Geburtsbericht des Großen (6. März 2011)

Morgen wird der Große 4 Jahre alt. Ein guter Anlass, um endlich einen Geburtsbericht zu schreiben und alles noch einmal zu rekapitulieren. Als Erinnerungsstützen liegen meine eigenen Aufzeichnungen sowie der Geburtsbericht (Partogramm) der Klinik vor, den ich für beide Kinder im Juli 2014 interessehalber angefordert hatte. Darin kann ich zwar nicht alles entziffern, aber einige medizinische Informationen waren dennoch sehr aufschlussreich für mich.
Der Große wurde am 6. März 2011 um 15:40 Uhr geboren. Sein errechneter Termin war der 1. März, somit war er 5 Tage überfällig und ich war in SSW 40+5. Der errechnete 1. März hatte für mich einen ungeheuren Symbolwert, weil ich an diesem Tag, 7 Jahre früher, mein erstes Baby verloren hatte. Als die Schwangerschaft mit dem Großen nach langer Kinderwunschzeit festgestellt wurde und dieser Termin genannt wurde, war ich gleichzeitig traurig und glücklich über diese Datum. Naja, er hat sich dann ja noch ein paar Tage Zeit gelassen.
Der errechnete Geburtstermin verstrich mit einem Besuch von Freunden und deren 3 Wochen alter Tochter. Ich fühlte mich ziemlich normal, ging viel spazieren und setzte mich in die Sonne. Laut Frauenärztin war alles bestens; die gesamte Schwangerschaft war glücklich und fast problemlos verlaufen. Am Freitag, 4. März, dachte ich morgens, dass die Fruchtblase eventuell geplatzt sei, weil einiges an Flüssigkeit abging. Ich wusste ja nicht, wie sich ein wirklicher Blasensprung anfühlt. Da der Kopf noch nicht fest im Becken war, bestellten wir einen Krankentransport, der mich in die ca. 10 Minuten entfernte Klinik brachte. Die Untersuchung und das CTG ergaben leichte Wehen, aber keinen Blasensprung. Am liebsten wäre ich gleich dort geblieben, weil ich diese Ungewissheit, wo und wann es losgeht, schlecht ertragen konnte. Man schickte mich aber wieder nach Hause. Mein Mann hatte an diesem Freitag seinen freien Tag und ab der nächsten Woche Urlaub (bzw. ab Geburt Elternzeit). Wir fuhren also wieder nach Hause und machten uns einen ruhigen Tag. Am Samstag, 5. März, putzten wir die Wohnung und holten uns am frühen Nachmittag ein indisches Essen, da diesem ja nachgesagt wird, dass es Wehen auslösen kann. Bei der Kleinen 2 Jahre später hat es nicht funktioniert, aber hier eventuell doch;).
In der Nacht zum Sonntag, 6. März 2011, ging ich ganz normal um ca. 23:30 Uhr schlafen, wachte aber um 2:15 Uhr mit Schmerzen auf, die noch relativ erträglich waren. Ich fing routinemäßig an, die Abstände zu stoppen (anfangs war es unregelmäßig, regelmäßig wurde es ca. ab einem 8-Minuten-Abstand), hatte aber zu keinem Zeitpunkt das untrügliche Gefühl, dass dies nun wirklich Geburtswehen sind und heute mein Kind zur Welt kommt. Dies nur zum Thema Intuition und Bauchgefühl;). Hatte ich nicht, und viele andere Frauen berichten Ähnliches. Da mein Mann in den letzten Schwangerschaftswochen aufgrund der unruhigen Nächte schon in einem anderen Zimmer schlief, quälte ich mich allein durch die Nacht und weckte ihn gegen 7:00, als die Schmerzen im 4-5 Minuten-Abstand kamen und schon recht stark waren. Er war natürlich vollkommen überrascht, als ich ihm sagte, dass ich jetzt nicht länger zuhause bleiben wolle. Wir machten uns in Windeseile fertig und gingen ohne Frühstück aus dem Haus. Die Schmerzen waren schon ziemlich unerträglich und ich wurde auf der kurzen Autofahrt schier wahnsinnig, weil mir alles weh tat und nahezu keine Pausen mehr zwischen den Wehen lagen.
Um kurz vor 8 Uhr kamen wir im Krankenhaus an. Ich wartete im Eingang auf meinen Mann, der noch einen Parkplatz suchte. Beim Aufstehen platzte dann die Fruchtblase. Diesmal war es eindeutig und ich wusste, dass nun bald mein Kind geboren würde. Ich war pitschnass, ebenso die Bank und der Flur, wo ich gestanden hatte. Ab dem Blasensprung wurden die Wehen unerträglich stark und ich war völlig außer mir vor Panik und Schmerzen. Wir stürzten hoch zum Kreißsaal, ich wurde erstmal ins Bad beordert, kam jedoch vom Klo nicht mehr hoch. Es war ein grauenhafter unwürdiger Zustand. So hatte ich mir meinen Einzug in den Kreißsaal und Beginn der Geburt nicht vorgestellt. Ich wurde auf ein Bett gehievt und an's CTG angeschlossen, das starke Wehen ohne Pause zeigte. Wie ich später herausfand, hatte ich einen Wehensturm, d.h. eine Wehe ging direkt ohne Pause in die nächste über, die Spitze des Wehenberges markierte gleichzeitig den Beginn der nächsten Wehe. Es war also kein Durchatmen und Zu-Bewusstsein-Kommen möglich. Solch einen Zustand des Ausgeliefert-Seins hatte ich noch nie (bzw. ansatzweise nur bei der Fehlgeburt) erlebt. Ich bin ein Mensch, der alles selbst steuern und aus eigener Kraft schaffen möchte, und genauso war ich auch an die Geburt herangegangen. Ich wollte mit leichten Wehen in der Klinik ankommen und mich langsam an die Geburt herantasten, mich in den Wehenpausen sammeln und alles ganz bewusst erleben. Dies war mit dieser Wehenintensität nicht möglich. Im Geburtsbericht steht auch eindeutig: "sehr kräftige Wehen", also habe ich mir das nicht eingebildet. Der Schmerzzustand war aber nur das Eine, fast noch schlimmer war das Gefühl des Überrolltwerdens und des Nicht-Herrin-der Lage-Seins, was mich komplett aus der Bahn warf. Ich lag da, verlor fast das Bewusstsein vor Schmerzen und war todunglücklich ob des Verlaufs.
Es gab keine Alternative zu einer PDA. Ich bettelte förmlich darum. Gelegt wurde sie um 10:30 Uhr. Die Zeit bis dahin kam mir wie eine Ewigkeit vor. Der Muttermund war schon 7-8cm offen, d.h. es wurde höchste Zeit. Ich wollte endlich wieder halbwegs klar denken und etwas von meiner ersten Geburt mitbekommen. Ich hatte trotz PDA noch starke Schmerzen und bekam noch eine Nachdosierung. Dann wurde es besser. Das Chaos in Körper und Seele lichtete sich, und obwohl ich sehr mit den Nachwehen der PDA zu kämpfen hatte (starke Rücken- und Kopfschmerzen), halte ich diese Entscheidung trotzdem immer noch für richtig. Ich konnte mich wirklich erst dann mit dem Geburtszimmer, der Hebamme und dem Gedanken, dass mein Kind zur Welt kommt, vertraut machen und mich auf das Geschehen einlassen. Ich hatte Bärenhunger, und da ich kein Mittagessen zu mir nehmen durfte (der Duft des Essens meines Mannes stieg mir neiderregend in die Nase), kaute ich auf etwas trockenem Baguette herum. Meiner Meinung nach war es ein Fehler, mir das Essen zu verwehren, weil ich dadurch noch mehr geschwächt wurde. Ich konnte mich dank der PDA nun auch mit meinem Mann austauschen und wir harrten der Dinge, die nun kommen würden. Die Stunden vergingen und ich hatte trotz PDA zwischendurch immer wieder Schmerzattacken, vor allem, als wieder wehenverstärkende Mittel gegeben wurden.
Um 15 Uhr war Schichtwechsel und die diensthabende Ärztin und Hebamme wollten, dass nun endlich was passiert. Das CTG war nicht mehr in Ordnung, die Herztöne wurden schlechter und das Fruchtwasser war sowieso schon "grün" gewesen, d.h. zu lange sollte die Geburt nicht mehr dauern. Leider konnte ich nicht in dem Maße mitpressen, wie es nötig gewesen wäre, da ich nicht viel spürte. Wir versuchten es in verschiedenen Positionen, aber es ging zu langsam, und dem Baby ging es nicht gut. Ich musste geschnitten werden und dann wurde leider die Saugglocke angesetzt. Ich kann natürlich nicht beurteilen, ob das nötig gewesen wäre, und denke, dass die Saugglockengeburt sicherlich nicht zur Beruhigung des Gemüts des Großen beigetragen hat, aber so war es nun einmal. Es war nötig, dass er schnell rauskommt. Um 15:40 Uhr wurde er geboren. Er hatte einen Kopfumfang von 38cm und ein Austritt ohne Geburtsschäden wäre sicherlich unmöglich gewesen.
Dann lag er auf einmal auf meiner Brust und ich spürte - nichts. Ich dachte, ich würde weinen oder vor Freude explodieren, aber ich empfand nichts dergleichen. Er war einfach fremd. Dieses Gefühl hat Christine von der Villa Schaukelpferd mal sehr bewegend beschrieben, ich fand mich darin extrem wieder. Gefühle kann man weder beeinflussen noch abstellen. Nach der Geburt der Kleinen habe ich übrigens genauso empfunden, da überwog nur die Erleichterung über die rasante und problemlose Geburt (dazu ein späterer Geburtsbericht).
Wenige Augenblicke später kam eine riesengroße Plazenta herausgeflutscht und landete mit einem Schwall Blut auf dem Fußboden, da keiner mit einer so schnellen Nachgeburt gerechnet hatte. Mein Mann erzählte mir, dass der gesamte Boden voller Blutspritzer gewesen sei. Die Nabelschnur durfte mein Mann durchtrennen und ich wurde genäht. Da wir uns im Vorfeld für eine Nabelschnurbluteinlagerung entschieden hatten, wurde dies auch gleich noch erledigt. Unser Baby schrie aus vollem Halse; die Anwesenden bescheinigten ihm gleich ein mächtiges Organ (wenn ich gewusst hätte, was das bedeutet, wäre mir Angst und Bange geworden). Die Reihenfolge der nächsten Schritte kann ich nicht mehr genau rekapitulieren, ich war total verwirrt und mir ging es nicht gut. Er wurde natürlich irgendwann gemessen und gewogen, den APGAR-Tests unterzogen, der Rachen wurde abgesaugt und die Augenprophylaxe durchgeführt. Beim Punkt "Atmung" ist im Geburtsbericht "Knorksen" angekreuzt (bei der Kleinen im Vergleich "normal"). Deswegen wahrscheinlich auch seine komischen nächtlichen Atemgeräusche in den ersten Wochen nach der Geburt, was bei der Kleinen ganz anders war.
Die ersten Stillversuche erfolgten, er fand die Brust und dockte gut an. Ich wurde zu dem Zeitpunkt noch überwacht, weil mein Blutdruck im Keller war. Irgendwann stürzte dann der Kreislauf komplett ab und ich musste an den Tropf, wie auch in den folgenden Tagen immer wieder. Der immense Blutverlust von 500 mg, der daraus resultierende niedrige Eisenwert (5,8 mmol/l) und das Nicht-Gegessen-Haben forderten ihren Tribut. So blieben wir notgedrungen noch ca. 4 Stunden nach der Geburt im Kreißsaal. Zum Glück lag unser Baby nach dem Baden, was mein Mann mit der Schwester zusammen probiert hatte, in seinem Bettchen. Alles war so unwirklich. Mir ging es nicht gut und ich wollte einfach nur meine Ruhe. Als man mir dann noch sagte, dass leider kein Familienzimmer frei sei, wie von uns bestellt, sondern ich in ein Zwei-Bett-Zimmer müsste, war ich fix und fertig. Ich wollte nicht mit einer fremden Person in einem Raum schlafen, und auch nicht alleine (ohne den Papa) mit dem Baby sein!
Es war ca. 20 Uhr, als ich auf einem Krankenhausbett liegend auf die Wochenstation geschoben wurde. Mein Mann schob unser Baby und trug unsere Sachen. Ich hatte mich wegen meiner Schwäche nicht mal im Sitzen etwas frisch machen, geschweige denn aufstehen können. Ich fühlte mich nicht nur körperlich, sondern vor allem mental unglaublich schlecht. Da es schon so spät war, blieb mein Mann nur noch eine halbe Stunde und fuhr dann allein nach Hause, statt wie geplant mit uns ein Familienzimmer zu beziehen. Und ich blieb allein mit dem mir fremden Baby, einer fremden Frau und ihrem Baby im Krankenhauszimmer zurück. Was für eine schreckliche, unwirkliche Situation. Ich wollte das alles nicht, nichts davon.
Die Nacht war unruhig, der Große jammerte und knorkste die ganze Zeit leise herum, ich konnte nicht aufstehen und verrenkte mich in dem Versuch, ihn mit meiner Hand in seinem Bettchen zu streicheln. Irgendwann hievte ich ihn zu mir herüber und er lag zwischen der Wand und mir. Ich wollte stillen, schaffte es aber schlecht im Liegen, klingelte nach der Schwester, doch dann war ich wieder allein. Das andere Baby schlief ruhig in seinem Bettchen, wurde alle paar Stunden herausgenommen, gestillt und zurückgelegt. Da ich ja schon in der Nacht, als die Wehen begannen, nicht geschlafen hatte, ging ich mit zwei schlaflosen Nächten in die Neugeborenenzeit hinein. Ich war froh, als der Morgen graute. Ab der nächsten Nacht sollten wir wenigstens unser Familienzimmer beziehen können. Dass auch dann nichts besser wurde, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt in einem Text über das Wochenbett mit dem Großen beschreiben.
Meine Erinnerungen an diese Geburt sind eigentlich durchweg negativ. Es war so, wie man es sich nie gewünscht hätte, und dies trotz der Schmerzlinderung durch die PDA. Das Schlimmste war das Ausgeliefertsein in dem Wehensturm. Das wünsche ich niemandem. Den Unterschied zu "normalen" Wehen mit Pausen, die man bis zum Schluss aktiv mitgestalten konnte, habe ich bei der Geburt der Kleinen deutlich gemerkt. Das Krankenhauspersonal war mir ziemlich egal, weder die Hebammen noch die Ärzte haben mich sonderlich beeinflusst. Ob die Saugglocke nötig gewesen wäre, darüber kann ich nur spekulieren. Der Große hatte davon Kopfhämatome, von unsichtbaren Schmerzen weiß natürlich keiner. Ich dachte, nach der Geburt könnte ich mich erstmal erholen und langsam im neuen Leben ankommen. Was dann folgte, hatte ich mir allerdings in meinen schlimmsten Träumen nicht ausgemalt. Darüber ein andermal mehr. Ebenso über den Kontrast zur Geburt der Kleinen, an die ich durchweg positive Erinnerungen habe, was größtenteils an den völlig anderen Wehen lag.
Hier die trockenen Fakten:
Gewicht: 3620g
Größe: 55cm
Kopfumfang: 38cm
Dauer der Eröffnungsperiode: 11 h
Austreibungsperiode: 1h 40min
Nachgeburtsperiode: 3min
Gesamtgeburtsdauer: 12h 43min
Blutverlust: 500ml
Hb (Eisenwert): 5,8mmol/l
Geburtsbericht des Großen (6. März 2011) 

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