Fünf Jahre PPQ: Der süße Brei

Es waren die Tage, als die Sozialdemokratie in Berlin auch dem Namen nach noch mitregierte. Als Kurt "Mecki" Beck die Arbeiterbewegeung zu neuen Höhen führte, Andrea Ypsilanti beinahe Ministerpräsidentin wurde, als Guido Westerwelle Außenminister werden und Angela Merkel Kanzler bleiben wollte. Griechenland war ein verlässlicher EU-Partner, deutsche Landesbanken finanzierten zum Wohlgefallen ihres staatlichen Aufsehers Peer Steinbrück mit Milliarden den amerikanischen Eigenheimbau. Es gab keinerlei Inflationsgefahren, kene Rettungspakete, keine Rettungsschirme. Nicht einmal das Wort war erfunden. George Bush war ein Ekel, der Dalai Lama ein fleischgewordenes Friedenssymbol. Benzin kostete 1,29. Der deutsche Nationalmannschaftskapitän hieß Michael Ballack, er kam aus Karl-Marx-Stadt. Der Bundespräsident hieß Horst Köhler, er kam aus dem polnischen Skierbieszów.
Die Welt war überschaubar, der Wahnsinn alltäglich. Jeweils im Februar kam der Jammer über den vielen Schnee oder der über die zunehmende Klimaerwärmung. Im März folgte der ADAC-Tunneltest. Die "Blume des Jahres" wurde gekürt und der Grammy verliehen. Der Dow Jones stand bei 12.500 Punkten, der Dax bei 6575. Christian Wulff wollte Bundeskanzler werden. Sigmar Gabriel das Etikett des Pop-Beauftragten der SPD loswerden. Nokia baute Handys in Bochum, wo früher Schimanski auf Streife war. Medien maulten über die Regierung. Über die immer weiter aufklaffende "Schere zwischen arm und reich", danach kam immer der ADAC-Raststättentest, anschließend sickerte voab durch, dass die Zahl der rechtsextremen Straftaten neue Rekordhöhen erreicht hatte. Und danach wählten 17 bedeutende Umweltverbände den "Käfer des Jahres".
Fünf Jahre PPQ: Der süße BreiEs war höchste Zeit, "den alltäglichen Wahnsinn gebührend zu feiern", wie es am 16. März vor fünf Jahren im ersten Post hier bei PPQ hieß. Seitdem folgten 6423 weitere Notizen zum Zeitgeschehen, die bis heute rund 1,5 Millionen Leser fanden. Die hinterließen mehr als 15.000 Kommentare, meist ergänzend, erbauend und bildend. PPQ wird, aus Rechtsgründen als US-amerikanisches Webangebot für Auslandsdeutsche in Indonesien, Nepal und Bratislava gestartet, zumeist in Deutschland gelesen - zwar gibt es darüber nur fragmentarische Statistiken, doch rund eine Million Leser stammte aus dem Stammland der deutschen Sozialdemokratie. Etwa 200.000 verliefen sich aber auch in einer Vorwegnahme des Paares Merkozy aus Frankreich hierher, fast 100.000 lasen aus den USA mit, Österreicher, schweizer und Norweger stellten weitere 100.000 Leser. China hatte PPQ zwar recht schnell entdeckt und gesperrt, doch auch von hier kamen 5.000 Bürgerrechtler auf der Suche nach der Tageswahrheit.
Die Achse Berlin-Paris steht, hier im Internet steht sie. Doch der Versuch, eine kleine Taschenlampe der Erkenntnis in den großen, dunklen Tunnel der allgegenwärtigen Verdummung zu richten, muss dennoch als gescheitert angesehen werden.
Weder ist es bis heute gelungen, den ADAC-Fährentest zu verhindern, noch konnte kein adäquater Ersatz für Kurt Beck gefunden werden noch gibt es Zweifel an Angela Merkels Kanzlerschaft. Gemeinsam mit vielen ehrlichen Menschen in ganz Europa gelang es auch PPQ, Griechenland und damit den Euro und damit Europa zu retten. Das liberale Webportal freiheit.org zeichnete PPQ für den Mauerbau aus. Franz Müntefering wechselte in den Ruhestand, Noka nach Rumänien, Kurt Beck, dem Mecki-Igel der Arbeiterbewegung, gelang es, von einer parteieigenen Konterrevolution gestürzt zu werden, ehe er über seine eigenen Füße fiel.
Auch ein Erfolg, aber beileibe nicht der imposanteste. Richtig Wellen machten PPQ-Autoren immer, wenn sie versuchten, das Niveau der gebotenen Inhalte nach unten abzustecken. Leser, die sich hierher verirren, benutzen zumeist den Firefox-Browser, weniger oft den Internet Explorer, seltener Googles Chrome und nur sehr selten Safari und Opera. Am häufigsten auf der Suche aber sind sie nach Heidi Klum nackt, Paris Hilton im Volksgefängnis und einem enigmatischen Text zum deutschlandweiten Badehosenverbot aus dem Jahre 2009. Knapp dahinter liegen der formidable Verschwörungsentwurf "Hades-Plan" zur deutschen Eroberung der Europaherrschaft
Gut so, "wenn schnöde Fleischeslust über intellektuelles Gegacker siegt, wenn nackte Tatsachen mehr zählen als tausend Rußfilterreden von gescheiterten Popbeauftragten, angehenden Ex-Kanzlerkandidaten, Knutbären und linkisch auswärtsschlafenden Verbraucherschutzministern", hieß es zum vorjährigen 4. PPQ-Geburtstag, der das große Abenteuer Alltagsangst mit einem epischen Hymnus auf Abgeltungssteuern, libysche Freiheitskämpfer, Google Street View und den seinerzeit größten Popstar des Planeten feierte, der - die Älteren erinnern sich - für etwa fünf Minuten "Lady Gaga" hieß.
Den Menschen, die hier mitbuchstabieren, geht es um Drogen, um Kriminalität, um geheime Doppelgänger und Keramikfliesen, um alte Männer und neue Skandale, um Politikererfahrungen mit selbstgetopften Eigen-Exkrementen, es geht um Börsenkurse und käufliche Liebe, um Milliardenverschwendung durch die Bundesbank, um den tiefen Blick eines Experten namens Dr. Dieter Wiefelspütz in die tiefsten Tiefen des Internet und natürlich um unterklassigen Vereinsfußball, der ohne Fernsehoperette auskommt. Verbrechen, das zeigen die Statistiken stabil an, lohnt sich doch: Das ist Deutschland von innen, ein Land auf der Suche nach "Neppern, Schleppern und Bauernfängern" (ARD) nach Grundeinkommen und Entblößungsbereitschaft, schamlos in der Nahaufnahme und getrieben abwechselnd von der Furcht vor Stasi, Steuerbehörde und "Spekulanten" (Müntefering).
Nichts ändert sich wirklich, der nächste Weltuntergang ist immer der schlimmste, der vor von Jahren eingerichtete Endzeit-Ticker zeigt inzwischen nur noch drei Jahre Restlaufzeit. Die Zeichen mehren sich, dass es so kommen könnte. Denn während die zusehends bewusstlosen Leitmedien in diesem Jahr darüber klagen, dass jeder Deutsche statistisch gesehen jährlich 82 Kilogramm Lebensmittel wegwirft, ohne zu erwähnen, dass sie im vergangenen Jahr noch klagten, dass jeder Deutsche etwa 150 Kilogramm im Jahr ungegessen vernichtet, quillt der süße Brei der Besinnungslosigkeit längst auch abseits von Tunnel-, Raststätten- und Fährentest. Der Bürger will es so, Wulff weg und doch war der ein guter Mann, Merkel soll führen, aber am besten in 82 Millionen verschiedene Richtungen.
PPQ-Leser haben sich daran gewöhnt, alle anderen suchen hier meist Dinge, die es gar nicht gibt. Eine Zeitlang ganz vorn in der Trefferliste, die Unbedarfte auf unser kleines Webangebot lockte, war der Begriff "jouporn.com". Auch nach einem "pahris hilton viedeo" wurde häufig gesucht. Zuletzt ging es oft um "Duschen Altersheim", "Ritzen Oberschenkel", "Menschenfleisch" und "Gerd Scrobel schwul". Obwohl der Mann "Gert" heißt und nicht wie der Gas-Kanzler. Und Scobel ohne r.
Eine Übung in Vergeblichkeit, wie auch der Blick auf Dax und Dow zeigt. In fünf Jahren ist der erstere um ganze 569 Punkte gestiegen, ganze 0,3 Punkte am Tag. Der Dow brachte es auf ganze 500 Punkte plus, prozentual gesehen sogar nur halb so viel. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter, die Deutschen sind so reich wie nie, sie telefonieren mit Handys, die so viel kosten wie vor fünf Jahren ihre Computer und klagen, dass es so nicht weitergehen kann. Apple ist die wertvollste Firma der Welt, Gaddafi nicht mehr im Amt. Syrien muss noch befreit werden und wir fahren zum Grand Prix nach Baku. Der Klimawandel ist kein Thema mehr, aber alle Rettungspakete sind verabschiedet. Benzin kostet 1,69 Euro, ein Viertel mehr als vor fünf Jahren. Inflationsgefahren sind selbstverständlich weiter nicht in Sicht. Der junge Mann im Video oben singt ganz zum Schluss: "Your first sin was a lie you told yourself".
Auf die nächsten fünf.
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