Ihr Nachbar Lennie, als Homosexueller stigmatisiert und in der Nachbarschaft gemieden, bemerkt das Fehlen der Eltern und kümmert sich um die beiden Mädchen.
Und da ging es mir auf. Diese Mädchen verbergen nichts, nein, sie kennen es nicht anders, als es jetzt ist. Die Abwesenheit ihrer Eltern ist entsetzliche Realität, schon ihr ganzes Leben lang.
Die Mädchen führen ihr Leben in Glasgow trotz der Lüge fort. Die 15-jährige Marnie hängt mit ihren Freundinnen ab, geht zur Schule und arbeitet nebenbei für einen Drogendealer. Ihrer jüngeren Schwester Nelly fällt es dagegen schwerer, weiterzumachen. Sie klammert sich an den fürsorglichen Nachbarn Lennie und ihre gemeinsamen Nachmittage mit Tee und Himbeer-Crumble. Als sich der Großvater der Mädchen einschaltet und ihre Mutter finden will und ein Dealer die Schulden aus einem Drogengeschäft ihres Vaters einfordert, ist es nur eine Frage der Zeit, wie lange die Schwestern ihre Lüge aufrechterhalten können.
Diese Ausgangssituation erinnert an Ian McEwans Der Zementgarten. Dort ist die Perspektive allerdings nach innen gerichtet: Nach dem verheimlichten Tod der Eltern wird die Beziehung sowie die Rollenverteilung der Geschwister untereinander thematisiert, da die Familie sozial isoliert lebt. Bei Bienensterben hingegen öffnet sich die Perspektive nach außen.
Erzählt wird diese ungewöhnliche Geschichte abwechselnd aus den Ich-Perspektiven von Marnie, Nelly und Lennie. Jeder erzählt zwar auf seine Weise, doch um sie unterscheidbar zu machen, schwanken die Stimmen zwischen den Extremen: von saloppen Fluchereien, ignorantem Geplapper, zu gekünstelten, teilweise hochgestochenen und altmodischen Ausdrücken. Die Perspektiven erscheinen manchmal mehr ein Konstrukt als eine individuelle Figurensicht zu sein.
Die Eigenheiten der Figurensprache werden dabei zu einer Barriere, einen angemessenen Gefühlszugang zu der Handlung und den Figuren zu finden. Soll der Leser erleichtert sein, dass die Schwestern keine Eltern mehr haben, oder aufatmen, wenn jemand wieder eine ihrer Lügen abgekauft hat, sie bemitleiden oder sich beklemmt fühlen, weil ihnen so etwas passiert? Im Laufe des Romans wird es leichter, das zu beurteilen, vor allem, weil die Mädchen beginnen, die Beziehung zu ihren Eltern zu reflektieren, und selbst Marnies Fassade rissig wird – denn auch sie ist im Grunde schutzlos und nur auf der Suche nach Rückhalt und jemanden, der sie liebt.
Keine Ahnung, warum ich gekotzt und mich warm und klebrig gefühlt hab vor Angst. […] Warum mir diese zwei abartigen Personen fehlen, meine lieblosen, egoistischen Eltern. […] warum ich so leide wegen einer Mutter und einem Vater, die nie da waren. Und da kapier ich es auf einmal: Ich weine um das, was hätte sein sollen.
Bienensterben ist Lisa O’Donnells Debütroman und sowohl eine Coming-Of-Age-Geschichte als auch eine Milieudarstellung. Es geht um soziale Randgruppen und darum, wie sehr das Umfeld ihre Sprache, ihr Denken und Handeln prägt. Damit drängt sich natürlich die Frage nach der sozialen Determiniertheit aus, ebenso was Familie bedeutet und wer Familie füreinander sein kann.
Fazit
Bienensterben verleiht den gesellschaftlichen Außenseitern eine Stimme und erzählt aus drei Perspektiven davon, wie zwei Minderjährige in einem Milieu von Alkoholismus, Drogen und Lieblosigkeit aufwachsen und wie sehr sie Erwachsenen und den Behörden ausgeliefert sind. Die eigenwillige Sprache der Figuren und die (manchmal unnötigen) Perspektivwechsel sind eine Bereicherung und eine Hürde gleichermaßen: Mitunter wirken sie stark gekünstelt und bauen eine Distanz und Unverständnis gegenüber dem Geschehen und den Figuren auf.