Geht der „Keltische Tiger“ Pleite?

Ursachenanalyse: Die Schuldenkrise Irlands eskaliert. Immer neue Finanzspritzen für das angeschlagene Bankensystem treiben den Staat an den Rand des Bankrotts.

Auch beim jüngsten Schub der irischen Schuldenkrise spart die Politik nicht mit dramatischen Warnungen, um weitere milliardenschwere Finanzspritzen für abgewirtschaftete Geldhäuser zu rechtfertigen. Ein Zusammenbruch des maroden, bereits vor zwei Jahren verstaatlichen Finanzinstituts Anglo Irish Bank würde „die Staatsmacht zu Fall bringen“, orakelte der irische Finanzminister Brian Lenihan am 29. September gegenüber der Financial Times. Einen Tag später ließ die irische Regierung die Katze aus dem Sack und bezifferte den zusätzlichen Finanzbedarf der  Anglo Irish Bank auf 11,4 Milliarden Euro.
Damit steigen die Gesamtkosten für die Rettung dieser Pleitebank auf bis zu 34 Milliarden Euro. Auch das teilverstaatlichte Finanzinstitut Allied Irish Banks benötigt eine weitere Kapitalerhöhung in Höhe von 5,4 Milliarden Euro, wodurch der Staat aller Voraussicht nach zum Mehrheitseigner auch dieses Bankhauses werden dürfte. Auf den irischen Steuerzahler kommen im Gefolge der diversen Rettungspakete für die angeschlagenen Finanzinstitute Anglo Irish Bank, Allied Irish Banks und Bank of Ireland sogar Kosten in Höhe von maximal 50 Milliarden Euro zu.

Dies ist eine gewaltige Summe für eine Volkswirtschaft, deren Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr laut irischem statistischen Amt um 7,6 Prozent auf 159,6 Milliarden Euro schrumpfte. Irland müsste also knapp ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung zur Sanierung des Finanzsystems aufwenden. Die schwere Rezession, die das einstmals als „Keltischer Tiger“  gefeierte neoliberale Musterland erfasst hat, ließ auch die Steuereinnahmen einbrechen und die Ausgaben für soziale Transferleistungen explodieren. Inzwischen wird erwartet, dass sich das ohnehin enorme irische Haushaltsdefizit in Höhe von 14,3 % des BIP von 2009 in diesem Jahr auf wahnsinnige 32 Prozent des BIP mehr als verdoppelt.

Bis zum Krisenausbruch in 2007 schien Irland die Quadratur des Kreises vollenden zu können, da die Grüne Insel trotz einer der niedrigsten Abgaben- und Steuerquoten in Europa eine besonders niedrige Staatsverschuldung aufwies, wobei die Wirtschaft von Jahr zu Jahr boomte. Während die irische Staatsschuld 2007 bei circa 25 % des BIP lag, wird sie neuesten Prognosen zufolge in diesem Jahr auf nahezu 100 % der Wirtschaftsleistung steigen.  Drei Krisenjahre verwandelten den nahezu schuldenfreien „Keltischen Tiger“ in einen Pleitekandidaten, der sich mit Riesenschritten dem Verschuldungsniveau Griechenlands und Italiens annähert. Die zunehmende Schuldenlast geht mit einer rasch steigenden Zinslast einher, da mit steigendem Ausfallrisiko die Zinsen für irische Staatsanleihen enorm ansteigen. Die Rendite für zehnjährige irische Staatsanleihen kletterte zuletzt auf bis zu 6,76 %, womit sie etwa 4,5 % über der Verzinsung deutscher Bonds lag. Sollten die Zinsen noch höher steigen, droht Irland das Schicksal Griechenlands.

Das heile Bild, das von der irischen Wirtschaftswunderinsel vor Krisenausbruch verbreitet wurde, war auch damals nur unter Ausblendung der Verschuldung des privaten Sektors aufrecht zu erhalten. Auch auf der Grünen Insel funktionierte der Kapitalismus nur noch „auf Pump“. Doch hier verschuldeten sich – ähnlich wie in den USA, Spanien oder Großbritannien – der Private Sektor und vor allem die Verbraucher, die über Kreditaufnahme zusätzliche Kaufkraft generierten und während der irischen Immobilienspekulation massenhaft Hypotheken aufnahmen. Insbesondere der Immobilienboom belebte die irische Wirtschaft, da grade vermehrte Bautätigkeit eine Vielzahl stimulierender ökonomischer Effekte auf andere Wirtschaftssektoren mit sich bringt. Der irische Staat konnte nur deswegen eine sehr niedrige Verschuldungsquote bei schwachem Steueraufkommen aufweisen, weil die irischen Verbraucher und der irische Private Industriesektor die Defizitkonjunktur im ihrer Kreditaufnahme antrieben.

Der irische Schuldenberg hat in der Tat gigantische Dimensionen angenommen. So beliefen sich die Schulden der Privathaushalte auf der Grünen Insel bei Krisenausbruch auf 190 % ihres verfügbaren Einkommens. Diese Schuldenquote sei die „höchste in der entwickelten Welt“, bemerkte hierzu der britische Telegraph. Die Finanzverpflichtungen irischer Schuldner im Ausland beliefen sich in 2008 auf 123 Milliarden US-Dollar. Die gesamten Verbindlichkeiten des privaten Sektors sollen sich in diesem Jahr auf etwa 230 % des irischen Bruttoinlandsprodukts summieren, während diese vor einem Jahrzehnt circa 80 % des BIP erreichten. Laut dem Telegraph expandierte die Kreditvergabe durch den Finanzsektor auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms mit bis zu 30 Prozent jährlich. In dieser Dekade, in der dieser Schuldenberg sich nahezu verdreifachte, erlebte die Grüne Insel auch ihr – schuldenfinanziertes – Wirtschaftswunder, das ihr den Ruf des „Keltischen Tigers“ einbrachte.

Eins dürfte nun klar sein: Was jetzt in Irland stattfindet, ist eigentlich keine „Neuverschuldung“, sondern eine Umschichtung der Schuldenlast. Dieser gigantische Schuldenberg wird mitsamt seinen Verbindlichkeiten, Risiken und faulen Hypotheken von dem Finanzsektor durch Verstaatlichung auf den Staat verlagert – fortan tragen nicht mehr die Investoren, sondern die irischen Steuerzahler das Ausfallrisiko bei all dem Finanzmüll, der da in den Bilanzen der irischen Pleitebanken noch schlummern mag. Soviel Sozialismus gönnen sich in Krisenzeiten selbst „Keltische Tiger“.


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