Gelesen… Sabine M. Gruber – Beziehungsreise

Cover_Beziehungsreise

Reisen sind für gewöhnlich Ausnahmesituationen oder auch die Feuerprobe für eine Beziehung, doch in Beziehungsreise sind sie die Konstante, die die Beziehung zwischen Marcus und Sophia aufrechterhält und ihr doch gleichzeitig die Kraft raubt.

Der Roman schildert diese außergewöhnliche und prägende Beziehung entgegen der Chronologie: Er beginnt mit dem Ende und jedes folgende Kapitel zeigt die vorangegangene Station der Beziehung der letzten neun Jahre – immer während einer Reise. Diese Reisen führen den Leser unter anderem von der Steiermark nach Ungarn, Portugal, Tschechien, über Island und zum Salzkammergut.

Buchtrailer

Marcus‘ und Sophias Charaktere schillern, genauso wie ihre Beziehung und da die Vorgeschichte der beiden noch unbekannt ist, schätzt man als Leser die Beziehung der beiden von Kapitel zu Kapitel anders ein und revidiert seine ersten Urteile. Die Frage nach den Warum, wie es zur Beziehung gekommen ist, wie sie sich so entwickeln konnte, und ob es am Anfang anders war, lässt einen Spannungsbogen entstehen, der sich bis zum Schluss hält.

Die Szenerie und die aufgeladene Stimmung des ersten Kapitels haben mich zunächst vor den Kopf gestoßen, sowie der gewöhnungsbedürftige Fragestil, der sich vor allem zu Beginn des Romans häuft; er lässt Eindrücke unklar und gleichzeitig nuanciert erscheinen:

„Flüstert sie es? Sagt sie es laut? Schweigen am anderen Ende des Bettes. Zornig? Wütend? “ (S. 11)

Ich habe den Roman passenderweise während einer Reise, hauptsächlich im Zug, weitergelesen, was mir geholfen hat, mich nach anfänglichen Schwierigkeiten in den Roman einzufinden und die Beziehungsprobleme besser nachzuvollziehen, denn mir ist klar geworden, dass diese Verhaltensmuster gar nicht so außergewöhnlich sind wie sie mir anfangs als Außenstehende schienen.

Grubers Schreibstil ist sehr anschaulich, besteht oft aus kurzen Sätzen, die den Augenblick und ein Gefühl einfangen und auf diese Weise die Reiseeindrücke sehr gut wiedergeben. Sie arbeitet mit intertextuellen Bezügen und lässt z.B. Wissen aus Reiseführern und Fachbüchern einfließen, das die Charaktere besser beleuchtet.

Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Szene, in der Sophia einen Roman liest und selbst zur Protagonistin wird. Dabei wird sowohl ihr Zwiespalt zwischen lesen und selbst schreiben und die (nicht nur literarische) Kluft zwischen ihr und Marcus deutlich:

Nach wenigen Sätzen schon ist die lesende Frau keine lesende Frau mehr, sondern nächtliche Mitbewohnerin auf dem Boot, dem Hausboot […]. Die ehemals lesende, ehemals schreibende Frau begleitet den Exautor von diesem unbemerkt auf seiner Rundreise […].

Sie werden nicht miteinander schlafen, obwohl Marcus‘ kleines urologisches Problem, über das er monatelang geschwiegen hat, inzwischen behoben ist. Soviel sie weiß. Lieber wird er fernsehen. Sophia hingegen wird auf dem Hausboot am Balkan übernachten […] (S. 53 ff.).

Erhellend und abwechslungsreich sind die Gespräche zwischen Sophia und ihrem Therapeuten – Sie durchbrechen die auktoriale Erzählperspektive und geben direkte Einblicke in Sophias Wahrnehmung. Sophia erzählt aus ihrer Perspektive und es ist traurig zu lesen, wie sehr sie die Lage überblickt und letztlich gegen jede Vernunft zu handeln scheint, sich Marcus unterordnet, ihm und anderen alles recht macht, seine Launen und seine Rücksichtslosigkeit aushält.

Der Roman weckt Erlebnisse und Gefühle, die jeder aus einer Beziehung und dem Verreisen als Paar kennt. Ich war zunächst verständnislos, was Sophia und Marcus überhaupt verbindet und warum sie zusammenbleiben, aber es ist wie so oft:

„Verliebt man sich nicht immer in die Möglichkeiten eines Menschen, in das, was er sein könnte?“ (S. 81)

Doch ist es zwingend notwendig, dass der Roman rückwärts verläuft? Ich halte es für das Ende einer Beziehung angemessen: Was bleibt, ist die Vergangenheit…

„Manches, finde ich, ist schon in dem Augenblick vergangen, in dem es vorbei ist. Andere Sachen brauchen ewig, um vergangen zu sein.“ (S. 86)

Zudem entsteht eine neue Leseerfahrung, ich kannte das Rückwärtserzählen bisher nur aus dem Film Memento. Würde der Roman auch vorwärts funktionieren, d.h. wenn ich ihn von hinten nach vorne gelesen hätte? Der Spannungsaufbau würde größtenteils erhalten bleiben, allerdings unter der Fragestellung, ob die Beziehung unter diesen Umständen halten oder zerbrechen wird?

Fazit

Beziehungsreise ist ein gelungenes Experiment, nicht nur formal, sondern auch inhaltlich, auf das man sich einlassen muss: Eine traurige und berührende Liebesgeschichte ohne Kitsch, mit vielen Enttäuschungen, Ängsten, Zwängen, unausgesprochenen Erwartungen und Wünschen – Eine Kombination, die überzeugend und mit psychologischer Tiefe dargestellt wird. Der Roman regt zum Nachdenken an, bereichert und wirkt noch lange nach.

4,5 Sterne



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