Genossenschaft sucht nach Besonderem

Von Pascalw @pwiederkehr

Zuerst veröffentlicht in «Zürich 2» vom 28. November 2019.

Das Mysterium Neubühl zieht noch immer: Das bewies die Vernissage eines neuen Buchs über die einst visionäre Genossenschaft.

Die Werkbundsiedlung Neubühl in Wollishofen galt einst wegen ihrer Architektur als visionär, und dieser Ruf hallt bis heute nach. Das hat die Vernissage zum Buch «Im Dorf vor der Stadt» von Emanuel La Roche deutlich gezeigt. Nicht nur Genossenschafterinnen und Genossenschafter wollten in alten Erinnerungen an die Siedlung am Rande der Stadt schwelgen, auch Prominente waren kürzlich im blauen Saal des Volkshauses zahlreich anzutreffen.
So etwa die Journalistin Isolde Schaad, der Schriftsteller Franz Hohler, Altstadtrat Hans Wehrli und Jazzmusiker Bruno Spoerri mit seiner Lebensgefährtin und Journalistin Dorine Abegg.
Eine isolierte Insel
Die Genossenschaft muss also nicht nur für ihre Bewohnerinnen und Bewohner etwas Besonderes sein. Immer wieder war an diesem Abend vom Neubühl-Geist die Rede, der die visionäre Überbauung durchdrang und auf dessen Spuren sich der Autor und Journalist in seiner Chronik begeben hatte. Die anwesenden Genossenschafterinnen und Genossenschafter, viele bereits ergraut, schienen sich dadurch bestätigt zu sehen.
Publizist Benedikt Loderer, der sich als Architekturkritiker schweizweit einen Namen gemacht hat, nahm den exemplarischen Gründergeist denn auch ein bisschen aufs Korn in seiner eigens verfassten Kurzgeschichte, in der er in Anlehnung an grosse literarische Vorbilder Aufnahmerituale und Wehrhaftigkeit der Stammesgemeinschaft vor Eindringlingen analysierte. Das erinnerte etwas an das gallische Dorf von Asterix und Obelix. Im Laufe der Zeit sei die Stadt immer weiter herangekrochen, sagte Loderer. Die einst abgelegene Insel war umzingelt.
Trotz aller Besonderheiten kommt es immer wieder zu banalen Alltagskonflikten. So führten die Benutzung der Waschmaschine, der Kinderlärm und geliebte oder weniger beliebte Haustiere gestern wie heute zu den gleichen Diskussionen wie in vielen anderen Orten. Und doch warteten «sehr viele Leute darauf, hier wohnen zu können», so Genossenschaftspräsidentin Rebecca Omoregie.
Ob das am Geist liegt oder an den mittlerweile tiefen Mietzinsen, musste sie offenlassen. Klar ist: In der Erinnerung lebt der Neubühl-Geist auf jeden Fall fort.

Emanuel La Roche, Im Dorf vor der Stadt. Die Baugenossenschaft Neubühl, 1929 bis 2000. Chronos Verlag 2019, 392 Seiten, 115 Abb. ISBN 978-3-0340-1543-1. 48 Fr. www.neubuehl.ch