Gefunden

Geige wolle er spielen, verkündete der Zoowärter, als er das Heftchen mit der Anmeldung für den Instrumentalunterricht nach Hause brachte. Ob er sich dessen ganz sicher sei, fragte ich und zwar nicht, weil ich etwas gegen die Geige einzuwenden hätte. Im Gegenteil, ich liebe den Klang dieses Instruments und die Behauptung, das würde ja so schrecklich quietschen, mag ich nicht mehr hören. Gewöhnlich quietscht es nur am Anfang und diejenigen, die mit Quietschen nicht aufhören können, hören bald einmal mit dem Geigenspiel auf.

Grundsätzlich könnte ich also mit Zoowärters Wunsch ganz gut leben. Die Sache ist nur die, dass wir mit Karlsson bereits einen ganz passablen Geiger in der Familie haben und wenn kleine Geschwister wollen, was der Grosse tut, läuten bei mir die Alarmglocken. Ich war ja selber lange genug die kleine Schwester, die glaubte, wollen zu müssen, was die Grossen machten und es dauerte ziemlich lange, bis ich erkannte, dass ich wollen sollte, was mir in die Wiege gelegt worden ist und nicht das, was die anderen gut können. Darum rang ich dem Zoowärter das Versprechen ab, dass er den anderen Instrumenten zumindest eine kleine Chance geben würde, wenn wir zum Probespielen gehen würden. Zähneknirschend willigte er ein, aber erst, nach einem trotzigen “Ich will aber Geige spielen und sonst nichts.”

Geige spielen wollte er auch noch, nachdem er heute das Instrument endlich in den Händen gehalten und ihm unter grossen Mühen ein paar Töne entlockt hatte. Er wollte es auch noch, nachdem er sich mit dem Schwyzerörgeli abgemüht hatte. Was mich offen gestanden beruhigte, denn auch wenn mir bewusst ist, dass man mit dem Ding ganz tolle Sachen anstellen kann, so bin ich mir doch nicht sicher, ob ich die Nerven für all den Ländler hätte, den ein Kind spielen muss, bis es endlich gut genug spielt, um etwas für meine Ohren Anständiges vortragen zu können. Auch die Blockflöte vermochte Zoowärters Meinung nicht zu ändern, was wohl gut ist, denn vor ihm habe ich noch keinen gekannt, dem bei den ersten zaghaften Flötentönen schwindlig wurde.

Nach dem zweiten Besuch bei der Geige begann ich mich mit dem Gedanken anzufreunden, einen zweiten Geigenspieler in der Familie zu haben, doch ganz glücklich war ich mit der Sache nicht, denn weder beim ersten noch beim zweiten Versuch hatte ich etwas von dieser Begeisterung gespürt, die ein Kind überkommt, wenn es sein Instrument gefunden hat. “Wollen wir nicht noch zum Cello gehen?”, fragte ich deshalb. “Okay, aber ich will Geige spielen”, gab der Zoowärter zur Antwort.

Bei der Cellolehrerin herrschte gerade ziemlich grosser Andrang und so mussten wir eine ganze Weile warten. Ob wir vielleicht doch lieber nach Hause gehen sollten? Das Kind hatte seine Wahl ja getroffen und vielleicht gibt es nicht bei allen diesen magischen “Das ist es!”-Moment. Wir blieben, der Zoowärter kam irgendwann doch noch an die Reihe, die Lehrerin zeigte ihm, was er zu tun hatte, er spielte die ersten Töne und dann geschah das, worauf ich den ganzen Morgen vergeblich gewartet hatte: Die bis dahin angespannten Muskeln entspannten sich, der Blick wirkte nahezu verklärt, das zuvor unruhige Kind wurde andächtig. “Bitte, lass es ihn auch spüren”, schickte ich ein Stossgebet zum Himmel.

Ob es ihm gefallen habe, fragte ich den Zoowärter, als wir wieder draussen waren. Ja, sehr, aber er wolle immer noch Geige spielen, antwortete er. “Weshalb denn?”, wollte ich wissen. Sein Brustbein hätte ihm beim Spielen etwas weh getan, erklärte er mir. Er würde ein kleineres Instrument bekommen, nicht so ein grosses, wie das, mit dem er gerade gespielt habe. Da würde dann auch nichts gegen sein Brustbein drücken. Ein Strahlen breitete sich auf Zoowärters Gesicht aus. “Dann will ich Cello spielen.” Ob er sich ganz sicher sei, fragte ich, oder ob er das nur wolle, weil ich es schön fände. Nein, er wolle das ganz bestimmt, versicherte er mir.

Wir könnten auch noch einmal zur Geige zurückgehen, schlug ich vor, doch das wollte er nicht. Einzig zu einem zweiten Besuch beim Cello liess er sich noch überreden, dann musste er unbedingt nach Hause, um den anderen von seiner neuen grossen Liebe zu erzählen. Das Cello habe ihn gefangen genommen, erzählte er auf dem Heimweg, sein ganzer Körper habe gespielt, alles, bis in die Fingerspitzen. So stark sei das Instrument, sagte er. So zart, sagte ich. So lustig, ergänzte er. “So wie du”, sagte ich und er strahlte.

Kaum etwas in meinem Leben als Mutter berührt mich so sehr, wie wenn ein Musikinstrument eines meiner Kinder findet und sein Herz im Sturm erobert.

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