Von Inge M. Thürkauf
Mit den Atomkraftwerken verhält es sich ähnlich wie mit der Büchse der verführerischen Pandora, von der die griechische Mythologie erzählt und die im Haus des Epimetheus stand. Diese Büchse zu öffnen war den Menschen verboten, weil alle Übel der Welt darin enthalten waren. Doch das „Wissen-Wollen“ der Neugierigen war stärker, sie brachen das Siegel und Jammer und Elend kamen über die Erde.
„Wie im Hause des Epimetheus steht in einem Atomkraftwerk eine Büchse: das Reaktorgefäß, dessen Inhalt weit gefährlicher ist als die Übel der Pandora: die radioaktiven Spaltprodukte. Sie entstehen als zum größten Teil unerwünschte Nebenprodukte bei der Kernspaltung des Urans zur Gewinnung von Atomenergie. Solange die Büchse geschlossen bleibt, ist alles in Ordnung. Wie jede Büchse kann aber auch ein Reaktorgefäß geöffnet werden. Auf verschiedene Weisen. Die Erfahrung zeigt, daß auch die modernste Technik etwas nicht kennt: absolut dichte Gefäße. Atomkraftwerke sind die Spitze einer Entwicklung, gewissermaßen die Spitze eines Eisbergs, der aus dem Meer der technologischen Maßlosigkeiten unserer Zeit herausragt. In den Reaktoren der Atomkraftwerke erzeugen die Menschen „etwas Neues unter der Sonne“: gewaltige Mengen von künstlicher Radioaktivität. Bei Normalbetrieb gelangt Radioaktivität in „gesetzlich zugelassenen Mengen“ in die Umwelt. Bei einem (gesetzlich nicht zugelassenen) Unfall können weite Landstriche unbewohnbar werden.“
Am 11. März 2011 ereigneten sich in Japan in einigen Kernkraftwerken, gesetzlich nicht zugelassene Unfälle, hervorgerufen durch ein Erdbeben, das auf der Richterskala mit 8,9 gemessen wurde. Der darauf folgende Tsunami überspülte die Nordost-Küste des Landes und vernichtete Dörfer und Siedlungen. Über 20 000 Menschen haben ihr Leben verloren, wurden ins Meer gespült oder unter den Trümmern der einstürzenden Häuser begraben. Fast 400 000 Bewohner verloren ihr Hab und Gut. Zusammen mit dem schweren Erdbeben löste der Tsunami Störungen in den AKWs aus, wobei der Reaktor in Fukushima am Schwersten betroffen wurde. Heftige Explosionen zerstörten Teile des Reaktors, Tausende Tonnen radioaktives Wasser gelangten ins Meer, Radioaktivität in die Umgebung. Freiwillige Arbeiter versuchen vor Ort die nukleare Katastrophe einzudämmen. Doch Radioaktivität ist ein unlöschbares Feuer.
Seit diesem Desaster von Fukushima erinnert man sich wieder an den Super-Gau von Tschernobyl in der Ukraine vor fast 25 Jahren. Damals wie heute erhielt die Anti-Atomkraft-Bewegung in der Folge enormen Aufwind. Kernenergie, so war von den diversen Gruppen der Atomkraftgegner zu hören, soll nur als Übergangsenergie zu betrachten sein. Damals wie heute verlangen große Teile der Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomenergie, eine Forderung, die damals wie heute nicht eingelöst werden kann, auch nicht von den Linksparteien, die als Anführer der Weltverbesserer vor allem vor den Wahlen sich mit wohlüberlegten Argumenten sorgen um die Zukunft des Menschen und seines Planeten. „Für Politiker sind Atomkraftwerke ein gutes Mittel zur Karriere; mehr als die Umwelt erhitzen sie die Gemüter.“ Und aus Erfahrung wissen sie, daß sie sich auf die Trägheit und Vergeßlichkeit der Massen verlassen können.
Bei einem Ausstieg aus der Atomkraft sei die Versorgung gesichert, versichern die Umweltschützer. Sic! Reicht die Alternativenergie, um die Ansprüche der Angestellten einer Fabrik z. B. zu befriedigen, die hoffen, in absehbarer Zeit befördert zu werden. Solche Beförderungen bedeuten eine Erhöhung des Einkommens und des Ansehens. Der Umsatz einer Fabrik hängt von Maschinen ab; ein größerer Umsatz erfordert mehr, schnellere und größere Maschinen. Auf die Steigerung des Umsatzes könne man nicht verzichten – wegen der Konkurrenz. Maschinen werden mit Elektrizität angetrieben. Woher kommt die Elektrizität für all die Bequemlichkeiten, die in unserer Verschwendungswirtschaft längst zur Selbstverständlichkeit geworden sind? Wo nehmen wir die Elektrizität her für die Maschinen, die uns immer mehr auch aufgedrängt werden, ohne die selbst der Normalbürger vermeint nicht mehr auszukommen. Wer im Grünen wohnt außerhalb einer Stadt braucht ein Auto, vielleicht auch zwei. Fernsehen gehört selbstverständlich zum Standard, und ohne Computer mit allem Zubehör ist Kommunikation kaum mehr möglich. Wer ohne Handy durch die Welt reist, hat in den Augen der meisten Zeitgenossen irgendwie den Anschluß verpasst! Von den ungezählten kleinen und großen technischen Hilfsgeräten in Haus und Garten nicht zu reden. Kein Zweifel, die technische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat die materiellen Ansprüche ins Maßlose getrieben, und wer möchte sie reduzieren oder verzichten. Die Benützung der so bequemen Technik ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber all diese Apparate sind ohne Elektrizität weder herzustellen noch zu betreiben, und auch nicht zu entsorgen.
Vor 40 Jahren wäre ein Ausstieg aus der Atomenergie schrittweise noch möglich gewesen. Da gab es vieles, was uns heute so unentbehrlich erscheint noch nicht. Warner vor einer technischen Expansion gab es genug. Sie wurden im günstigsten Fall belächelt, doch wenn die Ermahnungen allzu konkret formuliert und die Kraftwerkbetreiber mit Szenarien wie Tschernobyl oder Fukushima konfrontiert wurden, konnte es schon vorkommen, dass die Warner aus ihren Positionen geworfen oder sogar körperlich bedroht wurden.
Das, was wir heute als Fortschritt bezeichnen, besteht in einer Perfektionierung der Maschine. Sie hat mit dem Leben nichts gemeinsam. Das Leben ist ein Phänomen jenseits der Maschine. Immer dort, wo die Maschine maßlos angewendet wird, vernichtet sie Leben, und sie wird um des Geschäftes willen maßlos angewendet. Nach wie vor verurteilen wir unsere Nachkommen zu Wächtern unserer Zivilisationsabfälle über Jahrtausende hinweg. Atommüll kann man nicht bewachen, wie man Menschen, Tiere, Häuser oder Straßen bewachen kann. Für die Radioaktivität haben wir keine Sinnesorgane. Um die tödliche Gefahr festzustellen, braucht es eine hochentwickelt Apparatetechnik. Somit verurteilen wir unsre Nachkommen dazu, jahrtausendelang Technokraten zu sein.
Die Wurzel des Übels gründet in einer Wissenschaft, die sich für wertfrei hält. Wertfreiheit der Wissenschaft bedeutet: forschen ohne moralisch-ethische Werte zu beachten, mit andern Worte ohne auf Gottes Gebote zu achten. Es darf alles getan werden, was technisch möglich ist. Doch eine solche Wertfreiheit kann es gar nicht geben, weil die beanspruchte Wertfreiheit selbst ein Wert ist, und zwar der alle Werte entwertende Wert der Wertfreiheit, und dieser Wert ist es – man darf ihn ruhig Gottlosigkeit nennen – , der uns heute bedroht. Bei seinen Abschiedsreden hat der Herr gesagt: „Ohne mich könnte ihr nichts tun“ (Jo 15,5). Er hat nicht gesagt, gewisse Dinge könnt ihr ohne mich nicht tun, sondern „nichts“. Und ausgerechnet bei einer derart folgenschweren Tätigkeit wie der Naturforschung haben wir ohne IHN – wertfrei – getan. Die Folgen sehen wir. Die Spitzen des Eisbergs, mit welchen unser Zivilisationsschiff auf Kollisionskurz steht, hat der bekannte Biochemiker Erwin Chargaff in aller Deutlichkeit genannt: „Mit der wertfreien Wissenschaft haben wir zwei Grenzen überschritten, die wir hätten meiden müssen und beide Male handelt es sich um die Manipulation eines Kerns: des Atomkerns und des Zellkerns.“ Die Frage ist nur, welche Manipulation katastrophalere Folgen hat: die Genmanipulation oder die Kernenergie.
Mein Mann hat in seinen Büchern und Vorträgen eine Technik angemahnt, deren Grundlagen die Gesetze des Lebens berücksichtigt und nicht lediglich die Gesetze von Physik und Chemie. Eine solche Technik widerspricht keinem einzigen Naturgesetz, nur den Börsengesetzen unserer Raubbauwirtschaft. Eine Technik für das Leben würde keine durch Radioaktivität verseuchten Menschen dahinsiechen lassen und unbewohnbar gewordene Gebiete zurücklassen.
Unsere materialistische Lebensweise ist eine Folge mißbrauchter Freiheit, einer Freiheit von Gott statt einer Freiheit für Gott. Gott kann dem Menschen nicht die Freiheit geben und ihn zugleich zwingen, keinen Raubbau an seiner Schöpfung zu betreiben. In unserer materialistisch geprägten Gesellschaft ist wohl die Verfügbarkeit materieller Güter angestiegen, aber parallel damit eine Verarmung an geistigen und seelischen, also kulturellen Werten. Da jedoch die Materie begrenzt ist, wird bald auch eine Verarmung an materiellen Gütern eintreten. „Die Zeit ist nicht mehr fern, wo auch die Reichsten kein gutes Wasser und keine reine Luft mehr haben können- nicht für alles Geld der Welt. Der selbstverständlich gewordene Komfort und das verlängerte Erdenleben der Menschen in den reichen Ländern werden zerrinnen wie die letzten Minuten im Stundenglas des Atomzeitalters.“
Auch wenn die Neu-Atheisten sich voll Entsetzen davon abwenden, daß Naturwissenschaft irgend etwas mit Religion zu tun haben könnte: Die Wissenschaft der Zukunft wird eine Wissenschaft sein, die zuerst Gott sucht, und der dann alles andere dazugegeben wird, die nicht bloß Wissen stapelt, sondern zu Weisheit führt. Eines ist sicher, und dies hat mein Mann auch immer wieder betont: Es wird ein Kreuzweg sein, doch er führt zu dem der ihn vor uns gegangen ist: er führt Christuswärts.
Diese Gedanken sind entnommen aus: Max Thürkauf: „Pandorabüchsen der Wissenschaft – Das Geschäft mit dem Energiehunger“ (vergriffen), „Die Gottesanbeterin“, „Das Fanal von Tschernobal“.