Gestern vor zwei Jahren wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink in Istanbul auf offener Straße erschossen. Wenige Tage später fasste die Polizei den mutmaßlichen Schuldigen, einen 16-jährigen Türken aus Trabzon. Sein Tatmotiv: Dink habe das türkische Volk beleidigt. Der Mord geschah vor dem Gebäude, in dem sich die Redaktionsräume der von Hrant Dink herausgegebenen Wochenzeitung Agos befinden. In dem Blatt wurden immer wieder politisch heikle Themen diskutiert, und Dink deshalb mehrmals auf Grundlage von Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches vor Gericht gezerrt. In seinem letzten Artikel beschreibt der Journalist, wie er von "bestimmten Kräften" bewusst zur Zielscheibe gemacht worden sei. Der Mord gilt weithin als bezeichnend dafür, dass Meinungsfreiheit in der Türkei noch lange keine Selbstverständlichkeit ist.
Gestern klang traurige Musik von der Straße in die Unterrichtsräume, so fremdartig und melancholisch, dass sich mir sprichwörtlich die Haare aufstellten. "Das ist keine schöne Musik," beklagte sich eine der Studentinnen. Vom Fenster aus beobachteten wir, wie Übertragungswagen verschiedener Fernsehsender, Polizisten und gepanzerte Fahrzeuge auf der gegenüberliegenden Straßenseite Stellung bezogen. "Ist Hrant Dink hier erschossen worden?" fragte ich. "Jaja," nickte Arzu, "hier, keine fünfzig Meter."
In der Türkei wird auch hinter dem Mord an Hrant Dink eine Verschwörung vermutet. Ergenekon, Susurluk, das sind die Schlagwörter, die im Zusammenhang da
Gestern fand um 15 Uhr an der Stelle der Ermordung Hrant Dinks eine Gedenkfeier statt. Die Leute legten Rosen vor dem Redaktionsgebäude auf die Straße. Auf schwarzen, runden Schildern stand "Hrant icin, adalet icin" (Für Hrant, für die Gerechtigkeit). Was mich umhaut, ist das Gefühl, so nah am Geschehen ein normales Leben zu führen. Dass mein Arbeitsplatz gleich um's Eck ist, dass die ultranationalistische MHP gleich nebenan ihr Büro hat. Diese Konstellation ist typisch für die Türkei: verschiedenste Interessen kumulieren auf engsten Raum, und irgendwann kracht's mal wieder. Das beunruhigt. Und ist gleichzeitig spannend.