Ich bin im Schwarzwald aufgewachsen, in einem Dorf mit 800 Einwohnern. Das geborene Dorfkind war ich aber nie – es gibt viele Gründe, warum ich mit 18 in die Stadt zog und die Landidylle gegen Straßenlärm tauschte. Eines allerdings vermisse ich bis heute: den direkten Zugang zum Wald. Wälder üben eine extreme Anziehungskraft auf mich aus. Das wurde mir – glaube ich – als Kind schon eingepflanzt. Unzählige Male pirschte ich mit meinem Vater durch Schwarzwaldwälder, immer mit dem selben Ziel: Das Spankörbchen mit Pilzen zu füllen und der Mama das blanke Entsetzen in die Augen zu treiben. Die Männer sammeln die Pilze, die Mama putzt sie. Das war ungeschriebenes Gesetz. Sie wusste, dass es daran nichts zu rütteln gab. Und wir waren Profis darin, unsere Körbe zu füllen. Wir hatten unzählige Pilz-Erntestellen auf unserer mentalen Waldkarte markiert, an denen Erfolge fast schon garantiert waren.
Parasole und Safranschirmlinge soweit das Auge reicht
Heute muss ich meine Pilze selbst putzen. Leider komme ich nur sehr selten dazu, weil ich 25 Minuten mit dem Auto fahren muss, bis ich einen Wald erreiche, der mir zumindest eine kleine Ausbeute verspricht. Die Trefferdichte ist dramatisch gesunken, seit ich in fremden Wäldern umherstreife und auf Verdacht mein Pilzglück suche. Kein Pilzsammler würde seine Fundstellen verraten. „Komm, wir sind doch Freunde.“ – „Ja, aber da hört der Spaß auf!“
Drei Mal war ich diesem Jahr auf Pilzsuche. Zwei Mal mit miserabler Ausbeute, die nicht einmal mich alleine satt machen konnte. Jedesmal dauerte es einige Wochen, bis ich den Frust darüber verdaut hatte, dass die Zeiten einer sicheren Pilzernte endgültig vorbei sind. Natürlich hat ein Waldspaziergang auch mit leerem Korb seinen Reiz, doch ohne Pilze nach Hause zu kommen erfüllt mich, um ehrlich zu sein, nur mäßig. Umso heftiger fiel der Glücksmoment aus, den ich am vergangenen Wochenende erlebte. Es war ein Piilzfund, wie ich ihn selbst im Schwarzwald noch nie erlebt habe. Etwa 50 Schirmpilze auf einem Fleck, in einem Hexenring angeordnet. Junge Parasole und Safranschirmlinge im idealen Zustand. Jung, unvermadet, sauber. Ein surreales Erlebnis, hatte ich mich doch schon damit abgefunden, dass sich auch ein paar schöne Fliegenpilz-Fotos als Erfolg verbuchen lassen.
Der Parasol – auch als gemeiner Riesenschirmling bekannt – ist ein großer Schirmpilz mit dünnem Stiel und großem, schuppigem Hut. Schon seit Kindheitstagen zählt er zu meinen absoluten Lieblingspilzen. Oft fanden wir ihn am Waldrand, fast immer in kleinen Gruppen, sodass der Fund eines Parasols fast immer gleichbedeutend mit einem gesichterten Abendessen für mehrere Personen war. Eine derartige Masse an Schirmlingen, wie am vergangenen Wochenende, habe ich allerdings noch nie gesehen. Dazu muss ich sagen, dass es sich dabei nur in fünf Fällen um Parasole handelte. Die restlichen ca. 45 Pilze waren Safranschirmlinge. Wie der Parasol auch, gehört der Safranschirmling zu den Champignonverwandten und kennzeichnet sich durch rötliche Verfärbungen an Bruchstellen. Außerdem erreichen die Pilze nicht die Größe eines Parasols. Ihr Geschmack – das kann ich nach zwei reichhatigen Mittagessen und Abendessen mit Freunden sagen – liegt sehr nah an dem des Parasols. Sprich: Safranschirmlinge sind herausragende Speisepilze. Mit etwas Butter angebräunt und gut durchgebraten schmecken Sie intensiv nussig, mit ganz sanften Bittertönen und einer herrlich fleischigen Konsistenz. Sie eignen sich aus meiner Sicht nicht gut für Sahnesaucen, sondern entfalten ihre volle Aromenpracht auf einem angerösteten Baguette, ganz puristisch genossen. Für mich gibt es kaum ein exklusiveres Gefühl, als frisch gesammelte Pilze frisch zu verspeisen. Produkte der Natur, an die kein Mensch je Hand angelegt hat.
Hinweis: Es existiert ein extrem seltener und leicht giftiger Doppelgänger des Safran-Schirmlings, der allerdings eher auf Kompost und in Gärten wächst. Bei Unsicherheit immer bei einer Pilz-Beratungsstelle um Rat fragen.
Zubereitung eines Parasol-Baguettes
Die zähen Stiele der Pilze herausdrehen und die Hüte vorsichtig säubern. In einer Pfanne üppig Butter zerlassen und die Pilze bei hoher Hitze von beiden Seiten etwa 3 Minuten anbraten, bis sie goldbraune Stellen erhalten haben. In der letzten Minute noch eine angedrückte Knoblauchzehe mit dazu geben und kurz durchschwenken. Parallel dünne Baguette-Scheiben anrösten und mit den Pilzen belegen. Mit gutem Pfeffer und Fleur de Sel bestreuen und noch warm servieren.