Galerie Loris: Andy Heller — Ostersbaum

Von Thomas_robbin

Eine Vorortwelt von radikaler Banalität, ohne Charme, ohne Atmosphäre. So wirkt der Stadtraum entlang der Wuppertaler Nordbahntrasse, den die Künstlerin Andy Heller in ihrer aktuellen Ausstellung Ostersbaum zeigt. Sie wählt dabei nicht die Totale, sondern blickt wie durch einen Vorhang auf den Ort und erzeugt eine räumliche Tiefe, wie die alten Meister mit ihrer Repoussoir­-Technik.

Ausstellungsbeschreibung

Repoussoir. Das kennt man aus der alten Kunst. Ein halb zurückgezo­gener Vorhang aus Stoff, aus Ge­zweig, ein angeschnittener Tor­bogen oder Türflügel im unmit­telbaren Vordergrund des Bildes. Repoussoir, das funktioniert als ein gemalter, gezeichneter Rahmen hinter dem Rahmen. Er gibt dem Motiv Tiefe, führt den Be­trachter in das Bild hinein und lenkt den Blick. Große Kunst. Denn er darf sich nicht aufdrängen. Ein Repoussoir soll nicht zwischen Bild und Betrachter treten, sondern muss Teil des Bildes sein, muss eine Bewegung andeuten, Dynamik, selbst wenn es aus Stein oder Holz ist. Jan Vermeer aus Delft, zum Beispiel, war ein Meis­ter des Repoussoir.

In den meisten der neuen Fotografien von Andy Heller allerdings hat sich dieses Element ver­selbstständigt. Wie schon in ihren früheren Arbei­ten erkundet die Fotografin auch hier, in der Serie Ostersbaum, den Raum. Doch diesmal interes­siert sie weniger die Totale (wie in räumen, 2005/2006), als der Reiz des Durchblicks.

Der Vorhang der entlaubten Bäume verhüllt die Stadtlandschaft und bleibt zugleich transpa­rent. Er schafft Lücken und Passagen. Der Be­trachter wird hineingezogen in das Motiv, und im doppelten Ausschnitt, der sich durch das gewählte Format und dann noch einmal durch die raffiniert entfaltete Repoussoir­-Technik ergibt, entwickelt der Ort eine besondere Präsenz.

Es sind menschenleere Orte voll menschlichen Lebens. Überall entdecken wir Spuren und Zei­chen des Alltags – Autos, Preistafeln, Graffiti, Gar­dinen –, doch nirgends eine Menschenseele. Wie in manchen Werken der Neuen Sachlichkeit kippt die überpräzise Objektivität des Blicks um in eine unheimliche Fokussierung. Ist dieser Ort ein Tat­ort? Ist hier etwas passiert? Wird hier gleich etwas passieren?

Wie schon in Hellers Arbeit CA 94103 von 2011 wird der Betrachter zum Beobachter. Sein Blick beginnt zu suchen. Kann es sein, dass er et­was übersehen hat? Kann es sein, dass es eine Wirklichkeit hinter dieser im weißen Becher­-Licht daliegenden Foto­-Wirklichkeit gibt? Was verbirgt uns das Gezweig der Bäume? Und warum muss der Blick gleichsam in Deckung bleiben?

Hellers Landschaften sind von radikaler Banalität. Eine Wuppertaler Vorortwelt, Vorortstraßen ohne »Charme«, ohne »Atmosphäre«, Motive von vollendeter Beiläufigkeit, ohne Pointe. Gebaute Nichtigkeiten füllen das Bild, Mietshäuser aus den fünfziger, sechziger Jahren, als man den Wohnblöcken immerhin noch Satteldächer gönnte, graue Architektur. Dazu eine Tankstelle, ein Werkhof, Garagen. Alles in blassen, winterlichen Farben: ein unbestimmtes Weiß, Braun, Schwarz, ein verblichenes Rosa.

Die Perspektive wechselnd, doch meist in leichter Aufsicht, zeichnen die Bilder der Ostersbaum-Suite die Topografie präzise nach, die Stellung der Baulichkeiten zueinander, oft auf Wandflächen reduziert. Raumprotokolle. Unsichtbare Wege sind zu erahnen, das Leben, das diese Räume füllt oder füllte, lässt sich rekonstruieren. Auf diese Weise halten die Fotos nichts fest, sondern an. Tatsächlich: Etwas ist geschehen. Etwas ist vorbei. Etwas wird vielleicht von neuem beginnen.

Hellers Arbeiten zeigen das Danach im gegenwärtigen Moment. Sie sind aktuelle Historiengemälde, ohne Fabel, ohne Helden. Die Schauplätze bleiben verlassen, aufgegeben, und existieren doch weiter. Wie Geschichte sich in Gegenwart verwandelt und Gegenwart in Geschichte. Wie je der Moment unseres Lebens ist und war, gewusst wird und vergessen.

Wir ziehen den Vorhang ein wenig zur Seite, und schließen ihn wieder. Nein, wir haben nichts erkannt und nichts entschlüsselt. Und ob die Welt und das Leben ein Geheimnis haben oder nicht, wird ein Geheimnis bleiben. (Text: Benedikt Erenz)

Wann und wo

LORIS
Potsdamer Straße 65
10785 Berlin

9. Januar bis 6. Februar 2016

Eröffnung am 8. Januar um 19:00 Uhr
Finissage am 6. Februar um 14:00 Uhr