Eigentlich wollte ich „nur“ ein Buch besprechen. „Wir Wochenendrebellen“ heißt es und handelt von einem Jungen und seinem Vater auf Stadiontour durch Europa. Normalerweise wäre das jetzt nicht zwangsläufig und unbedingt ein Thema für diesen Blog gewesen. Aber in diesem Buch geht es abgesehen von Fußball „auch um den Alltag, den ich, Papsi, Mami und meine Schwester leben, und darum, was das Asperger-Syndrom für mich und meine Mitmenschen bedeutet“, schreibt Jason von Juterczenka in dem von ihm verfassten Vorwort und macht sodann deutlich, dass nicht er ein Problem hat oder eines ist, sondern mehr die anderen: „Gäbe es ein Medikament, mit dem man das Asperger-Syndrom ‚heilen‘ könnte, müsste ich nicht lange überlegen, um zum Schluss zu kommen, es nicht zu nehmen.“ Warum das so ist, erläutert Jason auch gleich: „Das Behindernde an den Behinderungen ist nicht die Behinderung selbst, denn ein Problem entsteht erst, wenn andere Menschen meine Regeln verletzten, sei es aus Unwissenheit, aus Desinteresse oder aus purer Gemeinheit.“ Allerdings kann Jason nicht unterscheiden, ob jemand gemein zu ihm sein will oder vielleicht einfach vergessen hat, dass er beispielsweise nicht berührt werden möchte. Bis zu diesem Punkt war ich eigentlich sehr wohlwollend gegenüber Jason und seinem Vater eingestellt und wollte deren Erlebnisse ebenso wohlwollend rezensierend begleiten. Doch dann kam mir das Ende des Vorwortes dazwischen, über das ich nach wie vor nicht so richtig hinweg komme: „Papsi hat versprochen, die Welt ein bisschen besser zu machen, dabei ist mein größter Wunsch für unsere Welt ein sehr allgemeiner. Ich möchte, dass Menschen aufhören, sich an alten Gewohnheiten festzuklammern, die nicht mehr in unsere Zeit hineinpassen. Man sollte unser komplettes Wirtschafssystem, das nur auf Wachstum beruht, überdenken. Wir sollten Risiken eingehen, um die sonst unausweichlichen Katastrophen wie den Klimawandel aufzuhalten. Auch unsere Religionen und unsere Sitten passen absolut nicht mehr in unsere Zeit. Wir denken und handeln zu konservativ, zu nationalistisch und mit zu wenig Weltoffenheit. Alles würde sich verändern, wenn wir dies überdenken. Wir würden endlich ernsthafte Schritte zur Erhaltung unsere Umwelt machen, uns stünde das gesamte Sonnensystem zum erforschen frei und es gäbe keine isolierten, voneinander abgeschotteten Länder, die mit den anderen nichts zu tun haben wollen, nur weil sie sich für etwas Besseres halten. Die lächerlichen kleinen Differenzen zwischen den Menschen auf der Erde würden verschwinden. Es ist eine echte Traumwelt. Zwar sind wir davon noch Lichtjahre entfernt, doch es gibt erste gute Ansätze, die für eine offenere und bessere Welt in Zukunft sorgen können, wenn sie nur ernsthaft von allen Menschen verfolgt werden. Das wäre gut.“ Das liest sich auf den ersten Blick ja vielleicht noch ganz nett. Aber bei genauerem Hinsehen ist das ganz schön starker Tobak. Da wischt ein gerade mal zwölfjähriger Bub mit einem Satz „unsere Religionen und unsere Sitten“ vom Tisch, weil sie angeblich „absolut nicht mehr in unsere Zeit hineinpassen.“ Wäre Jason nicht Autist, würde jeder vernünftige Mensch sehr schnell zu dem Urteil kommen: Der hat sie doch nicht mehr alle. So aber steht er quasi unter Dauerwelpenschutz, was die Sache nicht besser macht. Denn zu behaupten, „unsere Religionen und unsere Sitten passen absolut nicht mehr in unsere Zeit“, ist schon ziemlich vermessen – und völlig unabhängig vom Alter des Urhebers, auch wenn der regelmäßiger Besucher eines Forschungszentrums ist, in dem er sein eigenes Projekt hat. Denn wenn man sich die Welt von heute ansieht, kann man ganz sicher auch zu einer völlig anderen Ansicht gelangen, nämlich dass Religionen in diesen Tagen wichtiger denn je sind. “Die Evolutionstheorie beantwortet nicht die Frage nach dem intentionalen Ursprung und nach dem Sinn des Lebens“, hat es der katholische Theologe Markus Vogt vom Lehrstuhl für Christliche Sozialethik der Uni München einmal in einer Diskussion formuliert. „Ohne Gott hängt die Welt im Leeren.“ Ich will das an dieser Stelle nicht weiter vertiefen, zumal wohl klar ist, dass man so eine Frage nicht mal eben mit einem Federstrich abhandeln kann. Was soll ich sagen? Jason selbst mache ich keinen Vorwurf. Mag er noch so intelligent sein, aber als Zwölfjähriger kann er unmöglich überblicken, auf welche Diskussion er sich mit dieser seiner Aussage eingelassen hat. Energischer Widerspruch ist da vorprogrammiert. Hier wären Vater und Lektoren gefordert gewesen, Jason zu schützen. So aber wird der „Krieg im Kopf“, in seinem Kopf, auch bei dieser Frage weitergehen: „Oft habe ich alle möglich Dinge im Kopf“, schreibt er in seinem Glossar, „Da ist wirklich alles dabei. Es ist so viel, dass, wenn man versucht, die Gedanken zu ordnen, man nur scheitern kann. Diese rasenden Gedanken überfordern mich.“ Da wird es ihn wenig trösten, dass er damit ganz sicher nicht alleine ist.
Mirco von Juterczenka, Wir Wochenendrebellen Benevento, Salzburg/München, 2017, 244 Seiten, 20,00 Euro, IBAN: 978-3710900174