Anders als es zum Beispiel Fabian Köhler beim Neuen Deutschland schildert, ging es eben nicht darum, das Trennende zu betonen. Als es am Samstagnachmittag zu einem kurzen Tumult kam, als einige Konferenzteilnehmer Muslimen generell absprachen, liberale Haltungen einnehmen zu können, sah es kurz danach aus, als wäre der Dialog gescheitert. Das war dann aber doch nicht der Fall – und nach einigen klärenden Worten des Vorstandssprechers der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, gelang es am Folgetag, eine gemeinsame Abschlusserklärung mit großer Mehrheit zu verabschieden.
Auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Islam?
n der ersten Runde diskutierten Hamed Abdel-Samad und die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Autorin Lale Akgün über einen zeitgemäßen Islam. „Ein zeitgemäßer Islam ist einer, der keine politische Macht mehr hat, der einfach nur ein Teil unter vielen in der Gesellschaft ist.” Abdel-Samad verwies darauf, dass es einen grundlegenden Wandel in den islamischen Gesellschaften gibt: weg von den bisherigen Strukturen – hin zu mehr Individualität der jungen Menschen, die sich aus den Familienverbänden lösen. „Es fehlt jedoch im arabischen Raum an politischen Strukturen, um diese jungen Leute aufzufangen.” Deshalb – so Hamed Abdel-Samad – sei das Chaos voraussehbar.
Lale Akgün, die sich selbst als „liberale Muslimin” vorstellte, kritisierte, dass sie und andere „in Deutschland keine Stimme” haben. Bei der Deutschen Islamkonferenz (DIK) werde diese Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime einfach nicht wahrgenommen. Ein zeitgemäßer Islam ist für sie vor allem ein reformierter Islam. Einer, bei dem in der Sprache der Gläubigen – und nicht auf Arabisch – gepredigt wird; einer, bei der der Mensch und seine Vernunft im Vordergrund stehe. Das Verbot, den Koran zu übersetzen nannte sie „ein Machtmittel” und es erinnert an die christliche Reformation, wenn sie sagt: „Gott spricht nicht arabisch; Gott spricht zu den Menschen in ihrer eigenen Sprache.”
In der anschließenden Podiumsdiskussion stellte Volker Panzer behutsame Fragen und entlockte Lale Akgün die Forderung, Religionsunterricht in den Schulen abzuschaffen. Hamed Abdel-Samad brachte in dieser Runde ein zentrales Problem auf den Punkt: „Es gibt viele liberale Muslime, aber keinen liberalen Islam.”
Integration durch Stärkung der religiösen Identität?
Ist es noch angemessen, die in Deutschland lebenden Menschen danach „einzuteilen”, welcher Religion sie sich zugehörig fühlen? Darüber diskutierten die Autorin Necla Kelek, der Islamwissenschaftler und Vertreter der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Yilmaz Kahraman, sowie Zeliha Dikmen von der „Frankfurter Initiative progressiver Frauen”.
Kelek ging es in ihrem Vortrag vor allem darum, aufzuzeigen, weshalb die DIK von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Wenn der deutsche Rechtsstaat die islamische Scharia neben dem deutschen Rechtssystem als gegeben hinnimmt, sieht sie die Zivilgesellschaft gefährdet. „Die Islamkonferenz hat es versäumt, die Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen als gegeben festzusetzen. Statt dessen hat sie die Scharia als ‘Elternrecht’ umdefiniert.”
„Die DIK krankt vor allem daran, dass dort nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden rund vier Millionen Muslime vertreten wird”, kritisierte Yilmaz Kahraman. Er hob jedoch hervor, dass – entgegen viel verbreiteter Pressemeldungen – bei der DIK nicht nur über Sicherheitsfragen und Terror gesprochen wurde, sondern auch über Abgrenzung, Diskriminierung und Antisemitismus.
Im Vortrag der Diplom-Informatikerin Zeliha Dikman fiel dann das Wort „Ghettoisierung”, als sie über die stadtplanerischen Fehler der letzten Jahrzehnte sprach. Sie berichtete über einen Modellversuch in Frankfurt/M., wo in einem neuen Wohnviertel eine Durchmischung der Bewohner erfolgt ist. Die bisherige strikte Trennung nach dem Geburtsland der Menschen – selbst in der dritten Generation – verhindere eine Integration. Das zeigt sich auch in der Bildung – selbst nach zwanzig Jahren funktioniert in den Schulen die Aus- und Abgrenzung noch immer nach den gleichen Mustern.
Islam, Emanzipation und sexuelle Selbstbestimmung
„Es ist eine Besonderheit des Korans, wie detailliert er sich mit dem Sex beschäftigt.” Arzu Toker sieht kaum eine Möglichkeit, den Islam dahingehend zu reformieren, dass die Unterwerfung der Frauen unter die Männer aufgehoben wird. „Das wäre, als wolle man den Nordpol und den Südpol miteinander vereinigen.”
Anders Seyran Ateş. Die Autorin des Buches „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution” sieht eine solche Änderung bereits längst im privaten Bereich vollzogen. Woran es noch fehlt, sind„Moscheen, in denen Frauen Vorbeterinnen sind.”
Der Politiker Ali Utlu (Piratenpartei) begann seinen Vortrag mit den Worten „Islam heißt zwar Liebe, aber er fordert den Tod von Menschen, die Menschen ihres eigenen Geschlechts lieben.”Homosexualität werde zwar auch in islamischen Ländern gelebt, gilt aber trotzdem als ein „Verbrechen” und wird in einigen Ländern schwer bestraft.
Islamismus, Antimuslimismus, Fremdenfeindlichkeit
Nachdem sich der kurze, aber heftige Streit um die Frage, ob der Islam verboten gehöre, wieder gelegt hatte, wurde im letzten Punkt des ersten Tages darüber diskutiert, wie sich die obigen Begriffe voneinander abgrenzen lassen. Yilmaz Kahraman und Lukas Mihr zeigten Gemeinsamkeiten zwischen Islamisten und Neonazis auf, wobei Kahraman sich auf den Begriff der „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit” als Definition des Rassismus berief. Er klärte über die grundlegenden Ideen des Salafismus, der Gülen-Bewegung und Millî Görüş auf.
Lukas Mihr ergänzte dies in seinem Beitrag, indem er die Nähe mancher Extremisten am rechten und linken Rand der Gesellschaft mit den Auffassungen der Islamisten darlegte.
In einer flammenden und emotionalen Rede sprach Mina Ahadi über die Gründe ihrer Ablehnung des Islam und der DIK. „Solange die deutsche Regierung mit den Islamisten zusammenarbeitet, darf man die Deutsche Islamkonferenz nicht anerkennen!”
Transkulturelles Lernen in der Schule
Der Sonntag begann mit einem hochrangig besetzten Podium, bei dem über die Möglichkeiten und Chancen des „transkulturellen Lernens” diskutiert wurde. Der Philosoph Wolfgang Welsch zeigte auf, warum der Begriff der „transkulturellen Gesellschaft” hilfreich ist, um starren kulturellen Normierungen entgegenzutreten. Er verdeutlichte, dass alle Menschen „kulturelle Mischlinge” sind und es daher unsinnig wäre, Individuen auf eine spezifische Gruppenidentität festzunageln.
Dem multikulturellen Ansatz wurde damit eine klare Absage erteilt, zielt er doch, wie Necla Kelek sagte, darauf ab, dass „jede Bevölkerungsgruppe hier nur ihre eigene Kultur lebt” und sich daher von anderen abschotten müsse.
Markus Tiedemann vom Institut für Vergleichene Ethik der FU Berlin wies darauf hin, dass es bei der Bildung vor allem darum geht, „die individuelle Urteilskraft” der Kinder zu stärken. Hierbei sei ein allgemeinverbindlicher gemeinsamer Ethikunterricht in den Schulen sinnvoll, der die Kinder und Jugendlichen nicht mehr nach ihren jeweiligen Herkunftsfamilien selektiert.
Philipp Möller, Autor des Spiegel-Bestsellers „Isch geh Schulhof”, zeigte auf, das Kinder und Jugendliche schon sehr früh diskriminierende Denkschablonen erlernen, die möglichst frühzeitig infrage gestellt werden sollten. Die (alevitische) Religionslehrerin Melek Yildiz plädierte dafür, mit den Kindern zu versuchen, in ein „Einvernehmen” zu kommen, um von Anfang an Ausgrenzungen gar nicht erst zuzulassen.
Allianzen für eine transkulturelle Gesellschaft
Schon als Vorbereitung der Abschlusserklärung wurde in der letzten Diskussion darüber nachgedacht, was die Anwesenden verbindet. Sunay Goldberg von der „Frankfurter Initiative progressiver Frauen” stellte noch einmal klar, dass die Integrationsdebatte, die in Deutschland geführt wird und geführt werden muss, keine Debatte über Religionen sein sollte. Yilmaz Kahraman bestätigte dies und sprach davon, sich selbst als Angehörigen von vielen verschiedenen Kulturen zu sehen. Aber „es sind immer die Menschen, die die Kultur tragen”. Insofern sind alle Menschen transkulturell.
Lale Akgün forderte eine Änderung der Politik. „In den letzten Jahrzehnten wurde immer nur das Trennende, nie das Verbindende betont.” Dem stimmte Rolf Schwanitz zu, der darauf verwies, dass ein säkularer Staat zu allen Religionen gleichermaßen Abstand zu wahren habe.
Ali Utlu wehrte sich gegen die „mediale Zwangsislamisierung”: „Ich wurde als Oderwälder, als Hesse, geboren. In der Schule wurde ich ‘der Türke’ und nach 9/11 dann plötzlich ‘der Moslem’.” Aus solchen Denkschablonen müssten wir ausbrechen, um endlich die Menschen hinter den kulturellen Etikettierungen zu erkennen.
Nachdem es trotz oder vielleicht sogar wegen der vorangegangenen harten Kontroversen unter einzelnen Konferenzteilnehmern gelungen war, eine gemeinsame Abschlusserklärung zu verabschieden, fasste gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon seine Eindrücke von der Zweiten Kritischen Islamkonferenz folgendermaßen zusammen: „Es war erwartungsgemäß ein hartes Stück Arbeit, letztlich aber war die ‚Kritische Islamkonferenz‘ ein Erfolg! Wir hatten natürlich schon im Vorfeld damit gerechnet, dass es unter den Teilnehmern der Konferenz zu heftigen Diskussionen kommen würde. Ich denke, dass die Konferenz in dieser Hinsicht geholfen hat, Ressentiments abzubauen. Es sollte klargeworden sein, dass für die politische Debatte nicht entscheidend ist, ob jemand gläubig ist oder nicht. Wichtig ist vielmehr, dass diejenigen endlich zusammenfinden, die die Selbstbestimmungsrechte des Individuums gegen religiöse oder ideologische Bevormundung verteidigen möchten. Die 2. Kritische Islamkonferenz war ein guter Anfang für eine solche Zusammenarbeit – nicht mehr, aber auch nicht weniger.”
Nic