Gekentert. Die deutsche Netzwelt nach dem Scheitern der Petition gegen das Leistungsschutzrecht (#LSR)

Erstellt am 16. Oktober 2012 von Countup

Die Petition gegen das Leistungsschutzrecht (LSR) ist gescheitert. Nun beginnt das Nachdenken, wie das geschehen konnte. Als mögliche Schuldige kommt das Schweigen der klassischen Medien in Frage. Dann die Piraten sowie die "Netzgemeinde" selbst. Dieser Artikel entspringt dieser Stimmung zwischen Enttäuschung und Ärger. Er ist sicherlich keine entspannte Schau auf das Geschehen. Vielmehr der Versuch, sich zu orientieren.

Zur Lage nach dem Scheitern bei den Betroffenen

Frage nach bei Springer und du hörst Siegesrufe. Frage nach bei den Piraten und du hörst sowohl Trauer als auch Vorschadensfreude, Google werde die Verlage auslisten aus der Suchmaschine - zumindest aus Google News. Und frage nach in der Netzgemeinde, sie sind enttäuscht oder fragen sich, ob es sie je gab.
Die Gegner des Gesetzes schafften es nicht, das Thema auf die Agenden der klassischen Medien zu setzen. Fakt. Ob sie es nicht vermochten, weil sie selbst zu wenig einflussreich sind oder diese Medien es versagten aus Respekt den Verlagen gegenüber, ist eine interessante Frage, aber klärt nicht alles. Letztlich drückt sich hier das Mediensystem der Bundesrepublik Deutschland aus mit all seinen Verstrickungen der klassischen Medien mit bestimmten Verlagen und Medienhäusern untereinander. Dass nun Suchmaschinen die neuen, aber anderen, vollautomatisierten, "Gatekeeper" sind mit ihren diversen Filtersystemen, das rüttelt ganz schön an diesen alten Strukturen, deren eingeübten Routinen nicht mehr so funktionieren, wie von früher gewohnt. Um diesen Erhalt kämpft allerdings die Lobby, die das Gesetz in den Koalitionsvertrag dieser Regierung brachte. Es ist kein Kampf rechts gegen links, es ist ein Kampf der Interessenvertretungen Off- versus Online. Es ist ein Kampf, der noch keinen adäquaten Begriff hat, der der Rolle und Funktion von Suchmaschinen gerecht wird. Und SEO statt Agenda Setting - das funktioniert nicht.

Aktuelle Betrachtungen zu den Piraten

Und da zeigt sich nun, dass die Piraten dabei sind, ihre Identität zu verlieren mit einer Kernkompetenz "Online" so wie sie die Grünen halten im Bereich "Umwelt". Dass nicht mehr alle Piraten Onliner sind, dürfte an der Ausrichtung der Kernkompetenz nicht unbedingt etwas ändern: Auch nicht alle Grünen sind Biobauern. Viele Piraten erschienen mir angesichts Leistungsschutzrecht so motiviert wie die Mehrheit der Beölkerung Deutschlands: einfach daran nicht interessiert. Das betrifft selbstverständlich nicht alle Piraten - nicht, dass sich wieder die Engagierten melden, die Seite an Seite mit mir darüber twitterten oder bloggten.
Die Petition wurde zwar von einem Piraten eingereicht, aber erstens war es nur ein Pirat im Alleingang und zweitens: Es war ein Pirat. Kein Neutraler. Kein Parteiloser. Wenn dann aber wenigstens die Parteimitglieder zu ihm gehalten hätten, alle Piraten mobilisiert hätten, die Petition zu unterzeichnen, wäre die Petition nicht gescheitert. Sie ist es aber.
Einige Piraten weigerten sich, die Petition zu unterzeichnen - was ihr gutes Recht ist, aber fraglich sind die Gründe, die ich von einigen hörte. Am weitesten verbreitet scheint mir die vorgelagerte Schadenfreude zu sein, das Gesetz könne eh nur scheitern und sie wollten zusehen, wie das geschehe. Springer gegen die Wand Google - und Klatsch! Diese Haltung erachte ich als politisch unreif. Und nichts als unreif. Scheitern des Gegners als politische Pädagogik? Um sein Mütchen zu kühlen? Der politische Gaffer als neue Form der Zivilgesellschaft? Nein! Den Anblick kann ich mir ersparen. In der Zwischenzeit kann man an Sinnvollerem arbeiten anstatt bloß zu warten und zusehen zu wollen.
Auf die Piraten kann nicht mehr der setzen, der eine Interessenvertretung in Sachen Online sucht. Das ist ein wichtiges Fazit aus diesem Scheitern der Petition. Einige einzelne werden mitmischen, auf viele oder gar alle darf man nicht setzen.  Die Piraten täten gut daran, nicht ihre ihnen als Kernkompetenz unterstellte Basis "Internet", wegzuwerfen wie ein Kleidungsstück, das man wechseln kann wie man möchte. Es entstand allerdings der Eindruck bei einigen, dass sie das nun wollen. Schade. Und Gaffermentalität voller Inbrunst vorgetragen - so stelle ich mir nicht Zivilgesellschaft im Internet vor.

Wen juckt das "Leistungsshutzrecht"?

Die Petition scheiterte, weil schon allein das Wort "Leistungsschutzrecht" so sexy ist wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt: Wen kümmert sowas? Als Wort zu lang. Zu viele Silben. Und dann das erste Antasten an den Inhalt: Es geht nicht um jedermanns Leistung, auf die nun jeder einzelne ein Recht erhielte, die seine zu schützen. Es geht um Verlage und Google, das nie erwähnt wird, aber jeder leise mitliest, da Google die erste und bei vielen einzige Assoziation ist, die aufkommt. Warum also einmischen, wenn man dann der dritte ist, der hinzukomt, da die zwei sich ganz offensichtlich streiten? Warum einmischen, wenn keiner sieht, wo bei diesem Gesetz der eigene Gartenzaun entlang läuft?
Versuche meinem Nachbarn zu erklären, worum es ginge bei diesem Gesetz, scheiterten kläglich. Was nach dem oben beschriebenen schon zu erwarten war. Was interessierten ihn die Verlage? Was Google? Erst recht, dass es eine gewisse Dringlichkeit gäbe. Hinzu kam die Sprache der Petition, die ebenso unerotisch daherkam: Wen macht dieser Text an? Wer fühlt sich hier so angezogen, dass er sich in die Liste der unterschreibenden Buhler einreihen will? So waren sowohl Gesetz als Petition schon rein sprachlich eine Katastrophe, mit denen keine Kampagne zu reißen ist.
Das Recht verdankt sich so sehr einem alten Denken rund um Verlage ohne Internet, dass es die Jetztzeit gar nicht erreicht. Wir sind schon weiter und erfahrener als das Gesetz suggeriert: Google kennt fast jeder. Die Snippets möchte keiner missen. Sie erleichtern den Klick auf den als passend vermuteten Link bei einer Suche.

Fazit

Es ist so als entsprünge das Gesetz einem Kopf, der kräftig auf die Bremse tritt und meint, die Zeit damit anzuhalten oder zurückzudrehen. Als meine er das nicht nur zu können, sondern sogar zu müssen. Und dass er so wichtig ist, dass Google ihn nicht auslisten würde - und verschweigt dabei, dass er es selbst könnte, wenn er keine Auflistung wünsche. So jemand handelt mit dem Selbstbewusstsein des Gatekeepers und Opinion Leaders vergangener Tage. Heute mit und im Netz ein Anachronismus. Es würde nicht schaden, wenn er es bei einer Tasse Beruhigungstee im Altenheim täte. Aber er macht es Hand in Hand mit der Bundesregierung, die sein Anliegen sogar in den Koalitionsvertrag nahm. Und es schwappt nun als Gesetz in unser täglich Leben, aber vermutlich bleibt nicht einmal ein Fleck. Etwas reiben - und alles ist wieder in Ordnung. Beziehungsweise man rührt es nicht mehr an. Es schafft eine neue Unübersichtlichkeit. Neue Abmahnwellen. Mehr nicht. Und der alte Gatekeeper konnte noch einmal aufstampfen. So richtig. Nur dass der Staub, den er damit aufwirbelt, der Staub seiner Tage ist, der sich nun aufs Internet legen soll, aber immer wieder weggeweht werden wird - oder wie jetzt: einfach liegen bleibt und keinen kümmert es.
(Überarbeitet)