Im Zukunftsmagazin über:morgen von 3sat sah ich gestern eine deprimierende Reportage über die aktuelle Arbeitswelt. “Sie sind gebildet, optimistisch, voller Energie. Dennoch – fast jeder vierte junge Europäer ist arbeitslos. Ein Acht-Millionen-Heer hochqualifizierter, junger Bürger ohne Arbeit ist entstanden”, heißt es in der Ankündigung der Sendung.
Gezeigt wurden unter anderem spanische Krankenschwestern, die sich von einer Agentur in die Niederlande vermitteln lassen – natürlich sind die Bedingungen so, dass sich kein Niederländer findet, der zu diesen Konditionen arbeiten würde, aber für die Spanierinnen ist es die einzige Möglichkeit, überhaupt in ihrem Job zu arbeiten. Sie lernen fleißig niederländisch und finden sich damit ab, den Rest ihres Lebens fern der Heimat zu verbringen – während ihre spanischen Angehörigen es oft gar nicht wahr haben wollen, dass ihre Kinder, Enkel, Nichten und Neffen bald nicht mehr bei ihnen sind.
Beiläufig wird in dem Beitrag auch erwähnt, wie wunderbar elastisch die Marktwirtschaft auf die neue Situation reagiert: Die Mieten in Eindhoven sind ganz schön hoch, finden die frischgebackenden spanischen Neuzugänge für das niederländische Gesundheitswesen. Dabei sind die Mieten in Spanien ja keineswegs niedrig. Der Vermittler erklärt, dass die Mieten in Eindhoven früher viel niedriger waren – aber seit so viele Ausländer nach hier kommen – da ziehen die Preise natürlich an. Ach so. Na klar. Aber die 2000 Euro für das Apartment, die können sich die fünf künftigen Bewohnerinnen ja teilen, dann macht das nur noch 400 Euro pro Nase.
Ja, das ist schon wunderbar, wird anschließend auch ausführlich noch einmal erklärt: Es ist nämlich gar nicht so, dass die Ausländer den Einheimischen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Im Gegenteil schaffen sie ja welche und tragen positiv zur Wirtschaft und zum Wachstum bei. Vor allem für Unternehmer ist das in jeder Beziehung super: Sie bekommen genau die qualifizierten Arbeitskräfte, die sie gerade brauchen und können mit der Tatsache, dass diese Menschen auch irgendwo auch wohnen und leben müssen, nochmals ein Geschäft machen!
Unternehmender Ferdinand Görs: “Heutzutage ist alles zeitlich begrenzt. Befristete Arbeit, befristete Verträge, aber flexible Dienstzeiten.” Genau darauf hat er kreativ reagiert und bietet ein Pop-Up-Container-Hotel an: Die Container können modular zu größeren Wohneinheiten zusammengestellt und bei Bedarf um die ganze Welt verschifft werden – sie sind genauso flexibel, wie die Arbeitskräfte, die für gutes Geld darin wohnen müssen. Wenn ihr Job getan ist, werden die Unterkünfte ebenfalls abgebaut und dort wieder aufgestellt, wo die nächsten Arbeitskräfte darin wohnen sollen. Und flexibel sind sie, die Arbeitskräfte. Es werden Arbeiter befragt, wo sie in den vergangenen Jahren schon gearbeitet hätten. “In den vergangenen zehn Jahren habe ich in elf verschiedenen Ländern gearbeitet”, sagt einer der Arbeiter. Die anderen nicken und ordnen ihre Lebensläufe nach geografischen Mustern. Einige der hochqualifizierten Experten sind so begeistert von ihren internationalen Arbeitgebern, weil sie ihre Arbeit schätzen und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten geben, die sie zuhause so nicht bekommen würden, dass sie betonen, wie sehr sie ranklotzen und gute Arbeit leisten wollen – es tut mir beim Zuschauen richtig weh. Das ist Ausbeutung 3.0.
Die Macher der Reportage loben die Menschen für ihr Engagement und ihre Willen, aus der hässlichen Situation (deren Ursachen gar nicht hinterfragt werden und die einfach naturgegeben hingenommen wird, Eurokrise halt) das Beste machen zu wollen und sehen in der zunehmenden Mobilität innerhalb der EU eine Lösung für die wirtschaftliche Ungleichheit Europas. Der britische Ökonom Philippe Legrain, einer der Berater von EU-Kommissions-Präsident José Barroso, ist der Ansicht, dass sich die Weltwirtschaftsleistung verdoppeln würde, wenn eine Arbeitsmigration über alle Grenzen hinweg möglich wäre. Toll. Aber wie kann man das wirklich wollen?! Sämtliche Arbeitskräfte der Welt reisen beziehungslos hinter ihrem nächsten Job hinterher, nur um ein ohnehin fatales Wachstum zu produzieren, das auch jetzt schon Mensch und Umwelt nachhaltig gefährdet?! Wieviel Abgase sollen denn noch in die Welt geblasen werden? Wieviel Müll denn noch Erde und Ozeane vergiften?
Und wie sollen die mobilen Arbeitskräfte von heute und morgen sich überhaupt reproduzieren? Unter diesen Umständen ist ein Familienleben unmöglich. In osteuropäischen und ostasiatischen Dörfern wächst bereits eine Generation heran, die ohne Eltern aufwachsen muss, weil der Papa auf irgendwelchen internationalen Baustellen auf Montage ist und die Mama irgendwo anders bei Besserverdienern putzt oder Alte und Kranke pflegt – schwarz versteht sich, ohne gültige Papiere, ohne Versicherung. Das sind die tollen Chancen internationaler Arbeitsmigration. Die nächste Generation ist vermutlich so vernünftig, sich gar nicht erst fortzupflanzen.
Hierzulande wird ja schon laut darüber gejammert, dass gerade die gut ausgebildeten Akademikerinnen keine oder zu wenig Kinder bekommen. Aber das ist nun einmal der Preis für Flexibilität und Mobilität im Berufsleben. Wenn Frau erst einen tollen Uniabschluss hinlegt, dann ein paar Jahre im Ausland forscht, Karriere macht und später als gefragte Expertin ständig international unterwegs ist – wie und wann soll sie denn Kinder bekommen und aufziehen?! Wenn das höchste Glück grenzenlose Flexibilität und Mobilität im Job ist, dann ist es total verlogen, Familie und Kinder als allerhöchstes Glück für die Frau, ach was, für die Nation, zu propagieren – insbesondere, da die Politik in den vergangenen Jahren das einstige Versorgungsmodell für Frauen, die zuhause bleiben, um sich um Mann und Kinder zu kümmern, munter demontiert hat: Frauen sollen gefälligst selbst für ihren Unterhalt sorgen, wenn der Mann sich eine andere gesucht hat und sich entsprechend auch selbst eine Rente erarbeiten. Und statt einen teuren Krippenplatz zu besetzen sollen sie dann aber lieber mit 100 Euro Betreuungsgeld zu Hause bleiben und ihren Nachwuchs selbst erziehen. Das ist die wunderbare Schizophrenie des bürgerlichen Familienmodells in der modernen Marktwirtschaft.
Nun wäre ich ja die allerletzte, die bürgerliche Alleinverdiener-Familien-Modell preisen wollte! Aber wenn man will, dass Frauen sich selbst versorgen und Vollzeit arbeiten gehen (müssen, weil sonst ja die Rente nicht reicht), dann kann niemand von den Frauen verlangen, in einer solchen Welt, in der jeder und jede für sich selbst sorgen muss, auch noch Kinder zu bekommen! Aber das ist ein anderes Thema, das ein andermal diskutiert wird.