Gelungenes Experiment auf dünnem Eis

KIK2013Es war wohl das erste Mal, dass aus­ge­wie­sene Religions­kritiker mit libe­ra­len Muslimen öffent­lich dis­ku­tier­ten. Während es bei der ers­ten Kritischen Islam­konferenz vor allem darum ging, vor einer „fal­schen Toleranz” zu war­nen, ver­suchte die dies­jäh­rige Tagung, Gemeinsam­keiten zwi­schen Islam­kritikern und libe­ra­len Muslimen her­aus­zu­ar­bei­ten. Das war nicht immer ein­fach.

Anders als es zum Beispiel Fabian Köhler beim Neuen Deutschland schil­dert, ging es eben nicht darum, das Trennende zu beto­nen. Als es am Samstag­nachmittag zu einem kur­zen Tumult kam, als einige Konferenz­teilnehmer Muslimen gene­rell abspra­chen, libe­rale Haltungen ein­neh­men zu kön­nen, sah es kurz danach aus, als wäre der Dialog geschei­tert. Das war dann aber doch nicht der Fall – und nach eini­gen klä­ren­den Worten des Vorstands­sprechers der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, gelang es am Folgetag, eine gemein­same Abschlusserklärung mit gro­ßer Mehrheit zu ver­ab­schie­den.

Auf dem Weg zu einem zeit­ge­mä­ßen Islam?

n der ers­ten Runde dis­ku­tier­ten Hamed Abdel-Samad und die ehe­ma­lige SPD-Bundes­tags­abgeordnete und Autorin Lale Akgün über einen zeit­ge­mä­ßen Islam. „Ein zeit­ge­mä­ßer Islam ist einer, der keine poli­ti­sche Macht mehr hat, der ein­fach nur ein Teil unter vie­len in der Gesellschaft ist.” Abdel-Samad ver­wies dar­auf, dass es einen grund­le­gen­den Wandel in den isla­mi­schen Gesellschaften gibt: weg von den bis­he­ri­gen Strukturen – hin zu mehr Individualität der jun­gen Menschen, die sich aus den Familienverbänden lösen. „Es fehlt jedoch im ara­bi­schen Raum an poli­ti­schen Strukturen, um diese jun­gen Leute auf­zu­fan­gen.” Deshalb – so Hamed Abdel-Samad – sei das Chaos vor­aus­seh­bar.

Lale Akgün, die sich selbst als „libe­rale Muslimin” vor­stellte, kri­ti­sierte, dass sie und andere „in Deutschland keine Stimme” haben. Bei der Deutschen Islam­konferenz (DIK) werde diese Mehrheit der in Deutschland leben­den Muslime ein­fach nicht wahr­genommen. Ein zeit­ge­mä­ßer Islam ist für sie vor allem ein refor­mier­ter Islam. Einer, bei dem in der Sprache der Gläubigen – und nicht auf Arabisch – gepre­digt wird; einer, bei der der Mensch und seine Vernunft im Vorder­grund stehe. Das Verbot, den Koran zu über­set­zen nannte sie „ein Machtmittel” und es erin­nert an die christ­li­che Reformation, wenn sie sagt: „Gott spricht nicht ara­bisch; Gott spricht zu den Menschen in ihrer eige­nen Sprache.”

In der anschlie­ßen­den Podiums­diskussion stellte Volker Panzer behut­same Fragen und ent­lockte Lale Akgün die Forderung, Religions­unterricht in den Schulen abzu­schaffen. Hamed Abdel-Samad brachte in die­ser Runde ein zen­tra­les Problem auf den Punkt: „Es gibt viele libe­rale Muslime, aber kei­nen libe­ra­len Islam.”

Integration durch Stärkung der reli­giö­sen Identität?

Ist es noch ange­mes­sen, die in Deutschland leben­den Menschen danach „ein­zu­tei­len”, wel­cher Religion sie sich zuge­hö­rig füh­len? Darüber disku­tierten die Autorin Necla Kelek, der Islam­wissenschaftler und Vertreter der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Yilmaz Kahraman, sowie Zeliha Dikmen von der „Frankfurter Initiative pro­gres­si­ver Frauen”.

Kelek ging es in ihrem Vortrag vor allem darum, auf­zu­zei­gen, wes­halb die DIK von Anfang an zum Scheitern ver­ur­teilt war. Wenn der deut­sche Rechts­staat die isla­mi­sche Scharia neben dem deut­schen Rechts­system als gege­ben hin­nimmt, sieht sie die Zivil­gesellschaft gefähr­det. „Die Islam­konferenz hat es ver­säumt, die Gleich­berechtigung von Jungen und Mädchen als gege­ben fest­zusetzen. Statt des­sen hat sie die Scharia als ‘Elternrecht’ umde­fi­niert.”

„Die DIK krankt vor allem daran, dass dort nur eine Minder­heit der in Deutschland leben­den rund vier Millionen Muslime ver­tre­ten wird”, kri­ti­sierte Yilmaz Kahraman. Er hob jedoch her­vor, dass – ent­ge­gen viel ver­brei­te­ter Presse­meldungen – bei der DIK nicht nur über Sicher­heits­fragen und Terror gespro­chen wurde, son­dern auch über Abgrenzung, Diskriminierung und Anti­semitismus.
Im Vortrag der Diplom-Informatikerin Zeliha Dikman fiel dann das Wort „Ghettoisierung”, als sie über die stadt­planerischen Fehler der letz­ten Jahr­zehnte sprach. Sie berich­tete über einen Modell­versuch in Frankfurt/M., wo in einem neuen Wohn­viertel eine Durch­mischung der Bewohner erfolgt ist. Die bis­he­rige strikte Trennung nach dem Geburts­land der Menschen – selbst in der drit­ten Generation – ver­hin­dere eine Integration. Das zeigt sich auch in der Bildung – selbst nach zwan­zig Jahren funk­tio­niert in den Schulen die Aus- und Abgrenzung noch immer nach den glei­chen Mustern.

Islam, Emanzipation und sexu­elle Selbstbestimmung

„Es ist eine Besonderheit des Korans, wie detail­liert er sich mit dem Sex beschäf­tigt.” Arzu Toker sieht kaum eine Möglichkeit, den Islam dahin­gehend zu refor­mie­ren, dass die Unter­werfung der Frauen unter die Männer auf­ge­ho­ben wird. „Das wäre, als wolle man den Nordpol und den Südpol mit­ein­an­der ver­ei­ni­gen.”

Anders Seyran Ateş. Die Autorin des Buches „Der Islam braucht eine sexu­elle Revolution” sieht eine sol­che Ände­rung bereits längst im pri­va­ten Bereich voll­zo­gen. Woran es noch fehlt, sind„Moscheen, in denen Frauen Vorbeterinnen sind.”
Der Politiker Ali Utlu (Piratenpartei) begann sei­nen Vortrag mit den Worten „Islam heißt zwar Liebe, aber er for­dert den Tod von Menschen, die Menschen ihres eige­nen Geschlechts lie­ben.”Homosexualität werde zwar auch in isla­mi­schen Ländern gelebt, gilt aber trotz­dem als ein „Verbrechen” und wird in eini­gen Ländern schwer bestraft.

Islamismus, Antimuslimismus, Fremdenfeindlichkeit

Nachdem sich der kurze, aber hef­tige Streit um die Frage, ob der Islam ver­bo­ten gehöre, wie­der gelegt hatte, wurde im letz­ten Punkt des ers­ten Tages dar­über dis­ku­tiert, wie sich die obi­gen Begriffe von­einander abgren­zen las­sen. Yilmaz Kahraman und Lukas Mihr zeig­ten Gemeinsam­keiten zwi­schen Islamisten und Neonazis auf, wobei Kahraman sich auf den Begriff der „gruppen­bezogenen Menschen­feindlichkeit” als Definition des Rassismus berief. Er klärte über die grund­legenden Ideen des Salafismus, der Gülen-Bewegung und Millî Görüş auf.

Lukas Mihr ergänzte dies in sei­nem Beitrag, indem er die Nähe man­cher Extremisten am rech­ten und lin­ken Rand der Gesellschaft mit den Auffassungen der Islamisten dar­legte.

In einer flam­men­den und emo­tio­na­len Rede sprach Mina Ahadi über die Gründe ihrer Ablehnung des Islam und der DIK. „Solange die deut­sche Regierung mit den Islamisten zusam­men­ar­bei­tet, darf man die Deutsche Islam­konferenz nicht aner­ken­nen!”

Transkulturelles Lernen in der Schule

Der Sonntag begann mit einem hoch­ran­gig besetz­ten Podium, bei dem über die Möglichkeiten und Chancen des „trans­kul­tu­rel­len Lernens” dis­ku­tiert wurde. Der Philosoph Wolfgang Welsch zeigte auf, warum der Begriff der „trans­kul­tu­rel­len Gesellschaft” hilf­reich ist, um star­ren kul­tu­rel­len Normierungen ent­ge­gen­zu­tre­ten. Er ver­deut­lichte, dass alle Menschen „kul­tu­relle Mischlinge” sind und es daher unsin­nig wäre, Individuen auf eine spe­zi­fi­sche Gruppenidentität fest­zu­na­geln.

Dem mul­ti­kul­tu­rel­len Ansatz wurde damit eine klare Absage erteilt, zielt er doch, wie Necla Kelek sagte, dar­auf ab, dass „jede Bevölkerungsgruppe hier nur ihre eigene Kultur lebt” und sich daher von ande­ren abschot­ten müsse.

Markus Tiedemann vom Institut für Vergleichene Ethik der FU Berlin wies dar­auf hin, dass es bei der Bildung vor allem darum geht, „die indi­vi­du­elle Urteilskraft” der Kinder zu stär­ken. Hierbei sei ein all­ge­mein­ver­bind­li­cher gemein­sa­mer Ethikunterricht in den Schulen sinn­voll, der die Kinder und Jugendlichen nicht mehr nach ihren jewei­li­gen Herkunftsfamilien selek­tiert.

Philipp Möller, Autor des Spiegel-Bestsellers „Isch geh Schulhof”, zeigte auf, das Kinder und Jugendliche schon sehr früh dis­kri­mi­nie­rende Denkschablonen erler­nen, die mög­lichst früh­zei­tig infrage gestellt wer­den soll­ten. Die (ale­vi­ti­sche) Religionslehrerin Melek Yildiz plä­dierte dafür, mit den Kindern zu ver­su­chen, in ein „Einvernehmen” zu kom­men, um von Anfang an Ausgrenzungen gar nicht erst zuzu­las­sen.

Allianzen für eine trans­kul­tu­relle Gesellschaft

Schon als Vorbereitung der Abschluss­erklärung wurde in der letz­ten Diskussion dar­über nach­ge­dacht, was die Anwesenden ver­bin­det. Sunay Goldberg von der „Frankfurter Initiative pro­gres­si­ver Frauen” stellte noch ein­mal klar, dass die Integrations­debatte, die in Deutschland geführt wird und geführt wer­den muss, keine Debatte über Religionen sein sollte. Yilmaz Kahraman bestä­tigte dies und sprach davon, sich selbst als Angehörigen von vie­len ver­schie­de­nen Kulturen zu sehen. Aber „es sind immer die Menschen, die die Kultur tra­gen”. Insofern sind alle Menschen trans­kul­tu­rell.

Lale Akgün for­derte eine Ände­rung der Politik. „In den letz­ten Jahrzehnten wurde immer nur das Trennende, nie das Verbindende betont.” Dem stimmte Rolf Schwanitz zu, der dar­auf ver­wies, dass ein säku­la­rer Staat zu allen Religionen gleicher­maßen Abstand zu wah­ren habe.

Ali Utlu wehrte sich gegen die „mediale Zwangs­islamisierung”: „Ich wurde als Oderwälder, als Hesse, gebo­ren. In der Schule wurde ich ‘der Türke’ und nach 9/11 dann plötz­lich ‘der Moslem’.” Aus sol­chen Denkschablonen müss­ten wir aus­bre­chen, um end­lich die Menschen hin­ter den kul­tu­rel­len Etikettierungen zu erken­nen.

Nachdem es trotz oder viel­leicht sogar wegen der vor­an­ge­gan­ge­nen har­ten Kontroversen unter ein­zel­nen Konferenz­teilnehmern gelun­gen war, eine gemein­same Abschluss­erklärung zu verab­schieden, fasste gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon seine Eindrücke von der Zweiten Kritischen Islam­konferenz folgender­maßen zusam­men: „Es war erwartungs­gemäß ein har­tes Stück Arbeit, letzt­lich aber war die ‚Kritische Islamkonferenz‘ ein Erfolg! Wir hat­ten natür­lich schon im Vorfeld damit gerech­net, dass es unter den Teilnehmern der Konferenz zu hef­ti­gen Diskussionen kom­men würde. Ich denke, dass die Konferenz in die­ser Hinsicht gehol­fen hat, Ressentiments abzu­bauen. Es sollte klar­ge­wor­den sein, dass für die poli­ti­sche Debatte nicht ent­schei­dend ist, ob jemand gläu­big ist oder nicht. Wichtig ist viel­mehr, dass die­je­ni­gen end­lich zusam­men­fin­den, die die Selbstbestimmungsrechte des Individuums gegen reli­giöse oder ideo­lo­gi­sche Bevormundung ver­tei­di­gen möch­ten. Die 2. Kritische Islamkonferenz war ein guter Anfang für eine sol­che Zusammenarbeit – nicht mehr, aber auch nicht weni­ger.”

Nic


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