Gastfreundschaft?

Meine liebe Gastgeberin

Ich gestehe es ganz offen: Ich habe im Bett getrunken. Cola Zero, um genau zu sein. Aus der 5 Deziliter Flasche, die ich neben mir auf der Matratze stehen hatte. “Wie kommen Sie auf die Idee, im Bett zu trinken?”, fragen Sie mich. Nun, es fällt mir nicht leicht, dies zu erklären, denn mit meiner Erklärung setze ich meinen Ruf, nie, aber auch wirklich gar nie zu frieren, aufs Spiel. Aber eine Erklärung muss ich Ihnen abgeben, denn sonst verzeihen Sie mir nie, dass das Zimmermädchen heute das Bett noch einmal hat machen müssen. Sie haben mir heute nach dem Frühstück ja klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass so etwas nicht noch einmal vorkommen darf. Also, es war so:

Wie Sie sich vielleicht erinnern, stand gestern, als Sie mich in mein Zimmer führten, die Balkontüre sperrangelweit offen und es war saukalt im Zimmer. “Kein Problem”, sagten Sie, “ich drehe die Heizung voll auf, dann wird es schnell wieder warm.” “Machen Sie sich nichts draus”, sagte ich, als ich sah, wie peinlich Ihnen dieser Sache war, “Ich friere nie.” Darauf drehten Sie die Heizung auf und ich machte mich in der Stadt auf Nahrungssuche. Als ich zurückkam, war es noch immer saukalt im Zimmer, obschon die Heizung zufrieden surrende Geräusche von sich gab. Ich ging also noch einmal in die Stadt, was nicht weiter schlimm war, denn ich hatte ohnehin vergessen, Zahnpaste zu kaufen. Leider herrschten danach noch immer arktische Temperaturen im Zimmer, aber ich wollte jetzt schreiben, stricken und später vielleicht einen englischen Kostümschinken schauen, also blieb ich, zog mir ein Paar warme Bettsocken, Pulswärmer und meine Jacke über, kochte mir einen Kaffee und machte mich an die Arbeit. Leider musste ich bald einmal feststellen, dass all dies nicht ausreichte und dass ich unter gewissen Bedingungen durchaus in der Lage bin, zu frieren.

Ich hatte also gar keine andere Wahl, als mich in voller Montur unter die warme Bettdecke zu verkriechen, was ich anfangs brav am Tisch tat. Aber sehen Sie, liebe Gastgeberin, tippen mit Daunenduvet über den Schultern ist nicht ganz einfach und auch nicht ganz ungefährlich, wenn man neben den Computer als zusätzliche Wärmequelle eine brennende Duftkerze steh… oh Mist, davon wollte ich Ihnen ja gar nichts erzählen. Sonst schimpfen Sie mich morgen beim Frühstück wieder aus. Vergessen Sie also bitte die Duftkerze ganz schnell wieder… Also, wie gesagt, tippen mit Daunenduvet über den Schultern ging schlecht, also zog  ich mich mit allem, was ich anhatte, in mein Bett zurück und dort wurde mir endlich so angenehm warm, dass ich wieder daran denken konnte, meinem Körper Flüssigkeit, die nicht siedend heiss ist, zuzuführen. Und da ist es eben passiert mir dem Cola-Fleck auf dem Leintuch.

Ich flehe Sie auf den Knien an, mir diesen Fehltritt zu verzeihen und wo wir schon bei den Fehltritten sind, verspreche ich Ihnen hoch und heilig, morgen beim Frühstück kein einziges Tröpfchen Milch zu verschütten. Ich weiss, anständige Menschen verschütten keine Milch, aber wissen Sie, mit halbgefrorenen Gliedern bin ich noch ein kleines bisschen ungeschickter als gewöhnlich.

Ach so, und falls Sie wissen möchten, warum ich wegen der Heizung nichts gesagt habe: Spätestens, als ich merkte, dass es im Bad, in der Küche und im Frühstücksraum noch kälter ist als in meinem Zimmer, war mir klar, dass Sie der Sache ohnehin machtlos gegenüberstehen. 

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