Allāh-Kalligraphie in der
„Eski Cami“ (Moschee), Edirne, Türkei
Gastbeitrag
Wallahu a’lam? Politik und Glaube
Islamismus und antimuslimischer Rassismus haben das Diskursfeld geprägt, in dem die politische Debatte um den islamischen Theologen Khorchide stattfindet. Es geht also nicht um Glauben und Religiosität, sondern um Macht und kollektive Identitäten
Von Hannes Bode *
Seit Monaten berichten die Medien über den ‚Fall Khorchide‘, die Auseinandersetzung zwischen sogenannten Islamverbänden auf der einen und islamischen Theologen und Uni Münster auf der anderen Seite. Der Streit war mit der Veröffentlichung eines im Auftrag des „Koordinationsrates der Muslime (KRM)“ erstellten „Gutachtens“ über ein populärwissenschaftliches Buch Khorchides eskaliert – im Schatten des Gutachtens wurde verbreitet, Khorchide würde den Rahmen islamischer Theologie verlassen haben, eine Behauptung, die durch das Gutachten nicht gestützt wird. Drei Punkte verdienen in diesem Zusammenhang Beachtung: 1. die argumentative Schwäche des Gutachtens, 2. die der Auseinandersetzung eigentlich zugrundeliegende Bemühung der Islamverbände, im Namen „der Muslime“ Einfluss zu erhalten, und 3. die Tatsache, dass die Verbände dabei in einem identitätslogischen Diskurs die Aussagen antimuslimischer Rassisten spiegeln und an der Konstruktion des Anderen, des ‚Kollektivsubjekts Muslim‘ teilhaben.
Das grundlegende Problem des Gutachtens ist die Vermengung von drei unterschiedlichen Bereichen: die Frage ‚säkularer‘ religions- oder textwissenschaftlicher Methoden, die Frage islamischer Methoden im Sinne der religiösen Islamwissenschaften sowie die Frage des Glaubens und der Religiosität, d.h. des Verhältnisses der Einzelnen zu Gott. So wird erklärt, „die propagierte ‚Theologie der Barmherzigkeit‘“ beruhe „überhaupt nicht auf einer eindeutig identifizierbaren wissenschaftlichen Methode – weder einer der Islamwissenschaft entnommenen Methode, noch einer der Christlichen Theologie entnommenen Methode und erst recht keiner eigenständig entwickelten, der Islamischen Theologie dienlichen Methode“. Eine theologische Reflexion auf die im sakralen Text des Koran dominierende Idee der Barmherzigkeit (rahma) des „Allerbarmers“ (al-rahman al-rahim) kann aber nicht auf Methoden der Islamwissenschaft beruhen – die Islamwissenschaft als Religionswissenschaft blickt kritisch auf eine Sammlung von Texten und erforscht, warum und wie Menschen sich zu verschiedenen Zeiten eine Vorstellung von Göttern oder einem Gott gemacht haben. Ein Islamwissenschaftler würde in Bezug auf die arabo-islamische Vergangenheit sicherlich keine „Geschichte der Barmherzigkeit“ schreiben. Khorchide, ein gläubiger Muslim, betrachtet den Koran jedoch nicht historisch-kritisch und distanziert als ‚Quelle‘, sondern als Fundament seiner Beziehung zu Gott, was für die Verbände eigentlich kein Kritikpunkt sein dürfte. Auch der Vorwurf des Ignorierens christlich-theologischer Traditionen geht ins Leere – doch widerspricht sich das Gutachten selbst, wenn es einmal ihre Nichtverwendung und ein paar Seiten weiter wiederum ihre angebliche Verwendung kritisiert. Seine Ideen sind zudem keineswegs ‚neu‘ oder ‚fremd‘, vielmehr knüpfen sie an Debatten der arabo-islamischen nahda des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie an ‚Reformer‘ des späten 20. Jahrhunderts an, und haben durchaus auch Vorläufer in der ‚islamischen‘ Geschichte der Pluralität und Ambiguität.
Im Gutachten wird die Unfähigkeit deutlich, das Wesen der theologischen Arbeit zu erfassen, die auf den sakralen Text und auf Gott bezogenen ist. Vielmehr handelt es sich um einen eindeutig ‚säkularen‘ Wissenschaftstext, der – in Teilen widersprüchlich – ein Sammelsurium an überwiegend textkritischen Argumenten gegen eine Idee in Stellung bringt, die ihrerseits auf der gläubigen Reflexion eines Theologen auf Basis einer holistischen Koranexegese beruht. Dass ihm so ‚Unwissenschaftlichkeit‘ unterstellt wird, um ihn dann aber aus einer ‚islamischen‘ Position heraus als ‚unislamisch‘ bzw. ‚ungläubig‘ zu diskreditieren, ist paradox.
Suggestiv werden Razi, Tabari oder Zamakhshari als Gegenpositionen angeführt, obwohl die Zitate eher Khorchides Exegese stärken. Zudem steht der Grundpfeiler des Gutachtens auf wackligen Füssen – der über 13 Seiten ausgebreitete Vorwurf, Khorchide übersetze falsch aus dem arabischen Originaltext des Korans. Khorchide habe „bisweilen so frei übersetzt, dass weniger von einer Übersetzung im eigentlichen Sinne als mehr von einer Interpretation ausgegangen werden muss“. Eine unglaubliche Aussage, schließlich lernt jeder Fremdsprachenstudent oder angehende Übersetzer, dass jede Übersetzung nur eine Interpretation sein kann, wobei es zu jedem Zeichen oder Wort nie nur eine richtige Interpretation gibt. Schaut man sich die angeführten Stellen an, fällt zuerst auf, dass hier ‚gestreckt‘ wird, einige Aussagen und Zitate werden aufgeführt, ohne dass klar wird, wo der Fehler stecken soll. Zudem versteigt man sich zu fragwürdigen Vorwürfen, kritisiert z.B. die – im Sinne des „tawhid“ schlüssige und konsequente – Übersetzung des koranischen pluralis majestatis (=„Allah“ spricht) „nahnu“ mit „Ich“. Bei der Mehrheit der Beispiele handelt es sich um freie Übersetzungen Khorchides, die vom Wortlaut abweichen, die semantische Aussage aber durchaus treffen.
Jenseits dessen ist es interessant, sich einmal anzuschauen, wer hinter dem KRM steckt. Es handelt sich dabei um einen Zusammenschluss von mehreren Vereinen, die sich zwar beeindruckende Namen wie „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ gegeben haben, jedoch nur etwa sechs Prozent [!] der vier Millionen Menschen vertreten, die sich hierzulande als Muslime sehen. Laut einer repräsentativen Studie im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz ist der KRM nur 10% der Gläubigen bekannt, von diesen fühlt sich nur jeder fünfte von ihm vertreten. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als brisant, dass die Verbandsvertreter, quasi ‚Berufsmuslime‘, sich als Stimme „der Muslime“ gerieren – ein ominöses Kollektiv, dass vom Staat und von ihnen, von Islamisten wie von antimuslimischen Rassisten gleichermaßen als homogenes Kollektiv von ‚Anderen‘ entworfen wird. Vielsagend war da die Aussage eines Vertreters der islamistischen Millî Görüş: Man könne sich nicht über die Meinung der „eigenen Basis“ hinwegsetzen, aus der heraus man sich „legitimieren“ müsse – einen deutlicheren Hinweis auf Klientelpolitik als eigentlichen Grund kann es nicht geben. Der Fall wird zudem instrumentalisiert, um eine staatskirchenrechtliche Anerkennung und damit verbundene Macht und Pfründe zu erringen – auf dem Rücken der Theologie und der Studierenden. Deutlicher gesagt: Die theologisch unqualifizierten Vertreter der verschiedenen Vereine, die zudem weit weniger als 10% der bekennenden Muslime in Deutschland vertreten, beanspruchen nicht nur, Muslime kollektiv und dann auch noch in Glaubensfragen zu vertreten. Sie sehen sich zudem dazu berechtigt, theologische Lehrer zu (dis)qualifizieren und in die Wissenschaftsfreiheit der Universitäten einzugreifen. Das ist zum einen daher brisant, weil die islamische Tradition keine derartigen Vermittler kennt, erstrecht nicht explizit politische. Zudem versuchen sie durchzusetzen, dass der Maßstab, der an eine Lehrautorität gelegt wird, ihre politische, und nicht eine fachliche Bewertung ist (– die meisten Islamtheologen an deutschen Universitäten haben die Kritik der Verbände zurückgewiesen). Und nicht mal mit Bezug auf das Curriculum stellen sie die Lehre in Münster in Frage. Das Buch, an dem sie sich – wie gezeigt nicht überzeugend – abarbeiten, steht in keinerlei direktem Bezug zum Lehrplan des hiesigen Institutes. Geradezu perfide ist zudem der Vorwurf der Staatsnähe und der Instrumentalisierung eines „Hofislams“ zur Integrations- und Sicherheitspolitik, ist er doch eine bloße Projektion. Denn es sind die Islamverbände, die diese Rolle eigentlich spielen. So haben Levent Tezcan und andere treffend auf die Funktion der Verbände für den Staat hingewiesen, für den der „Dialog mit den Muslimen“ zum zentralen strategischen Instrument in einem Diskursfeld geworden ist, das von Themen wie Sicherheit/Terrorismus, Integration oder demographische Entwicklung bestimmt wird. Beide Seiten gewinnen, die Verbände erhalten Anerkennung und damit Macht eben weil sie sich dem Staat als Vertreter ‚des muslimischen Subjekts‘ präsentieren, dessen Konstruktion vorausgesetzt ist. Konstruiert wird dieses Kollektivsubjekt dabei nicht nur von den Verbänden bzw. Islamisten, sondern vor allem von antimuslimischen Rassisten, von Sarrazin-Fans und „Identitären“.
Khorchide wird auch nicht, wie behauptet, „von islamfeindlichen Medien instrumentalisiert“. Denn abgesehen davon, dass Khorchide eher von Islamapologeten und als Argument gegen ‚Islamkritik‘ angeführt wird, sind es die Verbände selbst, die in einem quasi islamistischen Diskurs die Argumente antimuslimischer Rassisten spiegeln. Dieser hat nicht viel mit einem traditionellen islamischen Diskurs zu tun und ist eher als moderne Ideologie zu fassen, ähnlich dem Nationalismus. Ein homogenes Kollektiv ( „umma“) wird konstruiert, und unter Ausschaltung der Realgeschichte der Ambiguität und der Pluralität des Rechtsdiskurses wird ein ‚authentischer‘ Islam aufgerufen, der den jeweiligen Vertreter durch die Identifikation mit dem Sakralen, Absoluten, Unfehlbaren in die Machtposition absoluter Willkür setzt. Anderen wird dann vorgeworfen, nicht islamisch zu sein, womit man sich gegen Argumente abdichtet und einen Dialog ausschließt (– die KRM-Vertreter haben auch kürzlich ein Treffen in einer Moschee boykottiert, nur weil Khorchide dort anwesend war). Es ist klar, dass Islamisten eine „Theologie der Barmherzigkeit“ nicht nachvollziehen können, finden sie doch Sicherheit im Dogma, das ihnen klar und authentisch erscheint. Doch rezipieren sie vor allem Interpreten des eigentlich sakralen Textes, und nicht diesen selbst, bzw. diesen in einer atomistischen, nicht in einer holistischen Exegese. Ihre theologische Basis ist verkümmert, es geht ihnen nicht um das Verhältnis des Gläubigen zu Gott, sondern um Politik. Es spricht für sich, dass der KRM erst auf Druck des Islamisten Pierre Vogel gegen Khorchide vorging. Die Salafisten kennen weder Reflexion noch Glauben, sie kennen nur Gesetze, die ihnen die Komplexitäten des Alltags in der Moderne auflösen sollen. Wenn es keine Hölle gäbe, so sagte Vogel einmal, wieso sollte ein Mensch dann recht handeln? Wer so denkt, kann das Wesen von Theologie nicht erfassen, und muss auch der komplexen arabo-perso-islamischen Tradition Gewalt antun.
* Hannes Bode hat Islamwissenschaft und Geschichte studiert und ist freier Referent und Autor.
(Bildquelle: Wikimedia Commons, Nevit Dilmen)