Iannis Xenakis, Oscar Bianchi und Peter Eötvös beim Festival Musica
Der Komponist Oscar Bianchi (c) Stirnweiss
Das erste große Orchesterkonzert am 24. September 2010 im Rahmen des Festivals Musica wurde dem jungen Komponisten Christophe Bertrand gewidmet, der an diesem 17. September im Alter von 29 Jahren in Straßburg verstarb.
Vielleicht war es dieses Wissen, welches das Publikum an diesem Abend verhaltener agieren ließ als es sonst der Fall ist. Vielleicht lag es aber auch an einer Programmänderung, die kurzfristig durchgeführt werden musste. Johannes Maria Stauds Werk „On comparative Meteorology“ fiel laut der Aussage des Veranstalters leider dem französischen Generalstreik zum Opfer, der einen Tag zuvor ganz Frankreich partiell lahm gelegt hatte. Stattdessen erklang Iannis Xenakis Auskoppelung „Peaux“ aus seinem Werk „Pleiades“ aus dem Jahre 1978. Eine Arbeit für 6 Schlagwerker, die an diesem Abend vom Straßburger Konservatorium gestellt wurden. Dass die Komposition nun schon über 32 Jahre auf ihren Schultern trägt, ist ihr anzuhören, von einem Neuigkeitswert seitens einer größeren Percussionformation kann man nicht mehr sprechen. Kennzeichen des Werkes ist eine wechselndes Rhythmusführung in den unterschiedlichen Stimmen, zugleich auch die künstlerische Herausforderung desselben, im Wechsel mit Unisonoparts, die durch die Intensität der Schläge und der großen Instrumente auch den großen Saal Erasme zum Dröhnen brachten.
Nach dem ersten Trommelfeuer hatte der junge Komponist Oscar Bianchi seinen großen Auftritt. Ajna Concerta aus den Jahren 2009/10 wurde vom Orchestere philharmonique de Radio France uraufgeführt. Der am Pult stehende Pascal Rophé agierte als getreuer Statthalter des Komponisten, der durch seine klaren Einsätze und Anweisungen den Musikern sicheren Halt bot. Bianchis Stück ist einem Zyklus entnommen, in welchem er sich mit universellen menschlichen Herausforderungen beschäftigt. In Ajna Concerto ist es die Frage nach Richtig und Falsch. Dass er auf einen historischen Klangapparat wie ein großes Orchester zurückgreift, ist das erste Mal. Seinem Werk ist ein hoher Wiedererkennungswert bescheinigt, immer wiederkehrende Glissandi und Ostinate ahmen einen Sprechrhythmus nach, der sich erst am Ende des Stückes in Nachdenklichkeit verliert. Zuvor jedoch durchbraust eine Unrast, eine Hektik und Unwohlsein das Stück, wird mit Pauken und Trompeten eine Zerrissenheit performiert, ja zelebriert, die sich nicht an melodischen, sondern an rhythmischen Gerüsten zeigt.
Peter Eötvös (c) Stirnweiss
Peter Eötvös, der um eine Generation ältere Komponist, war zu Ende des Konzertabends mit seinem Werk Atlantis aus dem Jahre 1995 vertreten. Leichte Abänderungen in der Partitur, ein Arbeitsmittel, welches der Komponist immer wieder anwendet, machten es möglich, das Werk als „definitive“ Uraufführung anzukündigen. Eötvös erarbeitete hier über ein Gedicht von Sándor Weöres eine dichte und zugleich klar nachvollziehbare Komposition, die stark von der Aufteilung der Musiker im Raum selbst lebt. Er bezeichnet es selbst als Oratorium für Bariton, Kinderstimme, Cymbalum, virtuellem Chor und großes Orchester. Mit dem links, rechts und hinter dem Publikum platzierten Percussionisten, sowie einer „verkehrten“ Aufstellung der Streicher und Sänger, die sich im hinteren Bühnenteil befinden, sowie dem Einsatz von eingespieltem Soundmaterial, welches aus großen, über der Bühne schwebenden Boxen zu hören ist, gelang ihm in dem dreisätzigen Werk eine wunderbare Verschränkung von herkömmlichen und neuen orchestralen Klangerlebnissen. Er nutzt die Klangfülle des erweiterten Instrumentariums jedoch innerhalb eines streng von ihm vorgegebenen Regelwerkes, das auch immer wieder an historische Konzertstrukturen erinnert. So zum Beispiel der Einsatz der beiden Singstimmen. Christian Miedl entlockte seinem Bariton ohne Mühe immer wiederkehrende Oktavsprünge in tenorale Höhen. Ihm Stand hielt die klare Kinderstimme eines Eleven des Kinderchores, der damit souverän über verhältnismäßig lange Strecken die kindliche Unschuld wie auf einem Präsentierteller darbot. Eötvös Komposition, angesiedelt zwischen Ortsangaben und seelischen Raumtiefen kann sicherlich schon jetzt zu den Klassikern des derzeitigen Musikgeschehens gezählt werden.