von Siegfried R. Krebs
WEIMAR. (fgw) Mit großer emotionaler Bewegung habe ich zum Jahreswechsel Galsan Tschinags autobiographischen Roman “Die Rückkehr” gelesen. Nach Jahrzehnten der Abwesenheit kehrt er, Angehöriger der kleinen tuwinischen Minderheit in der Mongolei, zu seinem Volk zurück.
Galsan Tschinag hat in den 1960er Jahren an der Leipziger Karl-Marx-Universität Germanistik studiert. Dort begann auch sein Schaffen als Schriftsteller, der alle seine Romane und Erzählungen in deutscher Sprache verfaßt. Nach seiner Rückkehr in die Mongolei war er, der erste Germanist seines Staates, Hochschullehrer an der dortigen Universität.
“In Ungnade gefallen” arbeitete er später unter anderem als Journalist. Mit dem gesellschaftlichen Umbruch wurde Tschinag 1991 freier Schriftsteller. Daneben führte er – mit großem finanziellen Gewinn – eine Zeit lang ein eigenes Reisebüro. Lesereisen führten immer wieder nach Deutschland zurück, auch in andere Länder Europas.
Im Jahre 1995 erfüllte sich Galsan Tschinag dann seinen Lebenstraum. Er versammelte die über ganze Mongolei verstreuten Tuwiner um sich und führte diese mit einer Karawane in ihr ursprüngliches Siedlungsgebiet, den Hohen Altai. Dort sollten sie ihre ursprüngliche Lebensweise als Nomaden wieder aufnehmen. Tschinag, der mütterlichereseits von Schamanen abstammt, begann zu dieser Zeit selbst als Schamane zu wirken und sein Volk wählte ihn darüber hinaus auch zum Stammesoberhaupt. Doch noch lebt er überwiegend in der Hauptstadt und im Ausland.
Erst als Endsechziger entschließt er sich zu Anfang des 21. Jahrhunderts, seinen Lebensabend inmitten seines Stammes im Altai zu verbringen. Auf dem Wege dorthin wird er von seiner Frau und seinem Lieblingsenkel begleitet. Doch seine Vorstellungen vom Stammes-Idyll und die raue Wirklichkeit in dem nunmehr vom Raubtier-Kapitalismus beherrschten Riesenland Mongolei gehen weit auseinander, das muß auf dem Weg in vielen Begegnungen erkennen. Die mentale Lage selbst in den entferntesten Landesteilen ist schwierig, nicht nur die wirtschaftliche. Die Gier nach Geld beherrscht viele Menschen, egal ob Mongolen oder kasachische und tuwinische Minderheit, egal ob Nomaden oder Staatsangestellte oder neureiche Businessmen…
Tschinags zwei Schamanenschülerinnen sind wie sein Stamm uneins über den Weg in die Zukunft. Tradition und Neuzeit scheinen unversöhnliche Gegensätze zu sein. Streit bricht aus. Um diesen zu schlichten, wird eine Karawane zur neuen Weihung eines alten heiligen Steinhügels ausgesandt. Die Lage spitzt sich zu… In die reale Handlung eingebunden sind Erinnerungen, Träume und Reflexionen des Autors. Denn auch innere Einkehr soll Rückkehr und Aufbruch möglich machen.
Was mich beim Lesen persönlich beeindruckt hat, das sind nicht nur Lebenserkenntnisse, die auch die meinen sein könnten: So daß manch eine Niederlage sich später als notwendig erweisen kann und Voraussetzung für einen Sieg ist. Nein, mich beeindruckt ganz besonders die Wortmächtigkeit, die Sprachmächtigkeit des in einer Fremdsprache schreibenden Autors.
Seine Beherrschung der deutschen Sprache, seine Ausdrucksstärke, sein Vermögen, in der Nicht-Mutter-Sprache poetisch sein Volk, dessen Kultur und Spiritualität sowie die urwüchsige Natur des Altai erlebbar zu machen, das verdient höchste Anerkennung. Und… so manchem muttersprachlichen Autor möchte man empfehlen, bei Tschinag das Schriftstellern zu lernen… Ferner beeindruckt mich die Bildhaftigkeit seiner Sprache. Beim Lesen formten sich in meinem Kopf immer wieder aus Worten Bilder. Bilder von Landschaften, Bilder von Stimmungen… Tschinag versteht es wirklichkeit meisterhaft, einem Europäer die Kultur, das spirituelle Leben seines Volkes nahezubringen. Er macht nicht in Touristen-Folklore, sondern stellt Bezüge zu globalen Themen her.
Aber es gibt auch einiges, was mich stört und zum Teil sogar befremdet. Zum einen die doch sehr stark zum Ausdruck kommende Eitelkeit des Autors, der vielleicht auch deshalb in seinem Lande umstritten ist. Zum anderen, daß er wohl doch zu sehr für ein west-deutsches Publikum geschrieben hat. Tschinag bekundet, kein Buddhist zu sein. Doch in seinem Roman macht er einen Kotau nach dem anderen vor der Dalai-Lama-Manie der westlichen Welt.
Und nicht zuletzt: Er schreibt, daß er zur Zeit der Volksrepublik in Ungnade gefallen sei und Berufsverbot bekommen habe. Doch… Ohne Bruch ist er gleich darauf als Redakteur tätig, wird sogar als Korrespondent ins nichtsozialistische Ausland entsandt. Wer in der DDR aufgewachsen ist, erkennt diesen Widerspruch…
Trotz dieser Einwände kann und will ich Galsan Tschinags Roman “Die Rückkehr” wärmstens zur baldigen Lektüre empfehlen.
Galsan Tschinag: Die Rückkehr. Roman meines Lebens. geb. mit Schutzumschlag. 258 S. Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig. 2008. 19,80 Euro. ISBN 978-3-458-17410-3
[Erstveröffentlichung bei Freigeist Weimar]