Über eine Freundschaft/Seilschaft die gewachsen und stark geworden ist.
März 2016. Der Wind pfeift über den Grat unterhalb des Kleinglockners. Die Sicht ist versperrt durch eine niemals enden wollende Nebeldecke. Mühsam haben Susi und ich uns dorthin hoch gekämpft. Die meisten anderen sind schon an der Erzherzog-Johann-Hütte umgekehrt. Nur ein paar unerbittliche Seilschaften haben sich auf den Weg Richtung Gipfel gewagt. So auch wir, schließlich wollen wir nicht wie am Großvenediger wieder aufgeben. Aber die Zweifel und die Angst nagen an uns. Mit jeder Bewegung schwingt Unsicherheit mit. Schließlich haben wir sowas noch nie gemacht. Auch Susi wird zusehens unruhiger und setzt mich unter Druck, schneller zu gehen. Aber ich habe Zweifel, weniger den Gipfel zu erreichen, mehr vor dem Rückweg.
Kurz vor dem Kleinglockner halte ich der Mischung aus innerem und äußerem Druck nicht mehr stand. Ich möchte umkehren. Auch Susi scheint über diese Entscheidung glücklich zu sein. Trotzdem ist die Enttäuschung groß und kurz vor der Erzherzog-Johann-Hütte kullern mir riesige Tränen über die Wangen. Ich bin traurig und wütend über uns. Gescheitert! Nicht an unseren eigenen Fähigkeiten, sondern viel mehr an dem, was wir uns selbst zugetraut haben – aber vor allem im gegenseitigen Umgang und Verständnis zueinander.
Achim Schmidtmann sagt: „Eine Freundschaft ist ein aus vielen Strängen der gemeinsamen Erfahrung gewobenes Band. „Und so sind wir nun gemeinsam zurückgekehrt.
Neuer Versuch, neues Glück
August 2017. Wir haben Urlaub. Als wir uns entscheiden, nach Osttirol zu reisen ist klar: wir wollen jetzt endlich gemeinsam den Großglockner besteigen. Witzigerweise, gab es diesen Plan fast exakt auf den Tag genau vor einem Jahr. Es war schönes Wetter gemeldet, wir hatten Semesterferien. Alles hätte perfekt gepasst, aber eine Woche davor kam für mich der Anruf aus der Klinik, dass ich meinen lang ersehnten Rehaplatz bekomme. Nachdem ich diesen Platz mehr als nötig hatte und schon fast ein Jahr darauf gewartet hab, war klar: Die Gesundheit hat Vorrang. Susi hat stattdessen Markus mitgenommen und ich saß am Chiemsee und war grantig.
Jetzt aber wirklich!
Der Wetterbericht verspricht für die nächsten zwei Tage gutes und stabiles Wetter. Perfekt! Wir machen uns am späten Vormittag Richtung Stüdlhütte auf. Am Vorabend haben wir uns entschlossen, nicht die Standardaufstiegsroute über das Lucknerhaus zu wählen, sondern über das benachbarte Teichschnitztal aufzusteigen. Die schöne Landschaft und die Einsamkeit machen die Wanderung durch das Teischnitztal ganz besonders. Hier trifft man kaum andere Wanderer. Nur die pfeifenden Murmeltiere und das Rauschen des Bachs begleiten uns. Eigentlich auch der Blick auf den Großglockner. Nur versteckt sich dieser heute in einer dicken Wolkenschicht.
Nach zwei Stunden Aufstieg erreichen wir die Stüdlhütte. Lustiger Weise treffen wir gleichzeitig mit Martin ein. Noch gestern haben wir mit dem Kapellmeister der Kalser Musikanten ein Bier getrunken. Er ist bereits heute mit einem befreundeten Geologen über den Stüdlgrat zum Großglockner aufgestiegen. Eigentlich wollten sie den Großglockner über den Nordwestgrat besteigen, mussten diesen Plan aber Aufgrund des schlechten Wetters ändern. Denn obwohl schönes Wetter gemeldet war, liegt der Großglockner heute in Wolken und ein scharfer Wind bläst über das Massiv.
Zusammen mit ihnen feiern wir ihre erfolgreiche Besteigung und erfahren nebenbei vom Geologen, wie der Großglockner entstanden ist. Er erzählt, dass der Großglockner aus magmatischem Gestein und Sedimenten besteht. Der Glockner ist also ein Lava-Berg! Als sich die beide verabschieden und den Weg ins Tal antreten, entschließen wir uns noch ein wenig vor die Tür zu gehen und uns die Beine zu vertreten.
Danach geht’s zurück in die Hütte und wir freuen uns auf das hervorragende Essen von Hüttenwirt Georg. Denn er wird nur noch bis Oktober in der Stüdlhütte sein. Danach wird er die Pacht aus gesundheitlichen und vor allem organisatorischen Gründen abgeben.
Ich schlage mir noch mal ordentlich den Magen voll. Denn ich weiß jetzt schon, dass ich am Morgen vor lauter Aufregung kaum einen Bissen hinunterbringen werde. Danach gehen wir ins Bett. Ich falle in einen unruhigen Schlaf. Die ungewohnten Umgebung, die ungewohnten Geräusche und die ständige Unruhe in der der Hütte lassen mich immer wieder aus dem Schlaf schrecken. Mir fehlen mein Bett und vor allem mein Freund, der heute nicht neben mir liegt.
Aufbruch zum Stüdlgrat
Um 5 Uhr klingelt der Wecker. Irgendwie bin ich froh darüber, so hat das Herumgewälze ein Ende. Schnell schlüpfen wir in unsere Klamotten und gehen zum Frühstück. Da ich mich mittlerweile damit abgefunden habe, dass mir ein frühes Frühstück nicht bekommt, beschränke ich mich auf Tee mit viel Zucker und schmiere mir ein Brot für später. Als wir uns um sechs Uhr auf den Weg begeben, ist die Hütte schon leergefegt. Draußen ist es klar, kein Wölkchen am Himmel perfekt. Mit gemächlichen Schritten machen wir auf den Weg Richtung Grat.
Kurze Zeit später erreichen wir den Gletscher und einige der anderen Seilschaften. Wir legen Steigeisen an und binden uns ein, bevor wir unseren Weg über den Gletscher fortsetzen. Ich finde das Queren von Gletschern immer noch vollkommen gruselig. Gerade nach meinem Spaltensturz am Ortler, analysiere ich genau den Untergrund, auf den ich trete. Besonders schmalen Brücken über riesige Gletscherspalten traue ich nicht mehr. Für Susi schwer nachvollziehbar. Mittlerweile liegen der Grat und der Gipfel des Großglockners wieder in einer dicken Wolkenschicht.
Ich bin echt enttäuscht, dass ich den Glockner jedes Mal in Wolken antreffe. Egal, wann ich in der Vergangenheit in Osttirol war. Der Glockner lag immer in Wolken. Ich denke mir: „Mag mich der Berg nicht? Ach, so ein Blödsinn.“
Auf zum Frühstücksplatzerl
Bald erreichen wir den Einstieg. Das Seil und Steigeisen wandern wieder in die Rucksäcke. Noch schnell ein Bissen Brot zur Stärkung und dann geht’s auch schon auf den Grat. Bis zum Frühstücksplatzl wollen wir frei gehen.
Die ersten Meter auf dem Grat sind extrem bröselig. Ich denke mir: wenn das jetzt so weiter geht, dann prost Mahlzeit. Aber schon nach wenigen Metern werde ich mit festem Blockgelände entschädigt. Hier ist das Klettern ein wahrer Genuss. Es macht direkt so viel Spaß, dass die Meter bis zum Frühstücksplatzl wie im Flug vergehen. Nur der eiskalte Wind und der Nebel lassen den Grat trist und wenig einladend wirken. Nach einer Stunde erreichen wir das Frühstücksplatzl. Zwar befinden wir uns jetzt nur noch 350 Höhenmeter unter dem Gipfel, trotzdem scheint er noch eine Galaxie weit entfernt zu sein.
Frostige Gratkletterei am Stüdlgrat
Wir entscheiden uns vom Frühstücksplatz am laufenden Seil weiter zu gehen. Natürlich sind wir damit deutlich langsamer unterwegs. Aber da ich dieses Jahr kaum bis gar nicht zum Klettern gekommen bin und das Gelände nicht kenne, möchte ich kein unnötiges Risiko eingehen. Mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team und obwohl wir uns nur noch an den Standplätzen sehen, funktioniert das zusammenspiel super.
Im Nebel habe ich überhaupt kein Gefühl dafür, wieviel Meter wir gemacht haben. Wie weit es nach unten ist, oder wie weit es noch nach oben ist. Nur meine Sportuhr zeigt mir an, wie unendlich lange wir für jede Seillänge brauchen. Jedenfalls gefühlt! Denn wirklich langsam sind wir nicht unterwegs. Ich bin echt jedes Mal froh darüber, wenn ich wieder weiterklettern darf; herumzustehen ist eine Qual. Ich sehe nichts und mit jeder Minute Inaktivität wird es kälter. Wenn ich klettere ist es mir warm und die Kletterei am Grat ein Genuss. Im Nebel wirkt der Grat wie ausgestorben. Obwohl sicher noch fünf weitere Seilschaften unterwegs sind, klettern wir in Einsamkeit.
Der Wind fegt erbarmungslos über das Lava- Gestein. Sogar Schneekörner prallen gegen unsere Brillengläser. Wir haben die Kapuze unter den Helm gezogen und tragen jedes Kleidungsstück, das wir dabei haben. Dennoch frieren wir.
Wir sind gerade an der Schlüsselstelle, als wir von hinten Stimmen hören. Es überholt uns eine Seilschaft, die ich hier so nicht erwartet hätte, anzutreffen. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern. Flink und in einer anmutigen Leichtigkeit wandeln diese am Grat entlang. Die ältere der beiden beschwert sich kurz, dass sie jetzt hier oben in der Kälte sitzen muss, während es im Tal 30 Grad hat. Dann ist die illustre Seilschaft auch schon an uns vorbeigezogen und wir stehen wieder alleine im Nebel.
Kurze Zeit später scheint sich die Nebeldecke zu lichten. Es wird ganz hell um uns und das weiße Licht brennt in den Augen. Sonnenstrahlen blitzen durch die dichte Wolkenschicht und bringen wohlige Wärme mit sich. Nach zwei Stunden bibbernd im eiskalten Nebel ist das mehr als willkommen. Aber nicht nur das, auch das goldene Gipfelkreuz schimmert von oben zu uns herab. Ein ehrfürchtiger Moment.
Wir können unser Glück kaum fassen, als der Grat in der Sonne vor uns liegt. Erst jetzt erkenne ich seine Ausgesetztheit. Diese wilde Linie hinauf zum höchsten Punkt Österreichs. Dieser Anstieg ist atemberaubend schön.
Die ganzen Erschwernisse und Zweifel die seit unserem ersten Versuch auf uns lagen sind jetzt wie weggefegt. Was uns damals wir ein einziger Kampf erschien, ging jetzt mit einer unbeschreiblichen Leichtigkeit.
Gemeinsames Gipfelglück
Die Freude ist unbeschreiblich, endlich ist das Ziel in greifbarer Nähe. Fast muss ich mir ein paar Tränen der Freude verkneifen. Bis jetzt kam mir der Gipfel unendlich weit weg vor. Die Sonne bringt eine angenehme Leichtigkeit mit sich. Vor allem die Wärme und die geniale Aussicht machen nun alles viel einfacher.
Die letzten Meter bis zum Gipfel verfliegen zu schnell. Die Vorfreude darauf, gleich gemeinsam am Gipfel zu stehen, ist fast unerträglich. Deshalb genieße ich die letzten Klettermeter in vollen Zügen. Dann steht es vor mir, das goldene Gipfelkreuz das hier einst zu Ehren von Sissi und Franz errichtet wurde. Heute leuchtet es für Susi und Vroni. Glück durchflutet mich.
Außer uns sind noch zwei andere Seilschaften am Gipfel. Eine davon kennt unseren Blog und kommt auch aus Salzburg. Was für ein Zufall. Fröhlich tauschen wir uns über den Aufstieg aus und genießen das Panorama und das Gefühl endlich gemeinsam am Gipfel zu stehen. Ich bin einfach auch so unglaublich dankbar dafür, dass die Sonne jetzt rausgekommen ist und wir nicht nur grau um uns herum sehen. So langsam müssen wir uns trotzdem vom Gipfel verabschieden, denn es liegt noch ein langer Abstieg vor uns.
Abstieg über den Normalweg
Gemächlich machen wir uns zum Abstieg auf. Vom Gipfel sind noch mal einige Höhenmeter bis zur Palavicinirinne abzuklettern. Dort kommt uns ein altes tscheisches Ehepaar entgegen und wirkt mit dem um den Oberkörper gebundenen Hanfstrick etwas surreal zwischen den hochtechnisch ausgestatteten Glockneraspiranten. In der Sonne ist der Abstieg über die warmen Felsplatten sehr angenehm und schnell erreichen wie den Einstieg ins Glocknerleitl.
Das Leitl ist ungewohnt aper, weshalb wir einiges im brüchigen Fels abklettern müssen. Aber in der warmen Sonne ist selbst das angenehm. Susi ist echt entsetzt, wie wenig Schnee es dort im Vergleich zum Vorjahr hat. Aber das ist nach dem niederschlagsarmen Winter in Osttirol kaum verwunderlich. Wir rätseln darüber, wie es sich wohl in den nächsten Jahren verändern wird. Hier ist jedenfalls die Klimaveränderung der letzten Jahre deutlich zu spüren.
Mit knurrenden Mägen stürmen wir die Erzherzog-Johann-Hütte. Wir freuen uns auf etwas zu essen und ein erfrischendes Getränk. Nach einer Pause auf der Erzherzog-Johann-Hütte machen wir uns auf die letzten Meter zur Stüdlhütte. Über einen drahtseilversicherten Steig geht es auf den Gletscher.
Wir entscheiden uns noch mal anzuseilen. Eigentlich nur, weil ich darauf bestehe. Susi lässt sich nur wiederwillig davon überzeugen. Aber nachdem ich am Ortler einen Ausflug in die Spalte gemacht habe, lege ich darauf noch mehr Wert als vorher. Ich finde Gletscher einfach gruselig. Sich nicht sicher sein zu können, ob einem nicht im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen wegbricht, finde ich einfach schrecklich. Vor allem weil man keinen Einfluss darauf hat, man kann sich nur für den Fall absichern.
Schnell überqueren wir den Gletscher, denn hier lauern nicht nur potentielle Spalten, sondern was noch viel schlimmer ist: Steinschlag von oben. Deshalb geht’s im Laufschritt den Gletscher hinunter. Jetzt haben wir es fast geschafft. Nur wartet von hier noch der lange Abstieg ins Teischnitztal auf uns.
Getrennte Wege
Fröhlich schwatzend, geht’s auf die letzten Meter durch eine riesige Schutthalte zur Stüdlhütte. Insgeheim trauern wir ein wenig, dass wir den ganzen Weg laufen müssen und nicht mit dem Ski fahren können. Aber bald kommt ja wieder der Winter.
Vor allem für Susi ist jeder Schritt eine Qual. Seit dem Glockner Ultra Trail sind ihre Knie beleidigt und schmerzen. Deshalb entscheiden wir uns von der Stüdlhütte aus getrennte Wege zu gehen. Ich steige wieder den langen Weg über das Teischnitztal ab um unser Auto zu holen, während Susi den kürzeren Weg zum Lucknerhaus nimmt.
Es fühlt sich fast schon befremdlich an alleine Abzusteigen. So ziehen sie die Kilometer durch das Tal auch unendlich lange. Aber das ist mir egal, denn mein Herz lacht vor Freude über diesen unglaublich schönen Tag.
Noch mehr Eindrücke gibt es in unserem Video:
Ausrüstung
- Seil (wir haben ein 30m-Halbseil verwendet)
- Klettergurt
- 10 Expressen
- 2-3 HMS-Karabiner pro Person
- eventuell Tibloc
- Bandschlinge
- Helm
- Steigeisen
- Stöcke und/oder Pickel für die Gletscherüberquerung und das Eisleitl
- warme Kleidung und ausreichend zu Trinken
Tourdaten
- Höhenmeter: 1.800 (davon ca. 500 am Grat)
- Länge: 17 Kilometer (Auf- und Abstieg)
- Dauer: 1,5 bis 2,5 Stunden zur Stüdlhütte, 4-5 Stunden von der Hütte zum Gipfel, 3 Stunden Abstieg zurück zur Stüdlhütte
- Schwierigkeit: III+