Dank Bahncard, BahnBonus, Newsletter-Abo und Reise-App bin ich ein offenes Buch für die Bahn: Sie weiß, wie ich heiße, wohin ich fahre, wann ich Geburtstag habe. So war die Überraschung neulich nicht allzugroß, als eine Mail mit dem Betreff “Herzlichen Glückwunsch” pünktlich in meinem Postfach landete. Darin abgebildet: Ein explodierendes Geschenk, aus dem Lichtblitze und bunte Luftballons herausquollen. Daneben ein Link (“zur Überraschung”) und ein neugierig machender Text: “Unsere Geburtstagsplanung haben wir dank Ihrer Mithilfe erfolgreich abgeschlossen und Ihr ganz persönliches Geschenk wartet schon auf Sie.”
Voller Erwartung – schließlich meinte ich mich erinnern zu können, in den letzten Jahren häufiger Freifahrten, Mitfahrerguscheine oder irgendwelche Rabatte bekommen zu haben – den Klick gesetzt, dann die angekündigte Überraschung: Ein Bild mit einem ICE, der aus einer Farbbeutelattacke von Castor-Gegnern zu kommen scheint (später erkennt man, dass er eigentlich bunt geschmückt ist) und meinen Namen trägt, davor eine Bahnschaffnerin mit einer Schwarzwälderkirschtorte in der Hand, von beiden Seiten fliegen bunte Luftballons in die Szenerie und auf den Gleisen wachsen Margeriten – an Skurilität kaum zu überbieten. Denkt man zumindet. Bis man das Scrollrädchen der Maus einmal dreht und das Geschenk die echte Überraschung auf dem Bildschirm erscheint. Anschnallen bitte, zum Geburtstag gibt’s von der Bahn das Schnittmuster eines ICEs zum Selberbasteln!
Reich beschenkt von der Bahn: Wir basteln uns einen ICE
Nach Jahren treuer Gefolgschaft und Unmengen von Daten, die ich bei der Bahn hinterlassen habe, weiß mein liebstes Schienentransportunternehmen offenbar erstaunlich genau, was ich mir von Herzen wünsche.
Ein echtes Meisterstück in Sachen Kundenbindung! Denn steckt nicht in allen von uns ein verkappter Eisenbahn-Evangelist? Ernsthaft: Gut für die Bahn, dass man Monopolist ist – in einem Markt mit vorhandenen Alternativen wären definitiv ein paar ernsthaftere Gedanken zur Begeisterung der lieben Kundschaft notwendig. Hätte, wäre, könnte. Noch ist es für die Bahn im öffentlichen Personentransport recht muggelig, allen Tourenbussen und Mitfahrgelegenheiten zum Trotz. Und so können wir uns in den nächsten Jahren vielleicht auf eine Schaffnerkelle zum Ausmalen, den heiteren Liedtext von “Eine SeeBahnfahrt, die ist lustig!” oder ein avangardistisches Film-Epos aus nichts als Verspätungsmeldungen freuen…