Militarisierte Gesellschaft: Die Auswirkungen des Gaza-Kriegs auf die innenpolitische Situation in Israel. Ein Gespräch mit Moshe Zuckermann
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Nichtsdestoweniger werden die Raketenangriffe als ursächlich für das israelische Vorrücken dargestellt …
Die Raketenangriffe der Hamas haben so gut wir gar nichts ausgerichtet, vor allem, weil es dieses sehr effiziente Abwehrsystem »Eiserne Kuppel« gibt. So gesehen, ist diese Bedrohung weitgehend neutralisiert, jedenfalls auf ein Minimum reduziert worden. Gemessen an dem, was die Bevölkerung von Gaza tagtäglich erlebt, ist das doch ein Kinderspiel. Es handelt sich um eine hochtechnologisierte Armee mit sehr gut ausgebildeten Soldaten, die einer Guerilla gegenübersteht. Und zwar in einem Landstreifen, der mehr oder weniger zu den ärmsten der Welt gehört. Natürlich ist die Hamas eine fundamentalistische Organisation, die keinesfalls von uns Linken als Verbündete angesehen werden darf …
Unmittelbarer Auslöser für die jüngsten Angriffe Israels war die Ermordung dreier Thoraschüler im Westjordanland, eine Tat, die eilends der Hamas in die Schuhe geschoben wurde – obgleich die sich nie dazu bekannt hat, wie es sonst meist der Fall war. Die israelische Regierung eskalierte daraufhin die Gewalt, zu einem Zeitpunkt, als Fatah und Hamas im Begriff waren, sich wieder zu verständigen, sogar planten, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Ein Zufall, daß der Krieg gerade jetzt kommt?
Man wußte erstens wenige Stunden nach der Tat, daß die drei Entführten nicht mehr am Leben waren. Das allerdings wurde der Bevölkerung nicht mitgeteilt, weil man so einen Vorwand hatte, drei Wochen lang diese Razzien durchführen zu können – mit dem Ziel, die Hamas im Westjordanland auszuhebeln, zweitens einen Keil zwischen Hamas und Fatah, zu treiben, nachdem es zu dieser Koalition gekommen war. Die Hamas geriet so natürlich in Profilierungszwang und fing dann an, die Raketen in den Süden des Landes abzufeuern, um zu zeigen, daß sie noch schlagkräftig ist. So entstand diese Dynamik, die wir jetzt erleben.
Israel wollte schon seit längerer Zeit mit der Hamas abrechnen. So wurde diese Entführung instrumentalisiert. Es war eine brutale, eine barbarische Tat, zweifellos.
Die Täterschaft bei der Entführung und Ermordung steht bis heute nicht zweifelsfrei fest.
Heute gilt es für mehrere kompetente Menschen in Israel, die das beurteilen können, für sicher, daß die Tat einen lokalen Hintergrund hatte und nichts mit der offiziellen Hamas zu tun hat. Das besagt nicht, daß die Hamas nicht froh wäre, andere Sachen dieser Art zu machen, aber in diesem Fall hat man das zum Anlaß genommen, um etwas in Gang zu setzen, was ohnehin geplant war.“
Prof. Dr. Moshe Zuckermann lehrt Geschichte und Philosophie an der ¬Universität Tel Aviv.
Quelle und gesamter Text: http://www.jungewelt.de/2014/08-02/050.php