Gelesen – Alix Ohlin: In einer anderen Haut

Von Wortgalerie

Der Titel des Romans spiegelt gleichzeitig sein Motiv wider: Man kann nicht aus seiner Haut heraus. Selbst wenn man es versucht und sich durch Helfen und Mitgefühl in sein Gegenüber hineinversetzt, bleibt man machtlos – weil man eben doch nicht in der Haut des anderen steckt und dessen Entscheidungen treffen kann, weil manche Menschen sich nicht helfen lassen wollen und weil wir alle Gefühle verbergen; vor uns und vor anderen.

Der Leser begegnet im Laufe des Romans immer wieder drei Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen, an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten. Montréal, New York, Los Angeles, Kigali, Iqualit im Zeitraum von 1994 und 2006; wobei nicht streng chronologisch erzählt wird und auch immer nur Etappen aus diesen Jahren beschrieben werden.

Die Leben der Hauptfiguren Grace, Mitch und Annie sind miteinander verwoben – gemeinsam ist allen Handlungssträngen, dass es ums Helfen und um Empathie geht. Würde man sie komprimieren, sähe die reine Handlungskette so aus:

Grace hilft Annie als Therapeutin und als Mensch. Annie hilft Hilary, die von zu Hause weggelaufen ist, und lässt sie bei sich wohnen. Mitch hilft wiederum Grace, von der er mittlerweile geschieden ist, besucht sie im Krankenhaus nach einem Unfall und kümmert sich auch weiterhin um sie. Damit schließt sich der Kreis, der das Zusammenwirken von Vergangenheit und Gegenwart aufzeigt – dies wird aber nur gestreift und bleibt in der Detail- und Informationsfülle zu oberflächlich.

Die fehlende Tiefe macht sich ebenfalls bei den Figuren bemerkbar: Sie verschwinden hinter dem dominanten Konstrukt, auf dessen Pfeiler sich der Roman stützt. Als Grace über 100 Seiten später zum zweiten Mal auftritt, hat sie keinen bleibenden Eindruck beim Lesen hinterlassen, und ich musste kurz überlegen, worum es in ihrem Kapitel ging.

Genau hier sehe ich den Schwachpunkt: Alix Ohlin verliert sich in unwichtigen Details und wird nicht müde, immer weitere Handlungsfäden dazuzuspinnen. Auf diese Weise haben schöne Gedanken nicht die Zeit, um zu wirken und Stimmung zu erzeugen – sie werden verschenkt, wie dieses Beispiel zeigt: Es stellt sich heraus, dass Hilary seit Jahren Postkarten an ihren bereits verstorbenen Bruder schickt. Annie erzählt dies Hilarys Onkel – leider ist der Dialoge dieser Szene so plump, dass er die schöne Idee mit den Postkarten kaputt macht:

„[…] Das mit den Postkarten wusste ich nicht. Ist das wahr? Es bricht mir das Herz.“

Sie glaubte ihm. (S. 168)

Ein paar Handlungsstränge weniger und straffere Dialoge hätten dem Roman sicherlich gut getan. Davon abgesehen lässt sich In einer anderen Haut flüssig und angenehm lesen, dennoch ist der Schreibstil nicht besonders erwähnenswert, da er zu wenig Gefühl vermittelt und an einigen Stellen zu formelhaft ist:

 „[…] die kleine Wohnung wirkte gähnend leer. Eine Zeit lang ging sie, durcheinander und gedankenverloren […]“ (S. 170)

Über einen Satz bin ich gestolpert, weil er derart umständlich formuliert ist und zudem noch einen Druckfehler enthält:

„Die meisten anderen Schauspieler hatten das Stück bereits einen guten Monat lang in Soho aufgeführt, und sie fühlte sich völlig fehl am Platz, wie eine dissonante Note in einer Melodie, die diese, ohne sie zu singenn [sic!] gelernt hatten.“ (S. 173)

Dass es auch anders geht, zeigt dieser Abschnitt:

„Sein letztes Wort war stets aber. Wahrscheinlich war es auch sein letztes Wort überhaupt gewesen. Sie machten nicht Schluss miteinander; stattdessen entfernten sie sich immer mehr voneinander. Erst kam er nicht mehr zu jeder Aufführung, dann ließ er sich gar nicht mehr blicken, und sie ließ es einfach geschehen, wobei es sie überraschte, dass es mehr wehtat als erwartet. Für eine andere, bessere Ausgabe von ihr wäre er der perfekte Mann gewesen.“ (S. 156f.)

Etwa ab der Hälfte des Romans wird inhaltlich so viel vorweggenommen, dass vorhersehbar ist, was in der Zwischenzeit passiert sein muss – die übrigen Handlungsstränge, die in der Vergangenheit spielen und die scheinbaren Wissenslücken des Lesers auffüllen, verlieren deshalb an Reiz und Spannung.

Fazit

Die Romankomposition erinnert an Ensemblefilme, in denen sich die Leben mehrerer Menschen kreuzen. Doch leider dominiert bei In einer anderen Haut die Grundidee des gegenseitigen Helfens zu stark. Es fehlt an Eindringlichkeit und Emotionen, bewegenden Szenen und einer angemessenen Umsetzung der guten Ideen, die durchaus zu finden sind.

Zurück bleibt der Leser lediglich mit ein paar verschwommenen Bildern von drei einsamen Menschen und der Grundaussage, dass letztlich jeder nun einmal in seiner Haut steckt und über sich selbst bestimmt – so sehr andere auch helfen wollen oder ihm von etwas abbringen wollen.

Alix Ohlin: In einer anderen Haut. C.H. Beck Verlag 2013. 351 Seiten. 19,95 €. ISBN: 978-3-406-64703-1.

Ein Rezensionsexemplar von C.H. Beck und