Hatten wir lange, wollen wir nicht. Stillschweigend übergeht die neue Macht den Maler der alten, weil sie sich in ihm selbst erkennt. Ein Sittengemälde, das ohne Pinsel und Staffelei hergestellt wird. Zur Uraufführung eines Orgelwerkes des Komponisten Wolfgang Fuchs zu Bildern von Sitte (Video oben) kamen Sitte-Bewunderer, alte Fans von Fuchs´ Band Pond. Städtische Prominenz hielt sich fern, als könnte der Kontakt mit dem Altmaler die eigene Karriere kontaminieren.
Doch die selbsternannte Kulturhauptstadt Halle ist da nur ein verkleinertes Spiegelbild des größeren Deutschland. Das feiert Helden nicht nach ihren Taten, sondern nach der Opportunität ihres Verhaltens: Egon Krenz, der die Mauer öffnete, landete im Gefängnis. Michael Gorbatschow, jahrelang Krenz´ Vorgesetzter, an Elfriede Springers Bankett-Tisch.
Gut ist, wer gefällt, nicht wer malen kann. Bei der Bewertung des künstlerischen Werkes gehen die Verdienstkreuzverleiher der neuen Zeit nach dem Schema ihrer Vorgänger vor, die Verdienstorden zu vergeben hatte. Wolf Biermann war natürlich eine "schleichende intellektuelle Seuche", wie das Neue Deutschland 1976 zu berichten wusste. Gitarre spielen konnte er auch nicht! Willi Sitte trifft 35 Jahre später ein vergleichbares Urteil: Der Künstler hat das Pech, im Schatten des Funktionärs gemalt zu haben. Und bis heute kein Einsehen zeigen zu wollen. "Ich denke nicht daran, der Idee des Sozialismus abzuschwören, bloß weil alle auf Linie gehen und weil ein Modell gescheitert ist", beharrt der seit einer Hüftoperation auf einen Rollstuhl angewiesene Maler, der zu DDR-Zeiten im SED-Zentralkomitee saß.
Keine Gesellschaft ist verpflichtet, so viel störrisches Kontra zu belobigen. Den Plan, eine eigene Sitte-Galerie zu etablieren, ließen die Behörden in Halle so lange ins Leere laufen, bis der Maler mit seinem Werk ins nahe Merseburg umzog. Als würde Manchester die Beatles feiern. Ein zum 80. Geburtstag in Nürnberg geplante Schau - Sittes Heimatstadt Halle hatte kein Interesse gehabt - fand nicht statt, weil das Germanische Nationalmuseum unter der öffentlichen Kritik einknickte, einem DDR-Staatskünstler ein Podium zu bieten. 1977, im Jahr nach Biermann, war Sitte noch würdig, die DDR auf der documenta zu vertreten. Jetzt hieß es zur Begründung, Werk und Person des Künstlers müssten noch "wissenschaftlich aufgearbeitet" werden.
Zum 90., den Sitte selbst aus gesundheitlichen Gründen genauso still feiert wie die DDR ihren 60. beging, ist es dasselbe. Der zweimalige Träger des Kunstpreises der Stadt Halle (1953 und 1954) hat es sich verscherzt mit der Macht, die nun auch nicht mehr bereit ist, seine gewaltigen Ölschinken gut zu finden. So sieht seine Heimatstadt Halle keinen Anlass, ihren großen Sohn zu ehren. Es wird keine Ausstellung geben für den Mann, der seit 64 Jahren an der Saale lebt. Nicht aus politischen, nicht aus ästhetischen Gründen. Sondern weil es keine geeigneten Räumlichkeiten für eine große Werkschau gibt, wie es im Kulturamt der Stadt heißt. Auch die in Halle beheimatete Stiftung Moritzburg sieht keine Veranlassung, Sittes Werk zum Jubiläum öffentlich zu machen. Wer Bilder des Malers sehen wolle, könne doch nach Merseburg fahren.
Helden, die sich halten
Lenin war lustig, Halle feiert rein