Geheimtreffen von NSDAP + Wirtschaft am 20. Februar 1933

In vielen Köpfen hat sich festgesetzt, dass die Großindustrie es war, die als Steigbügelhalter und Geldgeber dafür sorgten, dass die NSDAP so ‚erfolgreich’ wurde, dass sie dann im Januar 1933 den Kanzler stellen ‚durfte’. Auch wenn das immer wieder wiederholt wurde und wird, es wird nicht richtiger; denn die finanziellen Unterstützungen der Großindustriellen allein in Richtung der Nationalsozialisten, ist nachprüfbar geringer als ihr Spendenaufkommen in Richtung auf andere Parteien. Hier wurden vor allem die Liberalen, auch die radikal antisemitischen Liberalen und das Zentrum unterstützt. Was der Großindustriellen in ihrer Gesamtheit wirklich vorzuwerfen ist, dass sie Angst und Not in der arbeitenden Bevölkerung nicht minderten und sie durch ihren Konservativismus und ihre Ablehnung der Demokratie der Weimarer Republik, den Weg in die Diktatur bereiteten. Sie lehnten die vorhandene Demokratie, den politischen Kompromiss und die ‚Arbeiterfreundlichkeit’ rundweg ab. Wobei im Zusammenhang von über sechs Millionen Arbeitslosen, von einer Arbeitnehmerfreundlichkeit zu reden, schon schwer nachvollziehbar ist.  Auch der Großindustrie schwebte ein ‚starker Mann’ vor; doch eher aus dem militärischen oder adligen Umfeld. Wobei der Mittelstand, das Bürgertum auf recht breiter Basis ähnlich dachte. Die ‚Macht’ und ‚Kraft’ hätten diese Großindustriellen gehabt, jemanden wie Adolf Hitler zu verhindern, sie ließen diese Chance vorübergehen, denn wenn man einzelne so genannte ‚Tischgespräche’ dahingehend durchforstet, so nahmen sie Hitler genauso wenig ‚ernst’ wie zum Beispiel Ernst Thälmann, Randfiguren, die zu ‚benutzen’ sind, so ihr Tenor. Ein Hochmut, der ihnen im wahrsten Sinne des Wortes noch teuer zu stehen kommen würde. Doch wer war wirklich die ‚Wirtschaft’, die Hitler und seine Schergen, die Mittel zu kommen ließ, die sie für ihren Kampf an die Spitze der Macht benötigten? Es ist vor allem die die Mittelständige Industrie mit ihren Verbänden, der Handel und so manche Privatbank. Bereits im Juli 1927 kam es zu Kontakten mit der Industrie, Hitler traf den Industriellen Emil Kirdorf, der nach diesem Treffen ganz begeistert von Hitler war. Er unterstützte eine Hitler-Broschüre und deren Vertrieb. Als Auswirkung der Broschüre kam es zu einem Treffen von 14, namentlich nicht genannten, Wirtschaftsführern mit Hitler im Hause Kirdorfs. Nach dem Zeugnis Kirdorfs waren die Teilnehmer „von seinen packenden Darlegungen tief ergriffen“;  Wolfgang Stresemann berichtet in seinen Erinnerungen, dass der Industrielle Kurt Sorge unter den Anwesenden war, der ihm erzählte, dass Hitler „seine zur industriellen Führungsspitze gehörenden Zuhörer so mitriss, dass einer von ihnen einen Vergleich mit – Christus wagte!“. Also bereits vor der Machtübergabe an Adolf Hitler hatten er und die Spitzen der NSDAP teils gute, ja sehr gute Kontakte zur Wirtschaft; doch die Gelder flossen nie regelmäßig, meistens waren sie an Projekte von Publikationen oder dem Wahlkampf gebunden. So waren die Kassen der Partei und ihrer Organisationen eher leer, denn gefüllt.

Reichstagspräsidentenpalais Nordseite

Anlass für das Geheimtreffen am 20. Februar 1933 war die Finanzierung des bevorstehenden Wahlkampfes für die Reichstagswahlen am 5. März 1933. Denn Ziel Hitlers war es, die Koalition los zu werden und das noch ganz legal. Er brauchte dazu die absolute Mehrheit im Parlament. Die Teilnehmer wurden durch Hermann Göring eingeladen, diese Einladung war zwar eher eine Aufforderung, doch blieben ihr nur wenige fern, so wie etwa Ernst Borsig, obwohl dieser eine zeitlang als Unterstützer Hitlers galt. Wie ein überliefertes Telegram an Krupp vom 16. Februar 1933 belegt, lud Göring Krupp für den 20. Februar 1933 um 18 Uhr in das Reichstagspräsidentenpalais ein, Krupp selbst schickte einen hochrangigen Mitarbeiter.  Als Zweck wurde angegeben, dass Hitler seine Politik erklären möchte. Mit 15minütiger Verspätung kam Hermann Göring in Begleitung von Walther Funk und hielt eine kurze Ansprache, in der er auf die Bedeutung des laufenden Wahlkampfes hinwies. Dann erschien Hitler. Beide Auftritte glichen einer Inszenierung. Hitler bekannte sich in einer eineinhalbstündigen frei gehaltenen Rede zum Privateigentum, pries die Überlegenheit der Diktatur über die Demokratie und behauptete, die NSDAP wäre die einzige Rettung vor der kommunistischen Gefahr. Die Grundlage der NSDAP sei die völkische Idee und der Gedanke der Wehrhaftigkeit. Das Leben sei ein fortgesetzter Kampf, den nur ein wehrhaftes Volk bestehen könne und nur eine wehrhafte Nation könne eine blühende Wirtschaft haben. In seiner Rede erklärte Hitler, die Demokratie sei Schuld am Aufkommen des Kommunismus. In einer erhalten gebliebenen Aufzeichnung seiner Rede heißt es: „Wir stehen heute vor folgender Situation: Weimar hat uns eine bestimmte Verfassungsform aufoktroyiert, mit der man uns auf eine demokratische Basis gestellt hat. Damit ist uns aber keine leistungsfähige Regierungsgewalt beschert worden. Im Gegenteil, der Kommunismus musste sich nach dem, wie ich eingangs die Hjalmar Schacht 1931Demokratie kritisiert habe, immer tiefer in das Volk hineinbohren.“ Dann erklärte Hitler weiter, er brauche die gesamten Machtmittel des Staates, um den Kommunismus niederzuwerfen: „Wir müssen erst die ganzen Machtmittel in die Hand bekommen, wenn wir die andere Seite ganz zu Boden werfen wollen. […] Wir müssen in Preußen noch 10, im Reich noch 33 Mandate erringen. Das ist, wenn wir alle Kräfte einsetzen, nicht unmöglich. Dann beginnt erst die zweite Aktion gegen den Kommunismus.“ Auf diesem Treffen wurde für den laufenden Wahlkampf zur Reichstagswahl mindestens 3 Millionen Reichsmark gefordert. Aufgeteilt sollte die Summe werden zwischen den Koalitionären der Schwarz-Weiß-Rot Front, deren vorderster Mann Franz von Papen war. Ziel war es das Ermächtigungsgesetz im Reichstag zu beschließen. Von den etwas mehr als 2 Millionen Reichsmark, die dann eingingen erhielt die NSDAP 75 % der Summe, den Rest das Bündnis um von Papens. Hjalmar Schacht, damals ehemaliger Reichsbankpräsident, ergriff das Wort. Schacht forderte, drei Millionen Reichsmark aufzubringen. Als Schlüssel legte er fest:

1.000.000 Reichsmark – westliche Kohlen- und Eisenindustrie

500.000   Reichsmark – chemische Industrie

500.000   Reichsmark – Kalibergbau

500.000   Reichsmark – Braunkohle

100.000   Reichsmark – Automobilindustrie

100.000   Reichsmark – Maschinenbau

300.000   Reichsmark – Elektrotechnik

Über die Bedeutung dieser Wahlkampfspende für die NSDAP notierte am selben Tag Joseph Goebbels in seinem Tagebuch: „Wir treiben für die Wahl eine ganz große Summe auf, die uns mit einem Schlage aller Geldsorgen enthebt. Ich alarmiere Paul Reuschgleich den ganzen Propagandaapparat, und eine Stunde später schon knattern die Rotationsmaschinen. Jetzt werden wir auf Höchsttouren aufdrehen. Wenn keine außergewöhnliche Panne mehr unterläuft, dann haben wir bereits auf der ganzen Linie gewonnen.“ Der Geschäftsführer des Reichsverbands der Deutschen Industrie Ludwig Kastl schrieb am 25. Februar 1933 an Krupp: „Ich finde es eine große, um nicht zu sagen unerhörte Zumutung an die Industrie, in kürzester Frist 3 Millionen aufzubringen. Über den Verteilungsschlüssel (nur 25% an den schwarz-weiß-roten Block) bin ich empört. Ich kann aber an der Sache nichts ändern. Nach den Wahlen wird man in dem Kreise der Teilnehmer noch einmal über die Sache sprechen müssen.“ Hier sieht man, dass die Industriekapitäne noch tatsächlich glaubten, auch nach der Wahl und einer Konsolidierung des Hitler-Regimes ein ‚Mitspracherecht’ zu haben. Wirklich zusammengekommen sind 2,1 Millionen Reichsmark; die entsprechend des verabredeten Schlüssels verteilt wurden. Zum Leidwesen Hitlers errang er bei der Wahl Anfang März 1933 nicht die absolute Mehrheit, die NSDAP verlor sogar Stimmen, behielt aber ein gutes Drittel der Gesamtwählerschaft, so benötigte Hitler also weiterhin die Koalition um von Papen; und das trotz des Geldes, des enormen Werbefeldzugs und der Hatz gegen die Kommunisten sowie des SA-Terrors. Doch ist diese Treffen vom 20. Februar 1933 ein bedeutender materieller Beitrag der wirtschaftlichen Organisationen für die nationalsozialistische Sache. Das dabei die Wirtschaft andere Prioritäten mit dieser Unterstützung verstand als Hitler selbst, ist dabei unerheblich; denn wenn sie es hätten wissen wollen, dann hätten sie auch die Konsequenzen erkannt. Jedem einzelnen der 27 Industriellen, die an diesem Tag anwesend waren, war klar wohin die Reise geht, mindestens moralisch haben sie sich schuldig gemacht, indem sie ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht wahrnahmen und ausschließlich den unternehmerischen Gewinn im Auge hatten. Dieses Treffen war ausschlaggebend für die Konsolidierung der NSDAP und deren weiteren Machterhalt, es war die Grundlage wissentlich eine Diktatur zu installieren, eine faschistische Diktatur. Weite Teile der Wirtschaft aber auch der deutschen Gesellschaft war mit den ersten Verordnungen der Hitlerregierung einverstanden, der Wunsch nach ‚Ruhe’ und ‚Ordnung’ stand so im Vordergrund, dass es scheinbar vielen unwichtig erschien, wie dies sich gestaltete und zu wessen Lasten das ging. 

Bezüge zum heutigen Verhalten von Banken und Großindustrie sind vielleicht gar nicht so zufällig, nur stehen sie (hoffentlich) einer aufmerksamen Öffentlichkeit gegenüber, die nicht nur ein ‚gesichertes’ Dasein leben möchte …  

Weiterlesen:

➼ Wie alles begann: Grundstein für ein Terrorregime

➼ 30. Januar 1933 • Beginn eines Terrorregimes

➼ Machtübergabe►30. Januar 1933►Und Heute: 30. Januar 2013

darüber hinaus:

➼ Wirtschafts- und Judenpolitik der Nationalsozialisten

Die Köpenicker Blutwoche • SA Terror 1933

Der Altonaer Blutsonntag • Das Beil von Wandsbek

Bild 1: Reichstagspräsidentenpalais · Bild 2: Hjalmar Schacht · Bild 3: Paul Reusch – Quelle aller drei Bilder: wikimedia.org   


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