Grinderman „2“ (Mute)
Nicht wenige Menschen denken ja gern in Bildern. Meine hierzu sehen ungefähr so aus: Es muss vor knapp fünf Jahren passiert sein, da war es der Herrgott leid und er schickte seinem Knecht Nick Cave im Traum eine seiner beeindruckendsten biblischen Gestalten (denn auch er hatte Caves literarische Ergüsse gelesen und wusste wo er zu packen war). Er sandte ihm also einen Erzengel, dieser baute sich mit Flammenschwert und Donnerhall vor ihm auf und sprach davon, dass man oben im Himmel dieses rührselige Zeug, diese Lonely-Boatman-Nummern und den ganzen erbaulich, schwülstigen Pianokram nicht mehr hören wolle, Cave solle sich zusammenreißen und, so des Engels wörtliche Botschaft, „endlich Musik mit Eiern machen“. Und siehe da, Cave zeigte sich einsichtig und scharte alte Weggefährten um sich, um künftig wieder dem dreckigen Bluesrock, der Zote und den Körpersäften aller Art, kurz: seinen eigentlichen Wurzeln zu huldigen. Mit dem Ergebnis, dass seine Anhängerschaft, wenigstens zu großen Teilen, wiederum ihm huldigte.
Klar, dass sie sich und uns das ganz harten Birthday-Party-Revival nicht mehr gaben, ein „King Ink“ würde aus Cave nicht wieder werden, aber nach dem fulminanten Debüt mit dem wohl deftigsten Seniorenrock, seit olle Iggy seine Plastikhosen wieder in dem Schrank gehängt hat, gibt es nun das zweite Album von Grinderman und, das ist die Überraschung, es ist das bessere der zwei geworden.
Lange hat man nicht mehr so energische, gnadenlos scheppernde Akkorde von – sorry und mit allem Respekt – so alten Männern zu hören bekommen. Die ersten vier Songs strotzen geradezu vor Kraft und Spielwut, einer versucht gleichsam den anderen zu übertrumpfen und auf einmal wirken Jack White’s Dead Weather wie eine harmlose, juvenile Laienspieltruppe. Hier und jetzt setzt der Meister selbst wieder den Standard und ordnet die Hierarchie. „Worm Tamer“ haut einen schlicht um und „Heathen Child“ gelingt selbiges sogar ohne das fantastische Featuring von Robert Fripp aus der gepimpten „Super“-Version. Bei aller Breitbeinigkeit sind die vier jedoch vom einfallslosen Gebolze soweit entfernt wie Cave selbst von päpstlicher Frömmigkeit. Die Songs sind allesamt klug arrangiert, klingen frisch und unverbraucht und erscheinen entschiedener, klarer als noch auf ersten Grinderman-Album.
Das fast siebenminütige „When My Baby Comes“ täuscht bis zur Hälfte mit trügerischer Zurückhaltung, doch nach dem Taktwechsel erwacht das Bluesmonster und fegt alles hinweg, was noch auf Gnade hoffte. Erst bei der behutsam pochenden Selbstbetrachtung von „What I Know“ lässt uns Cave einen Moment der Ruhe, Atemholen für den großartigen Rest. Ein Hochamt auf das Böse schlägt einem bei „Evil“ um die Ohren und „Kitchenette“ lässt den Sound für fünf Minuten auf der Schlachtbank zerstückeln. Das soulige „Palaces Of Montezuma“ erinnert am ehesten an Caves Zeit mit den Bad Seeds und wirkt im Vergleich zum rohen, geschredderten Rest fast anschmiegsam und zahm. Nichts davon wiederum beim krönenden Abschluss, der „Bellringer Blues“ kreischt und dröhnt noch einmal als Gesamtsumme der vorangegangen fünfunddreißig Minuten.
Solange Nick Cave im Stande ist, solche Höllenmusik zu machen, muss einem um den Mann nicht bange sein. Und solange weit droben ab und an Bedarf nach solcher Unterhaltung besteht, braucht man auch das Jenseits nicht sonderlich fürchten. Das Rennen um den Jahrespoll jedenfalls scheint mit dieser Platte fast entschieden.
http://www.myspace.com/grinderman