Mit etwa 160 000 bekannten Arten in 130 Familien stellen sie noch vor den Käfern die artechnreichste Insektenordnung. So ungewöhnlich ihre Namen klingen und so nüchtern die Fakten sind: die Begeisterung für Schmetterlinge kann erstaunliche Blüten treiben!
Lepidopterologen – wie wissenschaftliche oder selbst ernannte Schmetterlingskundler genannt werden – ist kein Berg zu steil, kein Sommer zu heiß, kein Gewitter zu heftig und keine Nacht zu dunkel, um den Objekten ihrer Begierde nachzustellen. Auch Schlangenbisse, Stacheldraht, Brennesseln und Beinbrüche halten sie nicht davon ab, wo immer möglich, nach besonders schönen Exemplaren Ausschau zu halten.
Auch wenn ich selbst jedesmal entzückt bin, wenn sich ein sonnentrunkener Weißling beschwingt den Weg durch meinen Garten bahnt und womöglich feingliedrig auf einer Blüte räkelt: es ist nichts im Vergleich zu dem, was wahre „Schmetterlings-Obsessisten“ beim Anblick ihrer Lieblinge empfinden…
„Am meisten genieße ich die Zeitlosigkeit, wenn ich…unter seltenen Schmetterlingen und ihren Futterpflanzen stehe. Das ist Ekstase, und hinter der Ekstase etwas anderes, schwer Erklärbares. Es ist wie ein kurzes Vakuum, in das alles strömt, was ich liebe“, so beschreibt der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov seine Leidenschaft für Schmetterlinge.
Eine Beschreibung, die Peter Henning für die treffendste hält: in seinem neuen Buch „Mein Schmetterlingsjahr“, schreibt er im Rahmen einer Europareise über seine große, lebenslange Liebe zu und seine nachhaltigen Begegnungen mit verschiedensten Schmetterlingen.
Start seiner Reise ist die griechische Insel Samos. Von dort geht es in die spanische Sierra de Guadaramma, ins Volterra und Cecina Tal, dann in die Colli Eugenei. Nächste Station: die kroatische Felsenküste. Von dort weiter in die Tiroler Berge, ins schweizerische Gstaad und Engadin und schließlich zurück nach Deutschland, in den Bayrischen Wald.
„Wer sich eine Vorstellung von der unendlichen Vielalt der Arten, von den Lebensräumen und der kulturellen Bedeutung von Schmetterlingen verschaffen will, darf sich nicht auf die heimischen, uns in Gärten, Parks und städtischen Grünanlagen begegnenden Falter beschränken“, erklärt Peter Henning im Vorwort.
„Er muss reisen, dorthin, wo er die Schmetterlinge in ihrer natürlichen Umwelt vorfindet, dorthin, wo sie ihre jahrhundertealten Rituale zelebrieren, ins Innerste ihrer Welt. Andere legen ein Sabatical ein, um eine Zeit lang Abstand vom Alltag und den Kopf frei zu bekommen. Ich habe mir dafür ein Schmetterlingsjahr gegönnt.“
An einigen Stationen erinnert sich der Autor an frühere „Expeditionen“, an oft flüchtige und trotzdem unvergessliche Begegnungen mit den Tieren, die für ihn seit einem bestimmten Kindheitsereignis die Schönsten der Welt sind.
So wird der Reisebericht für uns Leser zu einem kurzweiligen „Ausflug“, bei dem wir nicht nur viel über verschiedenste Schmetterlinge, sondern auch über den Schmetterlingsjäger an sich erfahren.
Gott sei Dank gehört das Bild vom wundersamen Nerd mit Tropenhelm und Netz größtenteils der Vergangenheit an. Auch Peter Henning jagt mittlerweile nur mehr mit Kamera. Und dann braucht es noch jede Menge Hingabe und Ausdauer, denn ohne weite Wege und geduldigstes Stillstehen bekommt man die meist sehr scheuen Flugwesen nicht zu sehen.
Ob Distelfalter, Isabellaspinner, Zitronen- oder Erdbeerbaumfalter, Landkärtchen, Schwalbenschwanz, Schwirrender Kolibri, Pfauenauge, Monarch- oder Schillerfalter: so zart und taumelig viele kleinere Schmetterlinge wirken, sie sind erstaunlich leistungsfähig und verfügen über ungeahnte Verteidigungsmechanismen.
So sind die meisten Schmetterlinge Meister der Navigation: Monarchfalter zum Beispiel fliegen bis zu 4000 Kilometer, um an einem ganz bestimmten Tag in der mexikanischen Sierra ein einzigartiges Naturschauspiel aufzuführen. Der Falsche Apollofalter dagegen ist kein Langstreckenflieger. Er taumelt eher von Blüte zu Blüte und ist deshalb vergleichsweise einfach zu beobachten.
Einer der zutraulichsten Falter ist der Admiral: „Er scheint die Interaktion mit Menschen manchmal gezielt zu suchen, in dem er sie neckt und foppt und immer wieder derart ungeniert anfliegt, als wollte er ihm damit bedeuten ‚Na los, spiel mit mir!‘ Dem Admiral genügt der demonstrativ hingestreckte Arm, um ihn zum Anflug und zur Landung aufzufordern“, weiß Peter Henning.
Regelrecht kampflustig ist der Erdbeerbaumfalter: der bis zu 90 Millimeter große Flieger schlägt Eindringlinge in seinem Revier mit sturzflugartigen Attacken in die Flucht. „Sogar gegen kleinere Vögel nimmt er furchtlos den Kampf auf“, schreibt Peter Henning, und meistens bleibt der Falter Sieger der Auseinandersetzung.
Viele Schmetterlinge sind Meister der Tarnung: mit gezielter Mimikry, mit Maskeraden und Finten schützen sie sich vor Fressfeinden wie Vögel oder Spinnen. Einige gleichen ihre Flügelmuster ungenießbaren Arten an, andere nehmen die Farben der Umgebung an. Manche ahmen welke Blätter nach, die Augenflecke des Tagpfauenauges sollen angreifende Vögel „anstarren“ und fernhalten.
Bereits Raupen beherrschen das Spiel der Täuschung, machen Äste und Zweige der Eiche und Nadeln von Kiefern nach oder zeigen mit entsprechender Warnfärbung: Achtung, ich bin giftig! Tatsächlich können Raupen des Prozessionsspinners bei Berührung mit ihren Brennhaaren allergische Reaktionen auslösen. Raupen des Isabellaspinners dagegen, blähen sich derart auf, dass Laien sie für einen Kieferzapfen halten.
Mit Pelz oder ohne, knallbunt oder erdfarben, mit Punkten, Streifen, Flecken oder Augen, mit behaarten oder gefiederten Fühlern – so vielseitig, anpassungsfähig und listig Schmetterlinge sind: Intensive Landwirtschaft und Flurbereinigung nehmen vielen den natürlich Lebensraum und verdrängen sie auf die rote Liste der bedrohten Tierarten. Fast alle Bläulinge stehen darauf und sogar der Große Kohlweißling.
Deshalb setzt sich auch Peter Henning für die gefährdeten Kreaturen ein, schreibt Zeitungsartikel zum Thema und bringt Kindern im Schulunterricht den Zauber der Schmetterlinge nahe, in der Hoffnung, das Bewusstsein für die fliegenden Schönheiten zu wecken.
Ich sehe Schmetterlinge nach diesem Buch auf jeden Fall ehrfürchtiger als bisher, denn so viel Einfallsreichtum und Robustheit hatte ich den luftig-leichten Geschöpfen tatsächlich nicht zugetraut. Und ich schau mal, ob ich im Garten noch Platz für eine ihrer Lieblingspflanzen habe…
Ganz ehrlich: wollt Ihr einen Sommer ohne Schmetterlinge erleben? Ich nicht!
Peter Henning „Mein Schmetterlingsjahr“, 228 Seiten, ca. 46 Schwarzweiß-Illustrationen, Hardcover mit wunderschön gestaltetem Leineneinband, 19 Euro 95, wgb Theiss