Abscheulich ist die erste Hälfte auf Parris Island, langweilig die zweite in Vietnam: "Full Metal Jacket" ist nicht weniger als eine tolldreiste Zuschauer- wie Soldatenkonditionierung. Genauso wie der Soldat sein gesellschaftliches Rundherum emotional reflektiert und bisweilen sein ungeschminktes Seelenleben einzusperren versucht, bewertet der Zuschauer gemäß der Situation die Teilabschnitte des Films, infolgedessen er mit dem Soldat Seite an Seite, Schulter an Schulter durch den Dreck robbt. Vielleicht liegt darin das Geheimnis eines Antikriegsfilms, der gängigen Antikriegsfilmen den Krieg erklärt. 30 Jahre sind vergangen seit "Wege zum Ruhm", 23 seit "Dr. Seltsam, oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben", und Kubricks Einstellung zum Krieg, der sich erst durch die im Hintergrund umhergeisternden Mächtigen außer Kontrolle zur unbezähmbaren Beste bläht, hat sich nicht wesentlich verändert, eher radikalisiert, zugespitzt, ganz entscheidend. In einer Welt voller Scheiße findet man nur Erlösung mit der einzig errettenden Konstante, dem suizidalen Kopfschuss. Das mitleidsvolle Ermorden einer feindlichen, betenden Scharfschützin am Boden malt den Exzess des Krieges in allen dunklen Farben aus. Und das Sterben des besten Freundes im Matsch vor den schlachthofähnlichen Überresten eines brennenden Trümmerhaufens namens Kultur den der monströsen Nachwirkungen bis in die entlegensten Synapsen des Geistes. "Full Metal Jacket" behandelt über die gesamte Spielfilmlaufzeit hinweg, besonders aber zu Beginn, das Abtöten des kümmerlichen Körpers mit sexualisierter Erniedrigung, die erzwungene und doch gewollte Verwandlung in eine perfekte Maschine, was an und für sich bereits mit dem Haareschneiden beginnt. Vom Organischen zum Technisierten, von der "amphibischen Urscheiße" zum "Mann" in verschiedenen Stadien, bis der Wille gebrochen, der Appetit auf Leichen und das Verlangen nach Action alteingesessen ist.
Der Soldat mutiert fernab aller ideologischen Motive (groteskerweise will er lediglich töten) zur Killermaschine, außerstande dem Zweifel nachzugeben. Die von Menschenhand gelenkte Maschine stellt sich wiederum über den Soldaten, über seine Triebe, über den jämmerlichen Rest Menschlichkeit. Um seine eigene Kontrolle wiederzuerlangen, muss der Gepeinigte über sich hinaus wachsen. Kubrick lässt die folgenschwere Konfrontation im Toilettenraum kulminieren, in dem die Maschine und deren Schöpfer in Unterhosen aufeinanderprallen und sich gegenseitig zerstören. "2001" im Kriegslabor, nur sarkastischer. Wenn's danach Richtung Vietnam geht, ist die Erwartung groß, aber das Resultat dürftig. Für den Zuschauer, für den Soldaten. Kubrick rahmt eine poppige Version mit selbstreflexiver Medienkritik, lässigen Musikstücken und bissigen Gegensätzen der "Dualität des Menschen". Das Kriegsgeschehen selbst kommt währenddessen nie aus dem Knick, man will rein in die Scheiße, aber schwimmt doch stets neben ihr, auch wenn man nicht weiß, aus was diese Schieße besteht und warum sie abgesondert wurde. Der absurden Philosophie des Militärapparates begegnet Kubrick zunächst mit dem gleichen absurden Galgenhumor, um sie der Lächerlichkeit preis zu geben, ehe die bitterböse Schlusssequenz den Kreislauf von Parris Island schließt. Eine neue Kampfmaschine wird gezüchtet (der introvertierte Rafterman), auch wenn die Scheiße mit zittrigen Händen am Abzug trotzdem schwerer zu ertragen ist als angenommen. Das Friedensabzeichen des Jokers (Matthew Modine) hängt von da an schief an seiner Uniform, als ob Frieden mitten im Krieg schon immer eine schiefe Wunschvorstellung wäre. Die Scheiße beginnt von vorn. Man kann ihr zeitweilig ausweichen, in dem man sich in den Schutzpanzer zwängt, dem Schutzpanzer Zynismus: "Paint it Black".
7.5 | 10