Geistige Stärken von Mann und Frau

Psychologische Eigenarten der Geschlechter existieren – und sie haben durchaus auch biologische Wurzeln.
Aus: Gehirn&Geist;, Januar-Februar 2011
Typisch er, typisch sie! Steckt dahinter womöglich mehr als nur Vorurteile oder der Einfluss der Erziehung? Älteren Theorien der Entwicklungspsychologie zufolge bestimmt vor allem das soziale Umfeld über etwaige Vorlieben: Jungen imitierten eher ihre Väter, Mädchen die Mütter. Erziehung und gesellschaftliche Normen trügen dazu bei, dass der Nachwuchs schon früh in die für ihn vorherbestimmten Rollen schlüpfe. Doch wie Forscher heute wissen, lenken noch vor dem sozialen Umfeld Gene und Hormone die geistige Entwicklung der Geschlechter in verschiedene Richtungen – das berichtet das Wissenschaftsmagazin Gehirn&Geist; in seiner aktuellen Ausgabe (1-2/2011).
So lösen Männer Aufgaben zum räumlichen Vorstellungsvermögen im Schnitt besser als Frauen, während diese in puncto Sprachfertigkeit und Erkennen von Emotionen die Nase vorn haben. Die männlichen Vorteile bei der "mentalen Rotation" zeigen sich früh; nach neuen Erkenntnissen sogar schon bei wenige Monate alten Babys! Präsentiert man Jungen das Spiegelbild einer vertrauten, dreidimensionalen Figur, scheinen sie diese als "unbekannt" zu klassifizieren – sie starren entsprechend lang darauf.
Mädchen hingegen machen keinen Unterschied zwischen Bild und Spiegelbild, wie David Moore und Scott Johnson von der University of California in Los Angeles 2008 berichteten.
Auch auf dem Gebiet der Gefühle gibt es auffällige Unterschiede: Demnach hat die verbreitete Annahme, dass Frauen mitfühlender und sensibler für emotionale Reize sind als Männer, einen wahren Kern. Möglicherweise benötigten unsere männlichen Ahnen ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen eher, weil sie sich auf ihren Jagdausflügen sonst verirrt hätten. Dagegen wäre besonders viel "weibliche Intuition" erforderlich gewesen, um den Bedürfnissen der Sprösslinge gerecht zu werden und etwa Hunger oder Schmerzen aus deren Gesichtern zu lesen. Solche Theorien sind jedoch kaum überprüfbar.
Auch bei psychischen Erkrankungen gilt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu berücksichtigen, wie Gehirn&Geist; erklärt. Rund vier Prozent aller Erwachsenen leiden an Depressionen, damit sind sie das häufigste psychische Leiden. Doch ein Blick auf die Statistik zeigt: Frauen werden mehr als doppelt so häufig als depressiv diagnostiziert wie Männer.
Ein möglicher Grund: Während sich die meisten Patientinnen niedergeschlagen und leer fühlen, sind schwermütige Männer häufig reizbar und aggressiv. Folglich missverstehen Betroffene, Angehörige, aber auch Therapeuten die männliche Depression leicht als generelle Unruhe, und die wahre Störung bleibt unerkannt.
Wirksamkeitsbelege für Antidepressiva stützten sich bislang vornehmlich auf Studien an männlichen Probanden, da die Hormonschwankungen im Menstruationszyklus die Ergebnisse verzerren können. Vor einigen Jahren bewies die Psychiaterin Susan Kornstein von der Virginia Commonwealth University in Richmond mit einer Studie, dass Männer schlechter auf SSRI ansprechen als Frauen. Diese verbreiteten Antidepressiva scheinen unter Einfluss von Östrogenen besser zu wirken.

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