Die ARD hat wieder eine Themenwoche, alle schreiben drüber und ich gebe gern mal meinen mütterlichen Senf dazu. Weil ich mich schon öfter gefragt habe, wie ich meinem Kind Toleranz beibringe, wo sie für mich aufhört, was ich dann mache, wenn sie aufhört und wie das so bei anderen Eltern gehandhabt wird mit der Toleranz. Weil: im Zweifel knallts.
Unzweifelhaft ist Toleranz da geboten, wo es um Herkunft, Aussehen oder Fähigkeiten geht. Ich finde es schön, dass in unsere Kita viele Kinder aus anderen Ländern kommen, Indien, Finnland, Frankreich; viele sind zweisprachig. Offen gestanden weiß ich gar nicht, ob und welcher Religion die andren Eltern so angehören - allerdings hat es im Kitaalltag auch noch keine Rolle gespielt.
Ich habe mit dem Rübchen geschimpft, als sie sich einmal sehr dezidiert über die Mütze eines anderen Kindes lustig gemacht hat. Dieses stand da wie ein begossener Pudel. Mir geht das extrem gegen den Strich und es gab eine kleinere Standpauke. Toleranz fängt für mich eben da an: sich nicht über jemanden lustig machen, weil der etwas anderes hat, macht oder tut.
Gegenfrage: muss ich tolerieren, wenn ein älteres Kind mein Kind (was an sich schüchtern ist und sich nicht wehrt) auf dem Spielplatz so anschreit (Hau aaaab, du darsft nicht auf die Rutscheeeee!!!!), dass sie weinend die Flucht ergreift? Nö. (Ich hab stellvertretend zurückgeschrien.) Ich finde, dass schlechtes Benehmen von Kindern nicht toleriert werden muss und auch nicht darf, weder von Eltern, noch von anderen Betroffenen. Ich bitte auch alle Einkäufer im Supermarkt, sich direkt bei meinem Kind zu beschweren, wenn sie ihnen mit dem Einkaufswagen in die Hacken donnert.
Schlimmer: muss ich schlechtes Benehmen bei Erwachsenen tolerieren? Auch eine Spielplatzsituation. Wir parken das Laufrad mitsamt Puppensitz und Lolo (best Buddy, siehe rechts) auf dem Spielplatz und gehen schaukeln. Aus 10 Metern Entfernung sehen wir, wie eine Mutter ihren Sohn auf unser Rad hievt und er fröhlich klingelnd von dannen fährt. Derweil sitzt Lolo bei seiner Schwester im Puppenwagen.
Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass Schaufel, Eimer und Förmchen mal eben wortlos "ausgeliehen" werden.
Toleriert man das oder ist das kleingeistig? Ich will ja keinen Streit anfangen. Ich finde, dass Teilen wichtig ist. Teilen, nicht unfreiwillig hergeben. Wenn jetzt einer sagt, Helmer, du bist kleingeistig, kann man doch eben mal gut sein lassen, dann sag ich dem das auch, wenn ihm ein Fünfzehnjähriger das Handy abluchst. Da gibts für mich keinen Unterschied. Das, was jemand anderem gehört, darf ich nicht einfach wegnehmen, sondern muss fragen. Da bin ich nicht tolerant.
Tolerant kann man nur sein und nur dann Toleranz einfordern, wenn anderer Leute Eigentum, Rechte oder Freiheiten nicht betroffen sind. Leben und leben lassen ist das eine, Verletzen von Rechten das andere. Ich habe zu oft das Gefühl, dass gerade hier in Berlin dieser Unterschied keine Rolle spielt. Ich mag Berlin, weil hier jeder eine Nische findet, hetero-,homo-, trans- oder asexuell, christlich, islamisch oder zen-buddhistisch geprägt, konservativ oder anarchisch denkend, mit schwarzen oder bunten Haaren, arm, reich oder dazwischen. Keiner kuckt, wie jemand rumläuft. Jeder ist ziemlich frei, nach seiner Facon glücklich zu werden. Wenn wir daraus unseren "Berlin Dream" machen, dass wir jedem seinen Platz lassen, ihn so annehmen, wie er ist und jedem zugestehen, seinen Weg zu finden, fände ich das wunderbar. Im Großen und ganzen klappt das auch. Ich finde es toll, mein Stadtkind in einer Umgebung von vielfältigen Meschen und Lebensformen aufwachsen zu sehen.
Aber ich kann nicht hinnehmen, dass das, worauf dieses tolerante Miteinander fußt, nämlich den anderen mit seinen (grundgesetzlichen) Rechten und Freiheiten zu respektieren, durch falsch verstandene Toleranz erodiert. Wer unter dem Motto "gegen Gentrifizierung" Autos in Brand steckt, darf keine Toleranz ob seines Motivs erfahren, genauso wenig, wie derjenige, der unter dem Deckmantel von Religion oder Herkunft sich über andere erhebt oder gewalttätig wird. Toleranz erfordert eine gewisse Gleichheit - nämlich die der Freiheit und der Rechte.
So, mein Wort zur Themenwoche. Ich würde gern hören, wie es euch so im Alltag geht, mit der Toleranz - der Duldsamkeit und des Geltenlassens...?