28.12.2011 – Der Verein „White IT“ wurde 2009 auf Initiative des niedersächsischen Innenministers Uwe Schünemann gegründet und hat sich dem Kampf gegen die Kinderpornografie verschrieben. Die Initiative will hierzu technische, politische und rechtliche Möglichkeiten kombinieren und setzt auf ein Konzept, das zunächst jeden Internetnutzer unter Verdacht stellt.
Im Mittelpunkt steht dabei ein technisches Verfahren, das im Web verdächtige Inhalte automatisiert aufspürt und entsprechende Ermittlungen einleitet. Dieses Vorgehen ist rechtlich äußerst bedenklich. In der Folge distanzieren sich jetzt erste Vereinsmitglieder von „White IT“ und warnen vor neuen Kontroll- und Überwachungsstrukturen.
White IT und der Netzfilter
Der Verein „White IT“ wurde am 27. November 2009 vom niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann gegründet, um Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet zu entwickeln. Neben der niedersächsischen Ärztekammer und vereinzelten Opferverbänden sind vor allem IT- und Sicherheitsunternehmen an dem Bündnis beteiligt. Hierzu zählen unter anderem Fujitsu, Intel, IBM, Siemens, Microsoft, AntiVir, cybits, Oracle, Symantec oder Siemens.
Auch Stephanie zu Guttenbergs Verein „Innocence in Danger“ gehört zu den Partnern von „White IT“. Neben Unstimmigkeiten bezüglich Finanzierung und Mittelverwendung stand die Initiative vor allem aufgrund der Beteiligung ihrer prominenten Präsidentin an dem umstrittenen RTL 2 Format „Tatort Internet“ in der Kritik. Der frühere Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts, Bernd Gäbler, hatte die Sendereihe als „Personality-PR“ zu Guttenbergs zwischen „Titten und Kumpelwitze der Bild, zwischen Big Brother“ sowie Geständnissen „Sexsüchtiger auf RTL 2“ kritisiert.
Konkret plant „White IT“ den Einsatz eines technischen Verfahrens, bei dem Bilddaten mit einer bestimmten Formel bearbeitet werden. So entsteht eine Prüfsumme, bezeichnet als „Hash-Wert“, mit der verdächtige Bilder eindeutig identifiziert werden können. Die Suche nach Kinderpornografie im Web soll nach den Vorstellungen des Vereins „proaktiv“ erfolgen. Suchmaschinen, Provider, Mailanbieter, Webhoster oder Filesharing-Dienste würden hierzu Listen mit Hash-Werten erhalten und könnten so nach strafbaren Bildern fahnden, die ihre Kunden betrachten, hochladen oder versenden.
Rechtlich ist dieses Vorgehen äußerst bedenklich, da es gegen das im Grundgesetz festgeschriebene Telekommunikationsgeheimnis verstößt. Schließlich sollen und dürfen Dienstanbieter im Internet ebenso wenig wissen, welche Inhalte sie transportieren, wie es Telekom oder Post nichts angeht, was ihre Kunden am Telefon oder per Brief mitteilen.
Dementsprechend hat „White IT“ aktuell ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem geklärt werden soll, ob und wie Hash-Werte weitergeben und ob Fahndungsaufträge grundsätzlich überhaupt an Provider übertragen werden dürfen.
Einer der Mitgliedsverbände von „White IT“, der Opferverein „MOGIS e.V.“ hat sich jetzt von der Arbeit des Bündnisses distanziert. Sein Gründer Christian Bahls sagte hierzu:
„Im Bündnis White-IT sind natürlich auch vernünftige Akteure vertreten. Jedoch sehe ich den tatsächlichen Schutz von Opfern immer weiter in den Hintergrund treten. Dafür treten immer deutlicher die Projekte nach vorne, die eine neue Kontroll- und Überwachungsstruktur zu etablieren scheinen.“
Auf Kriegsfuß mit der Verfassung
Der „White IT“ Gründer Uwe Schünemann (CDU) ist seit 2003 Innenminister in Niedersachsen. Der zweifache Preisträger des negativen Big Brother Awards (2003 und 2011) gerät nicht zum ersten Mal in Konflikt mit Bürger- und Grundrechten und der Verfassung.
Bereits 2003 hatte Schünemann in Niedersachsen eine präventive Telefonüberwachung angeordnet. Das Bundesverfassungsgericht wies diesen Vorstoß im Juli 2005 als verfassungswidrig zurück. Auch Schünemanns Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern, um Frachtflugzeuge mit einer Bombe an Bord abzuschießen, wurde 2006 durch die obersten Verfassungsrichter abgelehnt.
Darüber hinaus setzt sich der Innenminister dafür ein, dass 3000 angeblich gewaltbereite Islamisten in Deutschland ohne richterliche Anordnung zum Tragen einer elektronischen Fußfessel verpflichtet werden sollen, will das Bleiberecht von jungen Menschen und ihren Eltern, die von Abschiebung bedroht sind, von ihren Schulnoten abhängig machen oder fordert die Einführung einer privaten „Bürgerstreife“ nach amerikanischem Vorbild.
Schünemann ist ein entschiedener Verfechter der Vorratsdatenspeicherung, obwohl er im Rahmen einer Anfrage vor dem niedersächsischen Landtag einräumen musste, dass diese keine erheblichen Auswirkungen auf die Aufklärungsquote von Straftaten hat. Außerdem setzt er sich für eine Verschärfung der bestehenden Regelungen der Jugendfreigabe von Computerspielen ein und bezeichnet wissenschaftliche Belege für eine gefährliche Wirkung solcher Spiele in diesem Zusammenhang als überflüssig.
In Bezug auf ihre ablehnende Haltung gegenüber Netzsperren bezeichnete Schünemann die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als „Sicherheitsrisiko in unserem Land“.
Kinderpornografie in Deutschland
Der Bereich Kinderpornografie ist ein politisch und gesellschaftlich schwieriges Thema. Rechtspolitiker nutzen die Notwendigkeit zur Bekämpfung von Pädophilie immer wieder, um drastische Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle zu fordern. Zuletzt war der Vorstoß in Sachen Netzsperren von Ursula von der Leyen daran gescheitert, dass Bundespräsident Horst Köhler sich geweigert hatte, ein entsprechendes Gesetz zu unterzeichnen.
Problematisch ist das Thema vor allem deshalb, weil niemand ernsthaft etwas dagegen einwenden kann, entschieden gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie vorzugehen. Positioniert man sich aus grund- und bürgerrechtlichen Erwägungen gegen eine verschärfte Kontrolle und Überwachung im Netz, dann ist man schnell dem Vorwurf ausgesetzt, die widerwärtigen Straftaten auf Kosten der Opfer zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen.
Ein Blick in die polizeiliche Kriminalstatistik 2010 ergibt Aufschluss darüber, welche Tragweite Straftaten in diesem Bereich tatsächlich haben. Insgesamt zählt die Statistik knapp sechs Millionen Straftaten im Berichtsjahr. In der Kategorie Kinderpornografie wird zwischen der Verbreitung und dem Besitz strafrechtlich relevanter Bilder und Videos unterschieden.
Für 2010 wurden insgesamt 2.764 Delikte in Sachen Verbreitung erfasst. Im Jahr 2009 zählten die Statistiker noch 3.246 Straftaten. Dies entspricht einem Rückgang von knapp 15 Prozent. Die Aufklärungsquote lag hier bei 69,4 Prozent. 846 Fälle blieben danach unaufgeklärt.
Im Bereich Besitz von Kinderpornografie zählt die Kriminalstatistik für 2010 insgesamt 3.160 Fälle. Auch hier ist, verglichen mit 2009, ein deutlicher Rückgang um rund 17,5 Prozent zu verzeichnen. Die Aufklärungsquote lag 2010 bei 87,2 Prozent. Unaufgeklärt blieben rund 400 Fälle.
Insgesamt hatten wir es also im Jahr 2010 mit 5.924 polizeilich erfassten Fällen von Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie zu tun. Dies entspricht 0,099 Prozent aller erfassten Straftaten im Berichtsjahr. Sowohl in Bezug auf den Besitz als auch auf die Verbreitung lag die Aufklärungsquote bereits deutlich über der Gesamtaufklärungsquote aller Straftaten in Höhe von 56 Prozent. 1.246 Delikte im Bereich Kinderpornografie konnten nicht aufgeklärt werden.
Missbrauch möglich
Es versteht sich von selber, dass jeder einzelne Fall, in dem Kinder das Opfer von pädophiler Pornografie sind, einer zu viel ist. Andererseits zeigt die Statistik, dass es sich hierbei nicht um einen sonderlich großen Straftatbereich handelt. Die Zahlen belegen, dass die Anzahl der Delikte ohnehin zurückgegangen sind und dass die Aufklärungsquote unter Einsatz der bereits bestehenden rechtlichen und polizeilichen Möglichkeiten und Befugnisse überdurchschnittlich hoch ist.
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter und das Landeskriminalamt München kommen zu dem Schluss, dass die Verbreitung von Kinderpornografie in Deutschland hauptsächlich über Tauschbörsen, E-Mail-Verteiler und per Post erfolgt. Webseiten spielen dagegen kaum eine Rolle. Selbst das Landeskriminalamt Niedersachsen bestätigt, dass das Internet zwar zur Kommunikation der Täter eingesetzt wird, nicht allerdings als Transportmedium für entsprechende Bilder und Videos
Selbstverständlich kennt Uwe Schünemann sowohl die Daten der polizeilichen Kriminalstatistik als auch die Untersuchungen, die belegen, dass die Verbreitung kinderpornografischer Inhalte in der Regel nicht per Internet erfolgt. Dennoch setzt der niedersächsische Innenminister auf eine automatisierte Überwachung und Kontrolle der Web-Aktivitäten aller Internet-Nutzer.
Das anvisierte Verfahren birgt, neben substantiierten Einwänden gegen seine Rechtmäßigkeit, erhebliche Missbrauchsmöglichkeiten. Für den Provider oder Dienstanbieter, der anhand einer Liste mit Hash-Werten nach verdächtigen Kunden suchen, ist nämlich nicht erkennbar, welche konkreten Inhalte zur Fahndung ausgeschrieben sind. Ob es sich hierbei tatsächlich um Kinderpornografie oder beispielsweise um politisch unerwünschte Inhalte handelt, ist anhand der übermittelten Prüfsumme nicht erkennbar.
Netzanbieter und Internet-Nutzer müssen sich also blind darauf verlassen, dass der Staat und seine Behörden rechtskonform und verfassungsgemäß handeln. Ob dieser Vertrauensvorschuss gegenüber einem Minister, der präventiv Telefonate abhören, angeblich Gewaltbereite zur Fußfessel verpflichten, das Bleiberecht von Schulnoten abhängig machen oder die Bundeswehr im Innern einsetzen will, angemessen ist, muss jeder für sich selber beurteilen.
Die konkreten Fallzahlen sind vergleichsweise niedrig, die Aufklärungsquote ist bereits jetzt überdurchschnittlich hoch und die Taten werden nur in Ausnahmefällen per Internet begangen. Dass Schünemann dennoch massiv auf ein Kontroll- und Überwachungs-Konzept im Internet setzt, das weder der Tragweite noch der Charakteristik der im Fokus stehenden Straftaten Rechnung trägt, sollte misstrauisch machen.