Mein derzeitiges „Hauptbuch“ (das schon mehrmals erwähnte große Leseprojekt) kann man aus Formatgründen nicht in öffentlichen Verkehrsmitteln lesen, daher las ich beim U-Bahn-Fahren Lutz Geldsetzers amüsante Philosophiegeschichte „Die Philosophenwelt. In Versen vorgestellt“. Dieses Reclamheft habe ich irgendwo aufgegabelt und jetzt mit größtem Amüsemang gelesen. Geldsetzer eilt mit dichterischen Siebenmeilenstiefeln durch die Philosophiegeschichte von den Vorsokratikern bis zu den modernen Dekonstruktivisten.
Sinnvoll ist die Lektüre daher nur für jemanden, der sich ein wenig in der Philosophiegeschichte auskennt, denn nur dann kann man die witzigen und häufig auch sehr kritischen Seitenhiebe des Autors richtig würdigen, die er seinen Philosophen angedeihen lässt.
Von der Form her ist das Buch das einfachste, was auf dem Sektor des Verseschmiedens geht: durchgehend jambische Vierheber im Paarreim. Aber das passt sehr gut zur Grundhaltung Geldsetzers, die sich mit „gesunder Menschenverstand“ umreißen lässt. Er fällt daher nicht auf philosophische Schlagworte herein, sondern kratzt mit den Mitteln des Humors an den Geistesgrößen, bis der „Lack ab“ ist.
Nehmen wir als Kostprobe einen Teil des Kapitels über Epikur. Nachdem Geldsetzer dessen atomistisch-materialistische Weltsicht kurz beschrieben hat, heißt es vom Menschen, er sei: „Ein zufällig’ Atomgemisch / das lebt und denkt und sorgt für sich. / Der Zufall, dem er selbst entstammt / hat ihn zur Freiheit auch verdammt. / In dieser instabilen Lage / wird ihm das Leben leicht zur Plage. / Drum muß er, zweitens, etwas finden, / sich so mit andern zu verbinden, / daß ihm das Schutz und Halt verleiht: / ein Molekül der Sicherheit. / Dies schafft der Freundschaft Liebeslust, / wie schon Empedokles gewußt. / Als einziges soziales Band / hat er nur diese anerkannt. / Kein größer Gut gibt es auf Erden, / als eines Freundes Freund zu werden. / Gesellschaft, Staat und Großverbände / hielt er für schwankendes Gelände. / Der Weise hält sich davon fern, / beschränkt sich auf die Freunde gern. […] Der Meister, den man sehr verehrte, / in seinem Garten solches lehrte. / Die Schüler saßen drum herum, / das war dann ein Symposium, / bei dem mit Wein, Weib und Gesang / und vieler voller Becher Klang / die Lehre sich der Tat verband, / der Freundschaft Freude Pflege fand.“ (S. 35f)
Und zum Beispiel über Nietzsche (die Versgrenzen-Schrägstriche lasse ich jetzt weg):
„Doch hat von Lebensphilosophen noch keiner Nietzsche übertroffen, ihn, der Darwinscher Theorie nun metaphysisch Rang verlieh. Für ihn in jederlei Gestaltung ist Leben pure Machtentfaltung, durch die der Starke, wie er kündet, die Schwachen siegreich überwindet. Doch wehe, wenn sich Schwache nun zu eignem Schutz zusammentun, so wie er meint, daß Juden, Christen dieses schon getan mit Hinterlisten, als sie gelehrt, man soll der Armen, der Kranken, Schwachen sich erbarmen. Das – greint er da mit viel Getöse – sei in der Welt das einzig Böse. […] ‚Philister‘ nennt er rundweg alle, die nicht erlagen seinem Schwalle von pretiösen Worten, die Eindruck machten allerorten. […| Wer kein Philister wollte sein, ließ sich auf seine Botschaft ein, was dann den braven Bürger machte, der ohnehin darwinisch dachte. Bald lag der vor Verdun im Dreck mit ‚Zarathustra‘ im Gepäck und meinte, daß aus dem Stahlbad eh’ der neue Übermensch entsteh’.“ (S. 200-202)
Lutz Geldsetzer: Die Philosophenwelt. In Versen vorgestellt. Reclam, Stuttgart, 1995. RUB 9404. 306 Seiten. Mit bibliographischem Namenregister und Sachregister.
Bild: Wolfgang Krisai: Das Nietzsche-Haus in Sils-Maria. Tuschestift-Zeichnung, 2009.