Ich habe eine Allergie gegen selbstbezogene Formulierungen und Verhaltensweisen entwickelt.
Wenn ich z.B. auf RBB Radio1, vorgeblich dem Sender "nur für Erwachsene", Telefoninterviews mit Mittdreißigerinnen höre, die nichts zu sagen haben und dann am Ende stolz wie Heidi ihr Danke entgegen nehmen, habe ich Mühe. Wenn ich die langgezogene Interview- oder Smalltalkfloskel -meist auch von Mittdreißigerinnen- "uuuuuundja!" höre, habe ich noch mehr Mühe. Diese nervtötende Floskel wird missbraucht, wenn die Befragte weiß, dass sie gleich nichts mehr zu sagen haben wird, aber gerne noch ein Weilchen auf Sendung bleibt und deshalb nochmal eine Runde um den Platz fliegt und dafür ihr "uuuuu...." in die Länge zieht. Nur damit sie dann so abschließt, wie wir es schon 1.000 mal gehört haben, sie aber wie neu vorgibt, sie sei jetzt selbst überrascht, am Ende ihres Lateins angekommen zu sein und dann mit "....ndja!" pseudoentschlossen landet, als habe sie gerade ihr gesamtes aufregendes Leben erzählt und sich darauf einen Reim gemacht, der uns nun nichts übrig lässt, dann habe ich Mühe, an mich zu halten.
Ich finde aber auch das Gegenteil nicht gut: wenn Leute Einladungen folgen und dort dann meinen, keinen Beitrag leisten zu müssen. Sich an den Tisch setzen und schweigen (oder wie Oliver Gehrs es im Tip so schön formulierte: "Mit existentialistischem Blick ins Ungefähre schauen"). Sie konsumieren und genießen die Atmosphäre, die die anderen um sie herum produzieren. Fragen beantworten sie mit ja oder nein. Sie selbst haben keine Fragen an niemanden, weil sie sich nur für sich interessieren. Der andere ist nur und so lange von belang, wie er positiven Einfluss auf das eigene Befinden ausüben kann. Sie erkennen nicht, dass es eine Anstrengung zum Wohle aller Beteiligten ist, sich auf andere einzustellen, sie über zunächst belanglose, später vielleicht tiefere, Gespräche kennen zu lernen. Es gibt sogar Gastgeber, die sich nicht mitverantwortlich dafür fühlen, dass sich ihre Gäste kennen lernen.
Ich habe in schmerzlicher Ignoranz vor einigen Monaten den ZEIT und Tagesspiegel Kolumnisten Harald Martenstein einen Praktikanten gehalten. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Ich hatte ihn für Vertreter der wortreich nichtssagenden Generation Judith Hermans verwechselt. Vielleicht hatte ich auch nur eine ausnahmsweise schwache Kolumne von ihm gelesen. Nach einem halben Jahr ZEIT Lektüre weiß ich aber, er gehört zu den Stärken dieses Wochenmagazins.
Martenstein ist in dem Alter, in dem man über Leute, vor allem Jüngere als man selbst, nichts Konkretes mehr wissen muss, weil man sie alle schon im Groben kennt und einem das genügt, um nicht mehr wissen zu wollen. Z.B. über die blonde Anfangdreißigerin, die beim Smalltalk auf dem Fest glaubt, sie werde gerade von MTV interviewt. (Oder glaubt, sie sei selbst MTV-Moderatorin und erweise freundlicherweise ihre Gunst, sich über ihr aufregendes Leben interviewen zu lassen.) Die ihren Blondschopf mit der einwandfreien, aber auch nicht besonders originellen Frisur nach vorne beugt, als müsse sie dem Szenelärm um sie herum entkommen um mich "akustisch" zu verstehen und dabei angestrengt auf eine fiktive Kamera neben mir stiert. Und die sich dabei -anscheinend unvermeidbar- alle fünf Sekunden mit dem Zeigefinger die Strähnen aus dem Gesicht streift, von denen sie so tut als würden sie sie stören, sie in Wahrheit aber genau so geföhnt hat, dass sie spätestens alle 5 Sekunden einen authentischen Vorwand für die Verlegenheitsgeste eines phantasierten Fernsehstars hat.
Das ZEIT-Magazin bringt diese Woche das Thema "Ab 18". Muss man sich übr 18-Jährige auslassen? Ja, wenn sie einem als Generation präsentiert werden, auf die es ankommt. Auf sie kommt es nicht an. Das lese ich aus dem Satz der frischgebackenen Führerscheinbesitzerin, die bei ihrer ersten Fahrt ohne Lehrer auf die Klimaanlage verzichtet mit der tiefenpsychologischen Feststellung, sie sei "mehr so ein Fensteraufmachtyp". Man sieht an diesem Satz zweierlei: Erstens: Die ruinöse Sprachunkultur unserer Kanzlerin hinterlässt allmählich erste Wirkungen. Zweitens: Die Identifikation mit etwas Irrelavanten.
Auch satt gehört: Unpassend übertriebene und erkennbar förmlich gemeinte Danksagungen. Zum Beispiel: "Sehr gerne." So wie Sounddesigner in Sportwagenfabriken alles über die Wirkung von Motorensound auf unser Hormonsystem wissen, so wissen Kommunikationsberater heute alles über die Wirkung von Phrasen, Worte und Stimmlagen. Doch wie alles psychologische Wissen wird auch dieses ausgehöhlt und industriell verwertet, am Ende aller Wirkung beraubt, wie denaturierter Orangensaft.
Allen gemeinsam ist das ständige Scannen nach kurzen Feedbackkonsummöglichkeiten. In der U-Bahn, auf der Rolltreppe, im Bus, auf der Straße: Ihnen keinen Blick zu gönnen, verstört sie, unterbricht die Bestätigungszufuhr für das hungrige Ego, kann den Rest des Tages verderben und schlechte Laune machen.
In den viel zitierten 80er Jahren bewunderte man Männer die von sich sangen, sie seien mit 18 in Düsseldorf herumgerannt, als Sänger einer Rocknroll Band. Und von Müttern, die ihnen das immer krumm genommen hätten. Heute weiß man auf mancher Feier nicht, wer die Mutter und wer die Tochter ist. Eltern, die die Rollen umkehren und ihre Verantwortung vermutlich nie angenommen haben. Die eine "Kumpelbeziehung" zu ihren Kindern "pflegen". Die nie die Gelegenheit zur Identitätsfindung durch Protest gaben, sondern ihre eigene Identität über ihre Kinder definierten. Die Angst vor dem Alter haben, nicht weil es biologisch Spuren hinterlässt, sondern weil es endlich Verantwortung bringen könnte.
Noch schlimmer: Männer zwischen 25 und 35 mit schwachem (weil entweder gar nicht oder -frei nach Alice Miller- nur bedingt geliebten) Ego. Hängen besonders gerne Verschwörungstheorien an, weil sie alles, was in der Welt passiert, auf sich beziehen. Die Amokpläne gegen Lehrerinnen schmieden, wenn diese nicht auf deren Ödipusphantasien reagieren. Das ist kein Privileg arabisch-muslimischer Jugendlicher, das ist gängig. Das eigene Ego nicht auf die Reihe bekommen, und dies zu einer Angelegenheit der öffentlichen inneren Sicherheit zu machen.
Hinter Agression und Verschwörungstheorie steht die Angst, ausgeliefert zu sein. Agression ist die Auflehnung gegen die vermutete Infragestellung. Die intellektuelleren unter ihnen flüchten in religiösen oder politischen Extremismus. In Berlin wimmelt es z.B. von Fahrradfaschos (wie Roger Beueys sie nennt), die den Kampf mit den stärkeren Autos suchen um sich darin als Märtyrer zu suhlen. Die in ihrem gutmenschlichem Agrowahn auch noch anzuhupen kann bürgerkriegsähnliche Zustände heraufbeschwören. Ich habe noch nie solch entstellte Gesichter junger Männer gesehen, wie die von Berliner Radfahrern, männlich, Ende Zwanzig, die ich angehup habe, weil sie mir bei Rot oder von rechts auf der falschen Radwegseite in die Quere kamen. Man findet sie auch mit Videokamera auf Demos, da stellen sie sich mutig surrend vor Polizisten auf, spießig darauf lauernd, dass denen ein Formfehler unterläuft. Das wirkt so albern, wenn man es sieht, das man sich schämt.
Sich in andere hineinzuversetzen ist eine Tugend, die aussterben wird. Ich habe im Bürogebäude am Ernst-Reuter-Platz Informatiker erlebt, die auf der Suche nach Informationen quer durch den Konzern telefonierten und ihr Gespräch wie folgt begannen: "Hallo, hier ist Tobias Müller und zwar brauche ich von Ihnen..." Ich kenne IT-Verantwortliche, die es für geschäftsschädigend halten, die Anwender zu fragen, was die geplante Softwareanschaffung so alles können soll. Leider machen gerade die psychisch oder sozial Defekten ohne Empathie oft die Karriere, weil bollerig-dumpfes Durchziehen von anderen Bollerköppen als Stärke interpretiert wird. Ich kann von solchen Umgebungen nur abraten. Der ständige Umgang mit mental ungesunden Menschen, die offen oder subtil ihre Agressionen ausleben, kann einen selber krank machen. Und zwar umso mehr, je mehr man selbst über die Tugend der Reflexion und eine Ausbildung des Herzens verfügt.
Wenn ich z.B. auf RBB Radio1, vorgeblich dem Sender "nur für Erwachsene", Telefoninterviews mit Mittdreißigerinnen höre, die nichts zu sagen haben und dann am Ende stolz wie Heidi ihr Danke entgegen nehmen, habe ich Mühe. Wenn ich die langgezogene Interview- oder Smalltalkfloskel -meist auch von Mittdreißigerinnen- "uuuuuundja!" höre, habe ich noch mehr Mühe. Diese nervtötende Floskel wird missbraucht, wenn die Befragte weiß, dass sie gleich nichts mehr zu sagen haben wird, aber gerne noch ein Weilchen auf Sendung bleibt und deshalb nochmal eine Runde um den Platz fliegt und dafür ihr "uuuuu...." in die Länge zieht. Nur damit sie dann so abschließt, wie wir es schon 1.000 mal gehört haben, sie aber wie neu vorgibt, sie sei jetzt selbst überrascht, am Ende ihres Lateins angekommen zu sein und dann mit "....ndja!" pseudoentschlossen landet, als habe sie gerade ihr gesamtes aufregendes Leben erzählt und sich darauf einen Reim gemacht, der uns nun nichts übrig lässt, dann habe ich Mühe, an mich zu halten.
Ich finde aber auch das Gegenteil nicht gut: wenn Leute Einladungen folgen und dort dann meinen, keinen Beitrag leisten zu müssen. Sich an den Tisch setzen und schweigen (oder wie Oliver Gehrs es im Tip so schön formulierte: "Mit existentialistischem Blick ins Ungefähre schauen"). Sie konsumieren und genießen die Atmosphäre, die die anderen um sie herum produzieren. Fragen beantworten sie mit ja oder nein. Sie selbst haben keine Fragen an niemanden, weil sie sich nur für sich interessieren. Der andere ist nur und so lange von belang, wie er positiven Einfluss auf das eigene Befinden ausüben kann. Sie erkennen nicht, dass es eine Anstrengung zum Wohle aller Beteiligten ist, sich auf andere einzustellen, sie über zunächst belanglose, später vielleicht tiefere, Gespräche kennen zu lernen. Es gibt sogar Gastgeber, die sich nicht mitverantwortlich dafür fühlen, dass sich ihre Gäste kennen lernen.
Ich habe in schmerzlicher Ignoranz vor einigen Monaten den ZEIT und Tagesspiegel Kolumnisten Harald Martenstein einen Praktikanten gehalten. Ich möchte mich dafür entschuldigen. Ich hatte ihn für Vertreter der wortreich nichtssagenden Generation Judith Hermans verwechselt. Vielleicht hatte ich auch nur eine ausnahmsweise schwache Kolumne von ihm gelesen. Nach einem halben Jahr ZEIT Lektüre weiß ich aber, er gehört zu den Stärken dieses Wochenmagazins.
Martenstein ist in dem Alter, in dem man über Leute, vor allem Jüngere als man selbst, nichts Konkretes mehr wissen muss, weil man sie alle schon im Groben kennt und einem das genügt, um nicht mehr wissen zu wollen. Z.B. über die blonde Anfangdreißigerin, die beim Smalltalk auf dem Fest glaubt, sie werde gerade von MTV interviewt. (Oder glaubt, sie sei selbst MTV-Moderatorin und erweise freundlicherweise ihre Gunst, sich über ihr aufregendes Leben interviewen zu lassen.) Die ihren Blondschopf mit der einwandfreien, aber auch nicht besonders originellen Frisur nach vorne beugt, als müsse sie dem Szenelärm um sie herum entkommen um mich "akustisch" zu verstehen und dabei angestrengt auf eine fiktive Kamera neben mir stiert. Und die sich dabei -anscheinend unvermeidbar- alle fünf Sekunden mit dem Zeigefinger die Strähnen aus dem Gesicht streift, von denen sie so tut als würden sie sie stören, sie in Wahrheit aber genau so geföhnt hat, dass sie spätestens alle 5 Sekunden einen authentischen Vorwand für die Verlegenheitsgeste eines phantasierten Fernsehstars hat.
Das ZEIT-Magazin bringt diese Woche das Thema "Ab 18". Muss man sich übr 18-Jährige auslassen? Ja, wenn sie einem als Generation präsentiert werden, auf die es ankommt. Auf sie kommt es nicht an. Das lese ich aus dem Satz der frischgebackenen Führerscheinbesitzerin, die bei ihrer ersten Fahrt ohne Lehrer auf die Klimaanlage verzichtet mit der tiefenpsychologischen Feststellung, sie sei "mehr so ein Fensteraufmachtyp". Man sieht an diesem Satz zweierlei: Erstens: Die ruinöse Sprachunkultur unserer Kanzlerin hinterlässt allmählich erste Wirkungen. Zweitens: Die Identifikation mit etwas Irrelavanten.
Auch satt gehört: Unpassend übertriebene und erkennbar förmlich gemeinte Danksagungen. Zum Beispiel: "Sehr gerne." So wie Sounddesigner in Sportwagenfabriken alles über die Wirkung von Motorensound auf unser Hormonsystem wissen, so wissen Kommunikationsberater heute alles über die Wirkung von Phrasen, Worte und Stimmlagen. Doch wie alles psychologische Wissen wird auch dieses ausgehöhlt und industriell verwertet, am Ende aller Wirkung beraubt, wie denaturierter Orangensaft.
Allen gemeinsam ist das ständige Scannen nach kurzen Feedbackkonsummöglichkeiten. In der U-Bahn, auf der Rolltreppe, im Bus, auf der Straße: Ihnen keinen Blick zu gönnen, verstört sie, unterbricht die Bestätigungszufuhr für das hungrige Ego, kann den Rest des Tages verderben und schlechte Laune machen.
In den viel zitierten 80er Jahren bewunderte man Männer die von sich sangen, sie seien mit 18 in Düsseldorf herumgerannt, als Sänger einer Rocknroll Band. Und von Müttern, die ihnen das immer krumm genommen hätten. Heute weiß man auf mancher Feier nicht, wer die Mutter und wer die Tochter ist. Eltern, die die Rollen umkehren und ihre Verantwortung vermutlich nie angenommen haben. Die eine "Kumpelbeziehung" zu ihren Kindern "pflegen". Die nie die Gelegenheit zur Identitätsfindung durch Protest gaben, sondern ihre eigene Identität über ihre Kinder definierten. Die Angst vor dem Alter haben, nicht weil es biologisch Spuren hinterlässt, sondern weil es endlich Verantwortung bringen könnte.
Noch schlimmer: Männer zwischen 25 und 35 mit schwachem (weil entweder gar nicht oder -frei nach Alice Miller- nur bedingt geliebten) Ego. Hängen besonders gerne Verschwörungstheorien an, weil sie alles, was in der Welt passiert, auf sich beziehen. Die Amokpläne gegen Lehrerinnen schmieden, wenn diese nicht auf deren Ödipusphantasien reagieren. Das ist kein Privileg arabisch-muslimischer Jugendlicher, das ist gängig. Das eigene Ego nicht auf die Reihe bekommen, und dies zu einer Angelegenheit der öffentlichen inneren Sicherheit zu machen.
Hinter Agression und Verschwörungstheorie steht die Angst, ausgeliefert zu sein. Agression ist die Auflehnung gegen die vermutete Infragestellung. Die intellektuelleren unter ihnen flüchten in religiösen oder politischen Extremismus. In Berlin wimmelt es z.B. von Fahrradfaschos (wie Roger Beueys sie nennt), die den Kampf mit den stärkeren Autos suchen um sich darin als Märtyrer zu suhlen. Die in ihrem gutmenschlichem Agrowahn auch noch anzuhupen kann bürgerkriegsähnliche Zustände heraufbeschwören. Ich habe noch nie solch entstellte Gesichter junger Männer gesehen, wie die von Berliner Radfahrern, männlich, Ende Zwanzig, die ich angehup habe, weil sie mir bei Rot oder von rechts auf der falschen Radwegseite in die Quere kamen. Man findet sie auch mit Videokamera auf Demos, da stellen sie sich mutig surrend vor Polizisten auf, spießig darauf lauernd, dass denen ein Formfehler unterläuft. Das wirkt so albern, wenn man es sieht, das man sich schämt.
Sich in andere hineinzuversetzen ist eine Tugend, die aussterben wird. Ich habe im Bürogebäude am Ernst-Reuter-Platz Informatiker erlebt, die auf der Suche nach Informationen quer durch den Konzern telefonierten und ihr Gespräch wie folgt begannen: "Hallo, hier ist Tobias Müller und zwar brauche ich von Ihnen..." Ich kenne IT-Verantwortliche, die es für geschäftsschädigend halten, die Anwender zu fragen, was die geplante Softwareanschaffung so alles können soll. Leider machen gerade die psychisch oder sozial Defekten ohne Empathie oft die Karriere, weil bollerig-dumpfes Durchziehen von anderen Bollerköppen als Stärke interpretiert wird. Ich kann von solchen Umgebungen nur abraten. Der ständige Umgang mit mental ungesunden Menschen, die offen oder subtil ihre Agressionen ausleben, kann einen selber krank machen. Und zwar umso mehr, je mehr man selbst über die Tugend der Reflexion und eine Ausbildung des Herzens verfügt.