Galdhøpiggen: auf den höchsten Gipfel Norwegens

Von Berghasen

Ein Berg, der seine Schönheit erst am Gipfel offenbart. Und davor tierisch nervt.

Der Galdhøpiggen ist ein hässlicher Berg. Entschuldigt mir, liebe Norweger, diese dreiste Deklassierung des höchsten Gipfels eures Landes. Einige eurer Landsleute haben mir diesen Eindruck bestätigt. Man besteige ihn einfach, weil er der höchste ist. Aus diesem Grund bin auch ich hier.

Ausgangspunkt Spiterstulen

Der Galdhøpiggen liegt im Nationalpark Jotunheimen und kann von mehreren Ausgangspunkten besteigen werden. Ich habe mich entschieden, die Tour von Spiterstulen zu starten, weil man von dort gleich auch den zweithöchsten Gipfel Norwegens, den Glittertind, in Angriff nehmen kann.

Spiterstulen ist eine Herberge im Herzen des Jotunheimen Nationalparks. Was heißt Herberge. Eher eine Bergresidenz. Sie befindet sich seit über 170 Jahren in Familienbesitz und bietet den Gästen neben Sauna und Lobby auch einen Indoor-Swimming-Pool. Auf all das verzichten mein Freund und ich. Wir nächtigen im Bus am Parkplatz.

Angereist sind wir über eine Mautstraße. Die Gebühr für die Straße und den Stellplatz sind bei der Herberge zu entrichten. Zwar weist ein Schild zu Beginn der Mautstraße darauf hin, dass diese nicht für Busse geeignet ist, am Parkplatz gibt es dann aber separate Parkplätze für Campingbusse. Sogar mit Stromanschluss. Die Fahrt nach Spiterstulen war zwar etwas holprig, mit einem kleinen Bus aber gut zu meistern.

Spitterstulen liegt im Tal Visdalen am Fuße der höchsten Berge Norwegens. Ein Fluss schlängelt sich in vielen Mäandern durch das Tal. Milchig weiß durch die Gletschersedimente. Wunderschön für das Auge. Den Gipfel des Galdhøpiggen erblickt man von hier noch nicht. Dieser versteckt sich hinter mehreren Kuppen. Einsehen kann man den ersten Anstieg. Unspektakulär, aber steil ragt die erste Kuppe am gegenüberliegenden Flussufer auf.

Geröll, Schnee und Geröll

Am Gipfeltag präsentiert sich das Wetter trüb und feucht. Dicke Nebelschwaden hängen über den Gipfeln. Ich bin früh wach und beobachte den Himmel. Gutes Bergwetter sieht anders aus. Die Umgebung befindet sich noch im Schlafmodus. In den Zelten rührt sich niemand. Die Norweger haben die Angewohnheit, relativ spät zu Bergtouren aufzubrechen. Oft erst gegen Mittag. Schließlich wird es tagsüber nie wirklich heiß. Und die Sonne geht im Sommer erst gegen 22 Uhr unter. Wir beschließen dennoch, früh zu starten. Besser wird das Wetter nicht. Wir sollten recht behalten.

Bereits am ersten Anstieg bewältigt man ordentlich Höhenmeter. Der Weg führt durch niedriges Buschwerk, über plattiges Gestein und ist extrem nass. Ich bin froh, meine Bergschuhe angezogen zu haben. Der Blick zurück ins Tal ist trotz des schlechten Wetters atemberaubend schön. Die schneebedekten Gipfel, der Fluss, der sich oft in mehrere Seitenarme verzweigt und das schmale Tal fast zur Gänze für sich beansprucht.

Bald erreichen wir die ersten Schneefelder, die es zu überqueren gilt. Hier ist es im Vergleich zur groben Schotterwiese angenehm zu gehen. Mehrmals flacht der Weg kurz ab, bevor er sich wieder steil durch immer größer werdende Gesteinsbrocken emporschlängelt.

Wir haben die halbe Strecke hinter uns gebracht, als es leicht zu regnen beginnt. Flott die Regenjacken übergestreift und weiter geht es. Den Gipfel sieht man immer noch nicht ein. Der Blick nach oben lässt meine Motivation auf Null sacken. Wie ein schwarzes Monster liegt der Berg vor uns. Sein Gestein ist tiefschwarz. Darauf verteilen sich vereinzelte Schneefelder, deren Weiß direkt in den Nebel übergeht.

Der monotone und einfache Steig langweilt mich zusehends. Gut, dass wir auf dem Gelände schnell an Höhenmetern gewinnen. Allmählich flacht das geröllige Gelände etwas ab, bevor der Steig über den nächsten Aufschwung zur Felskante oberhalb des Gletschers Styggebrean führt. An der Felskante bricht die Flanke steil ab. Der Nebel lichtet sich kurz und wir können den gesamten Gletscher einsehen.

Kurz darauf erreichen wir den Vorgipfel des Galdhøpiggen – den Svellnose. Der eigentliche Gipfel entzieht sich immer noch unserem Blickfeld. Denn dazwischen befindet sich ein weiterer Nebengipfel. An dieser Stelle muss man einige Meter absteigen, um daraufhin über Geröll, Schnee und Eis flach den Gipfel zu erreichen.

Zu unserer Überraschung befindet sich direkt am Gipfel eine Steinhütte, die in ihrer Bauart etwas tibetisch anmaßt. Der Wind frischt immer mehr auf und vertreibt Nebelschwade um Nebelschwade. Bald liegt der Gipfel völlig frei in einer tristen Umgebung aus Schnee, Eis und dunklem Gestein. Schlussendlich hat es der Galdhøpiggen doch gut mit uns gemeint. Und je mehr mich der Anstieg genervt hat, umso schöner finde ich den Gipfel. Dank des schlechten Wetters sind wir völlig alleine. Bei Schönwetter befinden sich oft mehrere hundert Menschen gleichzeitig am Gipfelplateau.

Wir betreten die Hütte, um uns vor dem Abstieg kurz aufzuwärmen. Der Hüttenwirt ist anwesend. Man kann sich Kleinigkeiten zu Essen und Trinken kaufen. Und natürlich mit Kreditkarte bezahlen. Wir sind schließlich in Norwegen. Fun-Fakt: In der Hütte gibt es auch WLAN. Ich überlege lange, mir fällt aber kein Land ein, auf dessen höchsten Gipfel es gratis Internetzugang gibt. Verrückt.

Der einzige Radiosender, der hier zu funktionieren scheint, ist ein norwegisches Klassikprogramm. Während draußen der Wind um das Hüttchen heult, schallt ein Streichkonzert durch die Stube.

In dieser unwirklichen Szenerie schließe ich Frieden mit dem Galdhøpiggen. Irgendwie ist er ein einzigartiger Berg. Auch wenn uns beim Abstieg wieder der Regen ins Gesicht peitscht – wir rutschen fröhlich die Schneefelder hinunter und bequatschen mit den entgegenkommenden Norwegern, wie es auf ihrem höchsten Gipfel war. Am Ende ganz okay. Und das sag ich jetzt nicht nur für euch liebe Norweger.

Tourdaten

  • Höhenmeter: 1.430 hm
  • Kilometer: 11 km
  • Dauer: Aufstieg 3 Stunden, Abstieg 2,5 Stunden
  • Ausgangspunkt: Spiterstulen, Jotunheimen Nationalpark