Geht Leben ohne Plastik?

Vor 34 Jahren trat die Jute-statt-Plastik-Tasche an, die Umwelt zu retten. Den Slogan kennt in Deutschland noch immer jeder über 20, der moderige Jutestoff wurde inzwischen durch Baumwolle ersetzt und die Beutelchen sind sogar trendy – doch die Plastikherstellung bleibt davon ungerührt.

Sie steht und fällt nicht mit dem Gewissen einiger Ökos, sondern mit der Weltwirtschaft. Statistiken der Vereinigung europäischer Plastikproduzenten, PlasticsEurope, zeigen, dass die Plastikkurve ziemlich parallel verläuft zu der des europäischen Bruttoinlandsproduktes: Ein kontinuierlicher Anstieg von 2003 bis 2007, 2008 dann ein deutlicher Einbruch – und seit 2010 geht es auch schon wieder aufwärts. Noch fließt das Öl schließlich. 1,6 Millionen Europäer sind direkt in der Plastikherstellung beschäftigt, die Zahl der indirekt davon abhängigen Jobs geht wohl gegen 100 Prozent, wenn man sich in Büros, auf Baustellen oder in Krankenhäusern mal so umschaut.

Im Krisenjahr 2009 brachte der österreichische Regisseur Werner Boote seinen Film Plastic Planet heraus und schockierte den gewissenlosen Konsumenten mit massig Fakten zum Kunststoff. Sechsmal könnten wir unseren Planeten in Plastikfolie wickeln, wenn wir die gesamte Herstellung zusammennehmen, sechsmal mehr Plastik als Plankton treibt in den Meeren und wir haben Plastik im Blut. Zum Beispiel

Kurzer lauter Aufschrei – und alles geht weiter wie zuvor. Fast alles. In einem österreichischen Dorf bei Graz beschloss eine fünfköpfige Familie den Auszug vom Plastikplaneten. Einen Monat lang wollten sie versuchen, mit möglichst wenig Kunststoff auszukommen. «Wir haben eher gedacht, wir werden scheitern», sagt Sandra Krautwaschl, die als Mutter ihre Familie in die Spur gebracht hat.

Ohne Plastik wird auch nicht mehr genascht

Sind sie aber nicht. Zwei Jahre und zwei Monate später leben Krautwaschls praktisch ohne Plastik, im Sommer erscheint ihr Buch zum Selbstversuch. Drei Jahre nach dem Film, mit dem für sie alles angefangen hat, will Sandra Krautwaschl damit wieder Aufmerksamkeit erregen für das Thema, das ihr Leben umgekrempelt hat.

Bekommt man irgendwo Gläser, deren Schraubverschlüsse nicht mit Plastik ausgekleidet sind? Lässt sich die Holzzahnbürste auch ohne Plastikverpackung bestellen? Die teuflischen Details kann jeder in ihrem Blog nachlesen. Es ist wie bei Diäten: Wer auf etwas verzichten will, denkt plötzlich an nichts anderes mehr. Und während jeder Deutsche im Jahr laut Umweltbundesamt 23 Kilogramm Plastikverpackungen wegwirft, füllt Familie Krautwaschl im selben Zeitraum etwa einen halben gelben Sack – in den wenigen Momenten, in denen doch mal einer schwach wird.

Denn ohne Plastik gibt es auch keine Kartoffelchips, und das ist selbst für Sandra Krauwaschl hart. Erst eine halbe Stunde lang in der Küche frittieren, bevor es zum Rotwein was zu Knabbern gibt, das ist lästig. «Manchmal stehe ich abends vor dem leeren Naschkasterl, in dem früher die Süßigkeiten waren. Dann wird mir bewusst, dass sich unsere Einkaufsgewohnheiten total verändert haben», sagt sie. Sie holt sich dann einen Apfel oder macht sich einen Joghurt.

Die Kinder waren froh über plastikfreie Kinderzimmer

Meistens. Denn absolut konsequent und dogmatisch leben sie nicht, radikal schon gar nicht, da möchte die Familienmutter richtig verstanden werden. Ausnahmen sind erlaubt, schließlich hat sie drei Kinder, der jüngste ist inzwischen neun.

Doch überraschenderweise fingen die Kleinen von ganz allein Feuer. Bei der großen Plastikverbannungsaktion zu Beginn des Selbstversuchs zwangen die Eltern sie nicht, ihre Spielsachen zu entsorgen. «Aber sie haben dann selbst gesagt, wir haben viel zu viel Zeug, das den ganzen Platz im Kinderzimmer verstellt. Wenn Kinder das wahrnehmen, ist es der richtige Weg, denke ich», sagt die Mutter.

Ein Weg, der, wie häufig, wenn es um nachhaltiges Handeln geht, ein Stück in die Vergangenheit führt. Plastik ist schließlich nicht das einzige Material, das die Umwelt schädigt. «Sich zurückerobern, was das Leben ausmacht», nennt Sandra Krautwaschl das. Sie ist eine fröhliche Frau, die nun den Rausch des guten Gewissens genießt, das sie der Umwelt gegenüber empfindet. Trotzdem geht sie ganz pragmatisch mit ihrer Idee um. 80 Prozent des Plastiks könne man relativ leicht einsparen, schon der Verzicht auf die «Plastiksackerl» lasse sich jede Menge erreichen. «Für die restlichen 20 muss man schon Leidenschaft entwickeln», sagt sie lachend.

An Grenzen ist sie erst vor ein paar Tagen wieder gestoßen, als die große Tochter im Krankenhaus lag und an Infusionsschläuche angeschlossen wurde. An manchen Stellen ist Plastik eben doch Teil des nützlichen Fortschritts. Als Sandra Krautwaschl dann aber sah, dass auch das Essen in Kunststoff serviert wurde, wusste sie wieder: Es gibt noch einiges zu erreichen.

Quelle:
Nachrichten -
Gesellschaft Nachrichten -
Selbstversuch – Geht Leben ohne Plastik?

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