Gentrification immer extremer…

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Gentrification: Big brother is watching you! (Bild: cc by liborius)


Gentrification hat als Begriff für die Verdrängungsprozesse in den Städten längst Eingang in die Zeitungsüberschriften und Talkshows gefunden. Das Gentrifidingsbums eignet sich als catchy Buchtitel und selbst Stadtverwaltungen und etablierte Institutionen wie das DIFU nehmen die Gentrification in die Titel ihrer Veranstaltungen und Veröffentlichungen auf. Fast schien es also, als wäre das böse G-Wort im Schatten der breiten medialen und öffentlichen Aufmerksamkeit für die Miet- und Wohnungsfragen irgendwo im Mainstream der Gesellschaft angekommen.

Aber dem ist nicht so. Ausgerechnet die Sicherheitsbehörden haben die weit verbreitete Forderung nach staatlicher Verantwortung für die Wohnungsfrage aufgegriffen: In Berlin werden Mietproteste vom Staatsschutz betreut,  in Leipzig wird die Gentrifcation zum Gegenstand der Kriminalprävention und das Familienministeriums verkauft die Ausforschung von Subkulturen und ihrer Haltung zur Gentrification als Kampf gegen den Linksextremismus.

Berliner Mietproteste und der Staatsschutzes

Im Nachgang einer Protestversammlung von 20 Frauen aus Kreuzberg, die Ende 2012 vor der Senatsverwaltung für Soziales gegen die Verdrängung durch die Auflagen der Jobcenter protestierten, wurde eine der Aktivistinnen als Verantwortliche für die nicht angemeldete Demonstration zur Polizei vorgeladen. Sie und ihre Mitstreiter staunten nicht schlecht, als sie sich in Wahrnehmung dieses Termins im Büro des Polizeilichen Staatsschutzes einfinden mussten. Auf die Frage, was denn der Protest gegen steigende Mieten, und eine versammlungsrechtliche Angelegenheit mit dem Staatsschutz zu tun hätten, wurde vom zuständigen Beamten schnell geklärt:

Es gibt bestimmte Themen, die für den Staatsschutz, Abteilung Linksextremismus, als relevant gelten. Dazu gehören Asyl & Flucht, und eben Mieten und Gentrifizierung. (siehe: annalist)

Leipziger Kriminalprävention entdeckt die Wohnungsfrage

Auch in Leipzig ist die Gentrification nicht nur eine wohnungspolitische Frage. Wie in den guten alten Zeiten wird Stadtentwicklung wieder zum Aufgebenfeld der Polizei. Oder wie sonst ist die Gründung einer Arbeitsgruppe Stadtentwicklung im Kriminalpräventiven Rat der Stadt Leipzig zu erklären. In der Aufgabenbeschreibung heisst es:

Die Arbeitsgruppe Stadtentwicklung wurde beauftragt, aktuelle Stadtentwicklungsprozesse in Connewitz zu untersuchen und Lösungsansätze für problematische Entwicklungen zu erarbeiten.

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Dass Polizeioberrat Gurke – der Arbeitsgruppenleiter – tatsächlich Lösungen für die steigende Mieten in Connewitz erarbeitet, ist nicht ernsthaft anzunehmen. Stattdessen geht es darum, den “gewalttätigen Protest gegen vornehmliche Gentrifizierungsprozesse” in den Griff zu kriegen. Allen, die jetzt glauben, irgendeinen stadtpolitischen Aufstand oder die berühmten Leipziger Anti-Eviction-Riots verpasst zu haben: Es sind im letzten Jahr einige Fensterscheiben zerschlagen und Farbeier an Neubauten geworfen worden. Grund genug jedenfalls für einen kriminalpräventiven Eingriff.

Die in der Arbeitsgruppenbeschreibung gepriesene Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen scheint ganz erfolgreich zu verlaufen. Jedenfalls berichtete mit eine Kollegin, dass Studierende in Leipzig deutlich verunsichert waren, als sich herausstellte, dass ein Seminar zur neoliberalen Stadtentwicklung und den Protesten dagegen, offensichtlich auf direkte Anfrage des Connewitzer Polizeireviers zustande gekommen war.

Der Linksextremismus und die Gentrification

Ebenfalls aus Leipzig erreichte mich der Bericht von einer “wissenschaftlichen Befragung” im Conne Island – eine der größeren subkulturellen Einrichtungen in Connewitz.

In den letzten Tagen versuchen MitarbeiterInnen des Berliner Vereins “Gegen Vergessen – für Demokratie e.V.” relativ verklausuliert wissenschaftliche Interviews (…) zu führen. Unter anderem wurden auch wir angefragt, uns im Rahmen eines Leitfadeninterviews zu “Themen und Konflikten, die in alternativen Lebenskreisen eine Rolle spielen” zu äußern. U.a. geht es um Fragen zum Thema “Gentrifizierung in Connewitz”.

Wissenschaftliche Arbeiten und Interviews zur Gentrification – soweit nichts Ungewöhnliches. Doch auch hier bestimmt der Kontext den Takt: denn die Befragungen wurden im Rahmen eines Projektes zur “Entwicklung systemisch-lösungsorientierter und online-basierter Ansätze im Themenfeld Linksextremismus” durchgeführt. Gesponsert vom Familienministerium sollen die reichhaltigen Erfahrungen im Kampf gegen Rechts nun  auch auf das “Themenfeld Linksextremismus” übertragen werden. Ein paar Fragen zur Gentrification sind da ganz sicher zielführend.

Wenn es so weitergeht, organisiert uns vielleicht der Verfassungsschutz den nächsten Mietstreik…



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