[Gedacht] über den Wunsch Bücher zu verstehen

Ich war so neugierig auf dich. Gut, die Stimmen aus dem Internet waren eher durchwachsen. Aber deine Geschichte klang mal nach etwas Neuem, Spannendem. Und obwohl ich da normalerweise nicht so drauf achte, sprach mich auch dein Cover an. Diese Farben und Strukturen schienen mir dein Inneres perfekt nach Außen zu spiegeln.

Als ich dich in die Hand nahm, war ich dann erst einmal überrascht, wie dünn du doch bist. Ich kenne nur wenige dünne Bücher, die mir genug Geschichte bieten. Aber lass den Kopf nicht hängen! Verlier nicht den Mut! Ich bin doch neugierig und habe Lust, dich zu lesen. Schauen wir doch einfach mal, was hinter deinen Buchdeckeln steckt.

Deine Geschichte beginnt erst einmal ganz normal. Das ist gut, so kann ich mich langsam und in Ruhe mit dir anfreunden. Mich mit deiner Sprache vertraut machen und die Figuren kennenlernen. Und wie mir scheint, spielt alles in einer normalen Umgebung: kein ausgedachtes Land, keine ungewöhnlichen Vegetationen, Gesellschaftsregeln oder merkwürdige Wesen. Das ist auch gut. Mal was anderes. Und ich finde, es ist mitunter schwieriger, aus der uns allen bekannten Gegenwart zu erzählen. Schließlich fallen hier Fehler schneller auf.

Du hast also etwas gewagt. Das freut mich! Und mit deiner Sprache sprichst du mich auch an. Sie ist leicht, schlicht und unauffällig. Zwar nichts Besonderes, aber das muss es ja auch nicht immer sein.
Doch was machst du dann? Deine Hauptfigur tut etwas und ich komme plötzlich nicht mehr mit! Ich verstehe nicht, warum sie das getan hat, was in ihr vorgeht.

Sie wirkte doch zunächst so normal, unauffällig. Warum verhält sie sich dann auf einmal so merkwürdig? Nein, mir reicht es nicht, dass sie selbst zugibt, sich nicht ganz zu verstehen. Das hilft mir nur über die nächsten paar Seiten, aber doch nicht durch ein ganzes Buch!
Und dann plötzlich diese Visionen… dieses Farben sehen und Aura spüren. Bin ich doch in einem Fantasybuch gelandet oder gar in einem esoterischen Roman? Das hätte ich gerne vorher gewünscht. Dann kann ich mich darauf einstellen. Aber diese Mischung, dieses mal normal, mal abgefahren, damit komme ich nicht zurecht.

Liebes Buch, verrat mir doch endlich, was du mir erzählen willst! Wo führt das endlich hin? Ich soll mich gedulden, es sei doch spannend? Tut mir leid, es ist nicht spannend. Es gibt keinen Spannungsbogen. Zumindest nicht für mich. Es ist nervenaufreibend, es spielt mit meiner Geduld. Denn die Hauptfigur wird immer seltsamer, in ihren Gedanken fehlen Stücke, die mir sie verstehen helfen würden. Wo kommen plötzlich all diese merkwürdigen Gefühle her? Wieso ist sie von jetzt auf gleich so fixiert von einer Sache? Und seien wir mal ehrlich: wenn die Hauptfigur stört, dann klappt es mit dem ganzen Buch nicht!

Ich dachte, du wärst normal. Ein normaler Roman, mit in einem normalen Handlungsort. Aber irgendwie… ich habe noch nie so oft beim Lesen die Stirn gerunzelt. Und ich runzle nicht gerne die Stirn, das gibt Falten. Auch habe ich schon den Kopf geschüttelt und geflucht. Das ist nicht sehr praktisch, wenn man so wie ich auch in der Öffentlichkeit liest. Wäre ich in einem Comic, stünde mir immer ein riesengroßes, dickes, schwarzes Fragezeichen über dem Kopf.

Ich mache mal einen Test: ich lege dich für einen Tag weg und schaue, ob ich den Wunsch verspüre, doch noch weiterzulesen, um herauszufinden, wie sich das alles auflöst…
… Wow, obwohl ich irgendwie ahne, dass es wirklich ein interessantes Geheimnis gibt, das hinter dieser Geschichte steckt. Dass ich nur bis zum Ende durchhalten müsste, dann würde mir alles erklärt… Nein, ich schaff es nicht. Ich kann dich einfach nicht verstehen! Und glaub mir, ich bin mindestens genauso traurig darüber wie du. Ich hatte mich doch so auf dich gefreut! Aber weißt du, eine gute Idee alleine reicht manchmal eben nicht für einen ganzen Roman. Vielleicht hättest du doch dicker sein müssen: mehr Seiten, mehr Zeit für Ausführlichkeit. Vielleicht hätte deine Hauptfigur sich dann getraut, gründlicher nachzudenken und sich besser zu erklären.

Wir zwei werden also keine Freunde. Es klingt grausam, aber es gibt noch so viele andere Bücher, die vielleicht besser zu mir passen! Du hattest deine Chance, zwei sogar. Doch nun ist es Zeit aufzugeben. Wir müssen beide einsehen, dass wir nicht gut füreinander sind. Doch ich hoffe, du findest einen passenden Leser!

Gute Reise!


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