Galagos-Äffchen und Pfeiffrösche – Willkommen bei den Terranauten

Galagos-Äffchen und Pfeiffrösche  – Willkommen bei den TerranautenEgal ob Wassermusik, Ein Freund der Erde oder Der Samurai von Savannah – immer lese ich T.C. Boyle dann am liebsten, wenn er die Geschichte seiner Figuren mit außergewöhnlichen Naturereignissen verknüpft. Er ist ein Meister im Beschreiben von kreischenden Affen, krabbelnden Insekten und fiesen Schlangen. Von Schlingpflanzen, Schlamm und Sümpfen. Und er ist ein Meister darin, seine Helden in richtig fiese und total verrückte Situationen zu bringen – den Forscher Mungo Park in Afrika genauso wie den militanten Umweltschützer Ty in Kalifornien oder den Japaner Hiro Tanaka in den Sümpfen von Georgia. Oft geht es in seinen Romanen um die magische Verstrickung des Menschen mit der Natur – und wie hilflos wir ihr bei allem technischen Fortschritt doch ausgeliefert sind.

Nach einen Roman wie Die Terranauten, in welchem die Natur wieder absolut dominantes Thema ist, habe ich mich also direkt ein bißchen gesehnt. Es ist, als würde Boyle sagen: Hereinspaziert! Willkommen in meiner Welt. But, attention, please. Nothing in. Nothing out!

Gemeinsam mit den acht Terranauten geht es in ein riesiges Terrarium mitten in der Wüste von Arizona. Es gibt hier einen künstlichen Ozean von etwa acht Metern Tiefe und – um das Überleben der angesiedelten Korallen zu garantieren – leichte und von Motoren betriebene Wellen. Vom Ozean kann man direkt in die nahe liegende Savanne mit ihren Dornbüschen und Akazien schlendern. Man kann im Regenwald mit seinen Galagos-Äffchen entspannen oder in dem kleinen Tepui – einem Nebelwald, welcher im Fünf-Minuten-Turnus von Zerstäubern bewässert wird. Es ist das Jahr 1994 und nach langen Tests und Prüfungen kommt es zur Auswahl der 4 Männer und 4 Frauen, die für zwei Jahre im Terrarium leben werden. Einem hermetisch abgeschlossenen Glasgebäude. Nichts kommt rein. Nichts geht raus. Nur die pure Natur – egal, ob Nahrung oder Kosmetik. Shampoos oder Cremes mit künstlichen Düften sind verboten in „Ecosphere 2“. Wasser ist außerdem knapp, langes oder regelmäßiges Duschen ein absoluter Luxus. Die acht Männer und Frauen leben von selbständig produziertem Essen auf den Reisfeldern, in den Ställen und Gärten. Abends ist einer der Acht immer Koch. Auf dem Speiseplan stehen Gerichte wie Helmbohnenburritos zu gebackenem Kürbis oder Auberginenmus mit frittierten Süßkartoffeln. Und das alles ganz selbstverständlich ohne Ketchup, Senf, Tabasco oder Sojasauce. Ein kühles Bier am Abend? Vergesst es. Arrak oder Bananenwein sind die Alternative. Seltsamerweise ist das Glück aller Beteiligten unfassbar groß. Das Gefühl, an etwas ganz Besonderem teilzuhaben, erfüllt die Terranauten mit Euphorie und Stolz. Die Forschungsergebnisse der zwei Jahre könnten die Situation auf der Erde vielleicht für immer verändern, die Klimakatastrophe verhindern. Mich überfallen bereits am Anfang der Story erste Zweifel. Kann diese Situation nicht psychisch äußerst belastend werden? Oh, ja! Sie kann. Und das macht auch die ungeheure Spannung der Geschichte aus, deren Fortgang aus wechselnden Perspektiven erzählt wird. Aus der Sicht von Ramsay, Dawn und deren Freundin Linda. Die Konstellation dieser drei Figuren ist deshalb sehr spannend, weil Linda draußen ist und als Mitglied von Ecosphere über so ziemlich alles, was in der Glaskuppel vorgeht, informiert ist. Die Psychospielchen zwischen ihr und ihrer „Freundin“ Dawn (sie reden über ein Telefon in der Glaswand) sind krass böse und irre witzig.

Doch ist die gesamte Situation nicht ausschließlich psychisch belastend, sondern hat viele glückliche und oft auch sehr erotische Momente. So kommt es während der Arbeit im Schweinestall oder auf den Reisfeldern manchmal zu überraschend animalisch anmutenden Szenen. Es wird viel geflirtet in Ecosphere! Manchmal direkt, manchmal versteckt. Herzzerreißend beispielsweise die Szene, als Dawn von Düsentrieb angemacht wird. Was mag er sich erhoffen, als er Dawn die heißersehnte kleine gelbe Tüte M&M (Schmuggelware!) schenkt? Sie futtert die kleinen bunten Schokoerdnüsse erbarmungslos auf – ohne irgendetwas zurückzugeben. Schöne, wilde Dawn! In einem Kurzinterview auf Instagram sagt T.C. Boyle sinngemäß : How incredible sexy is this. Four men, four women. Inside for two years. Nothing in. Nothing out. Und so stelle ich mir vor, was für eine diebische Freude Boyle empfunden haben muss, diese für Dawn sicher schamvolle, dennoch sehr sexy Szene zu schreiben:

Den Vormittag verbrachte ich wieder bis zu den Knien im Schlamm auf dem Reisfeld und pflanzte Setzlinge … und als wäre das noch nicht genug, drückten sich zwei Familien – es mussten Mormonen sein: zwei Paare und sage und schreibe dreizehn Kinder, vom Säugling bis zum lüstern glotzenden pickligen Jüngling – nur wenige Meter entfernt an die Scheibe und sahen zu, wie die ungeschickte Terranautin herumwatete, stolperte, der Länge nach hinfiel, sodass ihr Gesicht eine Schlammpackung abbekam und ihr Haar von einer zähen tabakbraunen Flüssigkeit triefte (S. 340).

Wenn ich mir vorstelle, dass einen solchen Roman sich auszudenken, ihn zu schreiben, mit seinen Figuren zu leben und zu denken, wichtige Fakten zum Thema zu recherchieren, ein Prozess von mehreren Jahren bedeuten muss …

Galagos-Äffchen und Pfeiffrösche  – Willkommen bei den Terranauten

© Jacqueline Masuck

… dann würde das heißen, dass im Kopf von T.C. Boyle bereits im Februar 2015 Ansätze von Die Terranauten herumwirbeln. Und dass er an jenem Tag zur Signierstunde in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz (hier mit Joana Zimmer) zwar charmant lächelnd sein gerade erschienenes Buch Hart auf Hart signiert und mit uns über frühere Projekte plaudert, dass er aber während dieser Zeit bereits mit Dawn, Linda und Ramsay kommuniziert –

T.C. Boyle. Die Terranauten. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Verlag Carl Hanser. München 2017. 604 Seiten. 26,- €



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