Fuminori Nakamura: Der Dieb

Fuminori Nakamura: Der Dieb

Fuminori Nakamura - in Deutschland noch fast unbekannt, wird der junge japanische Autor in seiner Heimat schon lange als neuer Haruki Murakami gehandelt. Dort hat er bereits mehrere Romane veröffentlicht und wurde mit allen wichtigen Literaturpreisen des Lands der aufgehenden Sonne ausgezeichnet. Auch in den USA ist Fuminori Nakamura - übrigens ein Pseudonym - auf gutem Wege eine kleine Berühmtheit zu werden. Für den deutschsprachigen Raum hat 2015 der Diogenes Verlag einen Roman des „Tokioter Wunderkinds" übersetzen lassen. „Der Dieb" erschien in Japan bereits 2009, erhielt 2010 den Kenzaburo Oe Prize und auch das Wall Street Journal zeichnete das Buch als einen der 10 besten Romane des Jahres 2012 aus.

Als Thriller oder auch als Krimi wird das Buch betitelt, was in gewisser Weise auch stimmt, wenn man sich auf das Metier des Protagonisten konzentriert. Aber es steckt noch viel mehr in diesem dünnen Büchlein. Es ist ein psychologischer Roman, der Einblicke in das Innerste und die düsteren Ecken seines Protagonisten preisgibt und uns Leser dabei mit in die Tiefe zieht.

Zunächst wirkt alles noch wie ein großer Spaß. Der Dieb, dessen Name nur ein einziges Mal in der Geschichte fällt, streunt durch die Bahnhöfe Tokios. Immer auf der Suche nach dem nächsten großen Fang. Denn er bestiehlt nicht jeden. Nein, er einen Ehrenkodex, ein neumodischer Robin Hood in Tokio. Er bestiehlt nur Reiche, durchforstet ihre Brieftaschen und versucht sich vorzustellen, was sie für Menschen sind und was für Geheimnisse sie haben.Wenn er fertig ist, steckt er die Geldbörsen in den nächsten Briefkasten, damit seine Opfer sie wieder zurück bekommen.

Doch dann merkt man schnell, dass Diebstahl mehr für ihn ist, als nur ein Spiel. Natürlich ist ein Abenteuer, aber auch wie eine Droge für den Dieb. Er kann gar nicht anders, merkt so manches mal gar nicht, dass er schon wieder etwas in die Taschen gesteckt hat und findet erst später Gegenstände dort, von denen er nicht weiß, wann und wo er sie an sich genommen hat.

„Ein Schauer durchfuhr mich von den Fingerspitzen bis zur Schulter, angenehme Wärme breitete sich in meinem Körper aus. [...] Das elektrisierende Gefühl beim Berühren des verbotenen Objekts, die Benommenheit nach dem Eindringen in die Privatsphäre einer fremden Person waren immer noch da."

Ein einsames Leben ist dem Dieb dabei vorgegeben, denn was er macht ist illegal, er darf nicht auffallen, muss wie Luft sein, in der Umgebung verschwinden. Doch dann ist da plötzlich dieser Junge. Der Dieb beobachtet ihn beim Stehlen, hilft ihm, damit er nicht erwischt wird und schwankt, ob er den Jungen nicht unter seine Fittiche nehmen soll. Denn dessen Mutter, eine Prostituierte, die nicht von ihrem Zuhälter loskommt und den Jungen zum Klauen schickt, scheint auch keine große Hilfe für den Kleinen zu sein. Schon haben wir ein deprimierendes Potpourri an Charakteren vom Rande der Gesellschaft, die voller Hoffnungslosigkeit ein Schattendasein führen, immer auf der Hut, nicht ertappt zu werden. Und so verkehrt sich der anfängliche Spaß und das Abenteuer schnell in harte, kalte Realität. Durch den Jungen wird dem Dieb ein Spiegel vorgehalten. Er steht noch an einer wichtigen Weiche seines Lebens, kann noch auf den richtigen Weg gehen. Für den Dieb ist bereits alles zu spät. Auch er hatte als Kind schon den Drang zu stehlen. Spätestens seit er sich vor einigen Jahren mit der japanischen Mafia eingelassen hatte, steckte er zu tief drin. Er musste einen Einbruch begehen, der Jahre für Aufsehen sorgte. Jetzt steht der Mafiaboss wieder vor seiner Tür. Der Dieb soll drei fast unmögliche Aufgaben für ihn erledigen - oder er stirbt!

Und dann ist da ein Turm, der über allem zu trohnen scheint. Schon in seiner Kindheit sieht der Dieb ihn hinter seinem Viertel stehen. Bedrückend, verschwommen, aufregend, über allem stehend. Wie ein Damokles Schwert schwebt er über dem Dieb und seinem Schicksal. Ein Symbol des Scheiterns, für die Hoffnungslosigkeit, nie aus der Tiefe herauszufinden, den Weg nach oben nie zu entdecken und ein babylonisches Zeichen für seine Sünden. Hier merkt man auch den Einfluss von Nakamuras Vorbild Kafka, wie es auch schon viele Kritiker geschrieben haben. Das Labyrinth in dem er sich verfangen hat, scheint den Dieb zu erdrücken, bis zu einem düsteren finale. Ob er wirklich einen Ausweg finden wird - das darf der Leser selbst entscheiden.

Jedes Wort sitzt bei diesem knackig-kompakten Roman. Hier wird nicht lang gefackelt. Sondern der Leser wird sofort mit an den Abgrund der Gesellschaft und in die Unterwelt Tokios herabgezogen. So schnell wie der Dieb die Portemonnaies einsteckt, hat auch Nakamura mich mit seiner Geschichte in die Tasche gesteckt. Ich kann nur hoffen, dass der Diogenes noch weitere Romane von Nakamura übersetzen lässt! Ich möchte auf jeden Fall mehr!


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