„Kazuashita“
(4AD)
Jeder hat ja, das ist das Schöne an der Kunst, seine eigenen Assziationen. Schaut man sich beispielsweise das neue Albumcover des New Yorker Experimatal-Kollektivs Gang Gang Dance an, also die umnebelten Steinmassive auf dem Foto von David Sherry, lenkt das die Gedanken vielleicht zu den verwunschenen Fantasielandschaften auf den Plattenhüllen der britischen Artrocker Yes. Oder zu den fast faszinierenden Traumlandschaften im Adventure-Game Myst. Alles jenseitige, fiktive Orte, da meint man, das müßte passen und liest man dazu die Songtitel von „Kazuashita“, dann glaubt man sich und die Band ohnehin auf einem New-Age-Trip. Aber weit gefehlt. Denn Lizzi Bougatsos, Josh Diamond und Soundfrickler Brian DeGraw bringen in dem artifiziellen Vielklang jede Menge sehr gegenwärtige, sogar politische Bezüge unter. Wenn auch manchmal auf Umwegen. So wird der erste von mehreren aus dem Off eingespielten Monologen im fabelhaften Track „J-Tree“ von einem Freund der drei gelesen, der Aktivist des Standing Rock Movements ist und sich als solcher für die Bewahrung von Indianerreservaten einsetzt. Ein erstes Statement.
Ein weiteres versteckt sich im gut achtminütigen Titelsong. Auch hier wird ein befreundeter Künstler dazugespielt. Oliver Payne zählt für „Kazuashita“ nacheinander die verschiedensten Farbtöne auf, der leicht federnde, später härtere, technoide Soundteppich wirkt fast meditativ und man darf annehmen, dass die Band dies auch als Hommage an die Vielgestaltigkeit und Macht der Natur verstanden wissen will. „I think if we had a religion, nature would definitely be our religion“, gab Bougatsos gegenüber Stereogum kürzlich zu Protokoll, der Ansatz, diese Botschaft in vollkommen künstliche Klänge zu übersetzen, ist in jedem Falle ein spannender. Dass Gang Gang Dance heute an mancher Stelle wie eine (computer-)zeitgemäße Variante einer anderen, berühmten 4AD-Formation, den Cocteau Twins, klingen, paßt dabei ganz gut ins Bild.
Die dritte, diesmal ziemlich direkte Botschaft folgt kurz darauf im Stück „Youn Boy (Marika in Amerika“: Bougatsos hat es, wie sie im gleichen Interview sagt, unter dem Eindruck des Films „I’m Not Your Negro“ von Raoul Peck und der aktuellen Diskussion um Polizeieinsätze in den USA geschrieben – es geht also um rote Linien, die überschritten werden, verlorene Unschuld, grassierende Gewalt, die am Ende meist die Schwächsten trifft. „Young boy in the daylight, you look so pure just playing. Young girl so innocent, beat by big hands for no reason. Is it really a surprise? Even if you do wrong, you still win me over. I know, he should be down here“, da ist nichts, was es mißzuverstehen gäbe. Die musikalische Grundierung dazu hektisch, aber kunstvoll, mit orientalischen Melodien unterlegt. Es ist insgesamt ein äußerst vielschichtiges Album, dicht und anspruchsvoll arrangiert, von Trance bis Techno, von Dubstep bis Popsong ist alles dabei, ganz so, wie man es von den dreien gewohnt ist. Und darüberhinaus ist es erfreulich deutlich im Hier und Jetzt verankert – maximale mögliche Punktzahl also. http://www.ganggangdance.com/