Ganz unten

Zu Tausenden waten sie durch die Meiler dieses Landes. Leiharbeitnehmer werden natürlich auch in der Atombranche eingesetzt - man muß als Unternehmen schließlich wettbewerbsfähig bleiben. Und damit man es doppelt bleibt, damit man für seine Stammbelegschaft nicht schon vor dem Rentenalter Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder sogar eine aufwändige Krebsbehandlung abstottern muß, schickt man Externe ins Interne, Fremdpersonal in sensiblere Bereiche der Anlage. Dem Outsourcing von Personalkosten folgte das Outsourcing der Folgen. Wenn man schon das Risiko nicht beseitigen kann, so doch wenigstens die Folgeerscheinungen - pragmatisch sei der Unternehmer, geldreich und krud'...

Solche Lohnsklaven sind ganz unten angelangt. "Ganz unten", so lautete 1985 auch der Titel eines Buches, dessen Autor Günter Wallraff investigativ wie eh und je, in die Rolle es Türken schlüpfte, um in die Niederungen einer fremdländischen Existenz in Deutschland zu gelangen. Dabei wollte er auch erfahren, wie ein Türke auf dem Arbeitsmarkt behandelt wird. Am Ende wollte sein Arbeitgeber, ein Subunternehmer, den man heute Leiharbeitsunternehmer nennen würde, sein ausländisches Personal in einen stillgelegten Meiler schicken, damit dieser gereinigt würde. Der Auftrag hierzu war fingiert; Wallraff wollte wissen, wie weit Subunternehmer gehen würden, wenn man ihnen eine gute Offerte unterbreitet. Sein Arbeitgeber scherte sich um seine Fürsorgepflicht wenig. Die Schauspieler, die die Delegation des AKWs mimten, klärten den Skrupellosen auf, dass die Mitarbeiter danach wahrscheinlich todkrank würden. Das machte ihm ein so schlechtes Gewissen, dass er seine fleißigen Türken nach Erfüllung des Auftrages mit einer kleinen Abfindung zurück nach Anatolien schicken wollte. Dort sollten sie dann ihren kurzen Lebensabend ausklingen lassen und in aller Heimlichkeit verrecken.

Was damals die Leser empörte, juckt heute die Öffentlichkeit kaum mehr. Natürlich, die heutigen Leiharbeiter werden nicht ins Herz der Kernkraft geschickt, um dort zu scheuern. Aber die Tendenz stimmt! Es gibt Leiharbeitsunternehmer und -disponenten, die ihr Personal auch in einen rotierenden Fleischwolf schicken würden, wenn die Zahlungsmoral etwaiger Kunden und Personalabnehmer stimmte. Im Gegenteil, die dramatische Inszenierung Wallraffs, die die Gier der Leiharbeitsbranche unterstrich, sie dient eher dazu, die heutigen Sklaventreiber als moralisch integer zu malen. Die wären gar bitterlich entrüstet, wenn man sie mit Wallraffs Unternehmerexemplar in einen Sack packen würde. Nie würden sie mit ihrem Personal fahrlässig umgehen - ihr Personal sei schließlich ihr Kapital.

Seit damals, seit den Achtzigerjahren hat sich aber auch einiges geändert. Damals gab es zwar Arbeitsstellen auch nicht wie Sand am Meer, aber man hatte als Mensch und Humanressource auf dem Arbeitsmarkt noch etwas mehr Auswahl. Den Spruch, dass man nicht jeden Scheißjob mache, konnte man sich noch erlauben, ohne dass eine aufgebrachte Öffentlichkeit nach Sanktionen und Arbeitslager schrie. Nur die Leute ganz unten, Türken beispielsweise, durften sich solche Sprüche nicht erlauben, wie Wallraff bewies. Die sollten froh sein, dass sie arbeiten dürften. Die Zeiten haben sich gewandelt. "Ganz unten" habe die deutsche Gesellschaft aufgerüttelt, liest man zuweilen, nach dem Buch, so heißt es dann auch, habe sich viel verbessert. Eine Weile mag das zutreffend gewesen sein. Ausländischen Arbeitskräften kam etwas mehr Respekt zu, sie wurden als Teil der Belegschaft wahrgenommen. Heute sind wir aber nicht dort angekommen, dass alle gleichberechtigt den Spruch, man wolle nicht jede Scheißarbeit machen, aufsagen dürfen - die Gleichberechtigung besteht vielmehr darin, dass ihn alle nicht anbringen dürfen, ohne dafür mit brodelndem Hass überbrüht zu werden.

Dass bei den einen der Reichtum, bei den anderen die Tumore wachsen, so schreibt Stephan Erdmann, das sei Wettbewerb. Die Öffentlichkeit kann sich da nur bedingt entrüsten, wenn nun herauskommt, dass Leiharbeiter das neue Strahlenproletariat (Erdmann) seien, denn immerhin haben auch die ihre Arbeit. Scheißjobs, so weiß es das aktuelle Deutschland, gibt es gar nicht. Wenn Arbeit Geld bringt, dann ist sie nicht Scheiße, dann ist sie ein Bottich voller Edelsteine, auch wenn die zufällig so aussehen wie Brennelemente - pecunia non olet: das ist zum Motto dieser Marktwirtschaft geworden, von der die einen behaupten, sie sei weiterhin eine Soziale, während die anderen sagen, sie sei zu einer gänzlich Freien verkommen. Besser im AKW-Meiler, als im BA-Verteiler! Jede Arbeit ist zumutbar - alles ist besser als Arbeitslosigkeit! Und solche, die Arbeitsplätze vermitteln und zur Verfügung stellen, erhalten einen glitzernden Orden des Vaterlandes. Wirkliche Patrioten schaffen Arbeit. Patriotisch ist, wer Arbeit schafft! Die einen polieren Innenwände von Meilern, die anderen polieren Vaterlandsorden - aber alle tun sie nur ihre Arbeit...


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