Immer wieder geben buddhistisch Praktizierende den Dharma auf, wenn sie sich großen Schwierigkeiten und Herausforderungen gegenüber sehen. Das ist einfach aufgrund der Person selbst, da sie eine falsche Vorstellung vom Dharma hat. Der Dharma wird nicht praktiziert, um Macht, Ruhm, Ansehen, Reichtum, angenehme Lebensumstände o.ä. zu erlangen. Allein das Wort „Dharma“ – befreiende Information – verweist schon auf den Zweck der Übung. Es geht darum, Befreiung von den wiederkehrenden quälenden Geisteszuständen – dem Leiden – zu erlangen und die Natur des Geistes, diesen beständigen Strom präsenten Erkennens, zu erlangen.
Wenn man beispielsweise den Ansatz des Vajrayana verfolgt, dann ist es zunächst wichtig, einen passenden Lehrer und eine ungebrochene Übertragungslinie zu finden. Dann erbittet man von dieser Person die entsprechenden Ermächtigungen, Einweihungen, Übertragungen und aufzeigenden Lehren. Natürlich soll man dabei wie ein hungriger Yak sein, der sich, noch während er den einen gegenwärtigen Grashalm verschlingt, schon nach einem nächsten umsieht. Aber das ist eine bildhafte Beschreibung für die Motivation, dass man im Bestreben nicht nachlassen soll und möglichst viele Verbindungen zu Lehrern und Praktiken herstellen soll. Jedoch soll und kann es nicht dabei bleiben.
Geist – die Wurzel von allem
Empfangene Übertragungen wollen auch praktiziert werden. Es genügt nicht, Einweihungen und hochrangigen Lamas nachzujagen. Wenn man das auf diese Weise verfolgt, landet man irgendwann in der Sackgasse der eigenen oberflächlichen Gedanken und Ansichten. Und das sind dann die Ursachen dafür, dass man das unmittelbare Training im Dharma, die Praxis auf dem Kissen und ggf. das Ausführen von Pujas, Wunschgebeten etc. aufgibt, wenn große Schwierigkeiten auftauchen. Stattdessen ist es erforderlich, den Dharma auch zu studieren, sich mit den Lehren eingehender und tiefer zu befassen.
Daher soll man sich auch mit den grundlegenden Lehren wie den Belehrungen zum Stufenpfad und dem Geistestraining vertraut machen. Selbst wenn man hunderte Ermächtigungen empfangen hat und man unzählige Praxisutensilien für die Rituale besitzt, wird man keinen Nutzen daraus ziehen, solange man nicht sich mit der Wurzel von allem – dem Geist – vertraut gemacht hat. Vielmehr werden diese Ermächtigungen und Praxisutensilien sich in Ursachen für aufgeblasenes Verhalten, Stolz, kleingeistiges Anhaften und dogmatische Fixierungen verwandeln. Die Praxis des Geistestrainings ist daher fundamental wichtig.
Geistestraining
Die Notwendigkeit für ein Geistestraining ergibt sich aufgrund des Zähmens des gewöhnlichen Geistes. Und dies geschieht am Besten über die Anwendung im Alltag. Am Meditationskissen, bei Pujas etc. kann man die besten Zuständen kultivieren und sich sogar darin verlieren. Der Erfolg einer Übung zeigt sich aber erst, wenn man außerhalb der Trainingssituation in den Zwischensitzungszeiten auf ganz gewöhnliche Herausforderungen des Alltags stößt. Dann erst zeigt sich, wie gut Sichtweise und Geisteszustände kultiviert wurden. Ist man sich des momentanen Geisteszustandes gewahr? Verlangt man nach besseren Gefühlszuständen? Lehnt man schwierige Lebensmomente ab, will sich diesen sogar verweigern? Oder hat man es tatsächlich geschafft, sich mit der überweltlichen Sicht vertraut zu machen und ist der Geistesstrom von dieser Sicht durchdrungen worden?
Erste Erfolge zeigen sich beispielsweise darin, dass man sich des üblichen reflexartigen Reagierens auf Situationen überhaupt einmal bewusst wird. Es kann sich auch dadurch zeigen, dass man Ursache-Wirkungszusammenhänge erkennt und nicht immer andere oder eine diffuse Schicksalsmacht – manchmal als „Leben“ oder in einer falschen Auffassung als „Karma“ bezeichnet – dafür verantwortlich macht. Denn mal Hand auf’s Herz. Wer oder was ist den das „Leben“? Wer oder was ist das „Karma“? Sind Leben und Tun (Karma) verschieden von der Person, die lebt und tut?
Das gewöhnliche Leben mit allen seinen Anforderungen muss in den Pfad gebracht werden. Für Praktizierende des Sutrayana-Ansatzes wie auch für jene des Vajrayanas gilt dies gleichermaßen. Bloß die Sichtweisen, wie eben Phänomene gesehen werden, ist verschieden. Ob man den fühlenden Wesen durch geschickte Mittel wie den Bodhisattva-Handlungen auf der Basis der unterscheidenden Weisheit in die Leerheit nützt oder ob man die „reine Sicht“, den „Yidam-Stolz“ etc. des Vajrayana dabei pflegt, ist einerlei. Denn auch in der „reinen Sicht“ des Vajrayana sieht man nicht nur sich rein, sondern auch andere. Somit besteht auch hier keine schiefe Ebene zwischen einem selbst und den Wesen, bloß die gesamte Sichtweise ist einfach noch etwas weiter verfeinert worden.
Reichtum, Nahrung und Sicherheit bringen auf körperlicher Ebene eine gewisse Sicherheit und einen Komfort. Jedoch gelingt dies nicht auf geistiger Ebene, da eben Reichtum, Nahrung und Sicherheit materielle Dinge sind bzw. darauf basieren. Der Geist jedoch ist nicht materiell und wird nicht durch Materie erzeugt. Deshalb ist Leiden und Qual eben geistiger Natur und der Zweck des Dharmas ist es, durch ein Verständnis der Natur des Geistes und der Phänomene Befreiung davon zu erlangen.
In den Pfad bringen
Alle quälenden Geisteszustände, alle Ängste und Probleme entstehen aus unseren falschen Auffassungen, fehlerhaften Konzepten, sowie den falschen Wahrnehmungen und deshalb liegt es bei uns, unseren Geist durch die Anwendung der befreienden Information des Dharmas zu zähmen.
Die Wurzelursache für die Lebensqualen ist das Greifen nach einer Identität, da man der falschen Auffassung unterliegt, das Dasein hätte eine inhärente Existenz. Man erkennt nicht die wechselseitige Bedingtheit und somit die Untrennbarkeit von zwischen dem eigenen Geist und den Wahrnehmungs- und Handlungsobjekten, sowie dem eigenen Tun. Diese sind untrennbar. Aber durch ein falsches Selbstverständnis versteht man diese als getrennt. Wenn man jedoch diese Untrennbarkeit erkennt, dann erlangt man eine Freiheit von der Qual, da man in die Handlungskompetenz kommt und versteht, dass man selbst Schöpfer bzw. Schöpferin ist, die niemals verschieden vom Geschaffenen ist.
Nebenbei bemerkt, das ist kein Zurückfallen in einen präspirituellen Zustand, kein Eintauchen in einen Ozean des Daseins (oder des Geistes), was ja manche postulieren. Wäre dem nämlich so, dann hätte die Befreiung und Erleuchtung eines einzigen Wesens genügt, weil diese Erleuchtung dann auf alle anderen automatisch übergesprungen wäre. Untrennbarkeit – Non-Dualität – meint eben genau diese Nichtverschiedenheit von Subjekt, Objekt und Aktion. Dies nennt man im Dharma auch „frei von den drei Kreisen“. Um eben diese falschen Ansichten, die die Wurzel für das Greifen nach inhärenter Existenz sind, zu beseitigen, muss man die wahre Natur der Phänomene und des Geistes verstehen lernen. Andernfalls wird es nicht möglich sein, Freiheit vom beständigen Auf- und Abwogen des Lebens zu erlangen.
Aufgeben – Annehmen
Um zunächst einmal überhaupt günstige Bedingungen zu schaffen, versucht man die Zusammenhänge zwischen Handlungen und ihren Auswirkungen zu verstehen, da jede Erfahrung aufgrund von Ursachen und Bedingungen zustande kommt. Qualvolle, leidbringende Umstände resultieren aus negativen Motivationen und Handlungen und erfreuliche Erfahrungen ergeben sich durch positive Motivationen und Taten. Es ist ratsam, negative Motivationen und Handlungen aufzugeben, da negative Erfahrungen bloß noch ein weiteres Greifen nach inhärenter Existenz nach sich ziehen. Auf diese Weise gelingt kein Entkommen aus diesem Teufelskreis. Doch auch durch das bloße Erleben von erfreulichen Zuständen ergibt sich auch keine Befreiung.
Bedingt und abhängig
Wenn man allerdings auf diese Weise das wechselseitig bedingte Erscheinen versteht, dann fasst man gewiss mehr Vertrauen in die Lehren Buddhas. Der Buddha hat den Dharma gemäß der Verständnisfähigkeiten der fühlenden Wesen gelehrt. Dadurch sieht man, dass die Lehren selbst auf einer wechselseitigen Bedingtheit basieren.
Die Entwicklung des kostbaren Erleuchtungsgeistes ist unabdinglich. Ohne dass man diesen großen, alle Wesen umfassenden Erleuchtungsgeist entwickelt und kultiviert, verbleibt man gerade im einem ruhigen Geisteszustand, der aber noch immer durch ein subtiles Selbstkonzept die Natur des Geistes verhüllt. Man ist bestenfalls frei von störenden Emotionen, habt aber noch immer kognitive Schleier – eben Konzepte.
Zunächst erkennt man, dass alle fühlenden Wesen in den zahllosen Existenzen unsere Mütter und Väter gewesen sind. Dadurch beginnt man das Festhalten an einer inhärenten Identitätsauffassung und das Greifen danach abzulösen. Wir zähmen auf diese Weise den selbstbezogenen Geist.
Solange wir weiterhin selbstbezogen körperlicher Bequemlichkeit nachjagen, schaffen wir nur noch mehr Unsicherheiten und Verlustängste. Entsagen wir dieser Selbstbezogenheit, lassen von ihr los, schaffen wir auf einmal mehr Raum und wir werden zufriedener. Genau da setzt das Geistestraining an.
Wenn man wirklich den Dharma praktizieren will, bleibt einem nichts anderes übrig, als den Stufenpfad und das Geistestraining zu erlernen.
Stufenpfad
Die Trainingsaspekte des Stufenpfades umfassen äußere und innere Bereiche. Auf äußerlicher Ebene reflektiert man zunächst einmal, welche Freiheiten und Bedingungen einem gegenwärtig zur Verfügung stehen. Weiters setzt man sich mit der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit aller Erfahrungen und Erscheinungen auseinander. Man versucht die Unzulänglichkeit aller weltlichen Erfahrungen zu verstehen und schließlich lernt man auch die Zusammenhänge zwischen Motivation, Handlung, Bedingungen und Erfahrungen zu verstehen. Ohne diese Aspekte zu verstehen, bringt der Dharma überhaupt keinen Nutzen, da die Täuschungen, Begehrlichkeiten und Abneigungen weiterhin bestehen bleiben.
Wenn man diese erwähnten Aspekte durchdrungen und verstanden hat, versucht man eine sichere Ausrichtung zu finden. Diese findet man in Buddha, Dharma und Sangha – der höchsten Gemeinschaft. In ihrer Essenz sind diese Drei Juwelen nichts anderes als drei Aspekte unserer Buddha-Natur. Aber das wird erst am Ende des Pfades realisiert. Vorerst kann man es bloß als Theorie aufnehmen.
Das eigentliche Training und die Zähmung des Geistes beginnt jedoch erst beim Entwickeln des wünschenden und tätigen Erleuchtungsgeistes und dem Verstehen des relativen und absoluten Bodhicitta. Dies bietet ein Gegenmittel, die eigenen Täuschungen zu unterwerfen und den Geistesstrom zu wandeln.
Für Details zum Geistestraining mag ich Euch hier nun einfach auf Lojong – Schulung von Herz und Geist verweisen und Euch bitten, lest das zunächst einmal durch und versucht dann, beispielsweise die 37 Bodhisattva-Übungen in den Alltag umzusetzen. Als kleine Hilfestellung findet Ihr bei den 37 Bodhisattva-Übungen am Ende des Posts diese auch zum Ausdrucken und eine kleine Praxisanleitung.