„Was ist das für ein Verein?“ fragte mich ein Junge, während er auf mein 96-Trikot zeigte. „Hannover 96, ein Spitzenteam aus Deutschland“, antwortete ich „Ah, Bundesliga, Vidal, Barrios...“ Genau, leider ohne Aturo Vidal und Lucas Barrios, dachte ich. „War der Klub schon Meister?“ Einmal? Zweimal! Das imponierte ihm nicht. Seine Helden von Colo-Colo sammelten im Abonnement die Pokale, erklärte er mir. Ich blieb unbeeindruckt, an solche Kommentare habe ich mich längst gewohnt. Sollte der Junge doch ruhig den Glanz seiner Lieblingself genießen. Er durfte es, das wahre Leben hatte ihm zuletzt arg zugesetzt. Ein Tsunami hatte seiner Familie in Dichato das Wohnhaus weggerissen. Das Trikot von Lucas Barrios war eines der wenigen Kleidungsstücke, die er noch besaß. Er trug es seit vielen Tagen und am vergangenen Samstag konnte er damit ein bisschen angeben.
Der Barrios-Fan war eines von vielen Kindern, die den Samstag trotz der erneuten 96-Pleite selbst für mich zu einem schönen Tag machten. Die Sonne schien, die Menschen lachten. Mit meinen Kollegen hatten wir für diejenigen, die beim Erdbeben alles verloren hatten, ein Familienfest organisiert. Die Aktion kam gut an. Für einen Moment konnten alle die gegenwärtige Situation vergessen und einfach Spaß haben.
Ich sollte per SMS leider erfahren, wie 96 zeitgleich wieder ein Beispiel bot, dass diejenigen, die gar nichts haben, am meisten geben. Eine fatale Großzügigkeit, die möglicherweise in der Zweiten Liga endet, doch das haben die Roten nicht begriffen, weshalb sie auch am 28. Spieltag weiter abstürzten. Hannover hat zwar durch die endlosen Niederlagen das Graue Maus-Image abgelegt und ist nun ein glühender Abstiegskandidat. "Da bevorzuge ich das Unscheinbare", dachte ich.
Ein Woche zuvor gab es sogar eine Renaissance des gewohnt grauen 96-Alltags, weil eine Niederlage beim VfB Stuttgart zu den normalsten Ereignissen der Roten gehört. Früher wurden jene erfolglosen Auftritte gar nicht beachtet. Die Slomka-Riege hatte allerdings in den Wochen zuvor ihr solides Fundament zerstört, so dass die Klatsche im Schwabenland die Existenzängste verstärkte. Seit dem 1:4 gegen Köln bleibt eine Therapiemöglichkeit: Punkte, möglichst viele.
Der Junge mit dem Colo-Colo-Trikot bemerkte, dass ich von einem Moment auf den anderen nicht mehr lachte, sondern betrübt dreinschaute. "Was ist los?", wollte er wissen. "Mein Verein hat verloren", antworte ich. Er war selbst Fußballfan genug, um den Stimmungswechsel zu verstehen und meinte nur: "Das passiert, dein Klub wird wieder gewinnen."