem Jahre 1886, erschien also etwa zweieinhalb Jahre nach dem das hier interessierende Haus bezugsfertig war. Es kommt uns entgegen, dass damals die Berufe der Familienoberhäupter im Adressbuch mit angegeben wurden. Ebenso wurden die Eigentümer (unter dem Buchstaben E) mit Anschrift genannt. Die hier wiedergegebene Kopie daraus enthält die entsprechenden Angaben zu dem Haus Nr. 55 wie auch, weil es für Leser interessant sein mag, zu einigen Teilen von Riehmers Hofgarten.
Wir sehen also: Da gab es lauter offenbar gut situierte Familienväter: einen Bauinspektor, einen Steuerbeamten, einen Magistratsbuchhalter, einen Musiker und dgl. Aber würden wir auch nur einen davon mit ‘hochherrschaftlich’ assoziieren?
Jürgen Enkemann fragt in seinem Beitrag zu Recht, welches Kalkül wohl hinter diesen neoaristokratischen Werbebotschaften steht:
Jede Wohnung hat einen Namen bekommen. Gegen einige wird man nichts einwenden wollen – “Beethoven“ etwa oder “Fontane“, obgleich man sich sicherlich fragen kann, warum überhaupt solche anspruchsvollen Namen gegeben werden. In der überwiegenden Zahl der Namen klingt aber wieder deutlich dieser Herrschaftsaspekt mit – sie heißen etwa Metternich und Bismarck, Wilhelm I und Wilhelm II. Einfach die Berühmtheit macht es nicht. Eine Rosa-Luxemburg-Wohnung oder eine Rudi-Dutschke-Wohnung hätte man der anvisierten Kundschaft wohl kaum anbieten können.
Ich bin gespannt, ob diese Werbestrategie aufgeht und bezweifle schon mal, dass zahlungsfähige Bourgeoisie des 21. Jahrhunderts in einer Bismarck-Suite wohnen will. Aber vielleicht kommt ja doch noch der Adel nach Kreuzberg zurück…