Friedrich Merz lehnt mit Hufeisen in der Hand mehr Transparenz in Bernie Sanders' Zeitungslektüre ab - Vermischtes 15.02.2020

Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

Friedrich Merz lehnt Hufeisen Hand mehr Transparenz Bernie Sanders' Zeitungslektüre Vermischtes 15.02.2020
Man muss nicht nur die aktuellen Umfragen (Infratest 10.2.20, Forsa 7.2.20) aus Thüringen betrachten, die die CDU dort nach ihrer Kumpanei mit der AfD um 9-10 Prozentpunkte auf insgesamt nur noch 12-13 % fallen lassen, um zu erkennen, dass Anbiederei der ganz falsche Weg ist, um Rechtspopulisten zu bekämpfen. Auch 75 % der Befragten in ganz Deutschland lehnen die Wahl des FDP Kandidaten durch AfD, CDU und FDP ab (Forsa). Es ist schon seit Jahren kein Geheimnis mehr, auch wenn es einige JournalistInnen und PolitikerInnen immer noch nicht glauben wollen: Deutschland ist wesentlich moderner, liberaler und unerschrockener als sie es wahrnehmen wollen - oder es vielleicht selbst sind. Ja, Deutschland ist gespalten. Aber nicht 50:50, sondern etwa 80 %:20 %. In 80 % im weitesten Sinne liberale Demokraten und maximal 20 % national-autoritär orientierte Antidemokraten. Das hat sich bei der Bundestagswahl gezeigt und zeigt sich auch in den aktuellen Umfragen. Diese Formel gilt auch für den Osten, wenn auch in einem leicht veränderten Verhältnis von 70:30 (zugunsten der liberalen Demokraten, nur zur Sicherheit nochmal betont). In Thüringen stimmten 71,1 % für CDU, FDP, SPD, Linke und Grüne, in Sachsen 67 % und in Brandenburg 67,8 %. Den höchsten Wert erreichte die AfD mit 27,5 % in Sachsen, auf Bundesebene bei der Wahl 2017 ging sie mit 12,6 % ins Ziel. Die Linke entwickelt sich bereits seit Jahren - wie die Grünen vor ihr - so sehr in der politischen Mitte, dass es keinen Sinn machte, sie herauszurechnen. Schon gar nicht in Thüringen mit Bodo Ramelow an der Spitze, den dort 71 % der Bevölkerung für einen guten Ministerpräsidenten halten und nur 18 % nicht - also weniger, als die AfD Wähler hat (Infratest für den MdR, 10.2.20). (Frank Stauss)

Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust. Ja, auf der anderen Seite sind diese Umfragen sehr hoffnungsvoll stimmend. Auf der anderen Seite aber macht Stauss in meinen Augen den Fehler, Stimmen für eine Partei mit einer grundsätzlich demokratisch-pluralistischen Haltung gleichzusetzen. Hier gibt es einige zu beachtende Unterschiede. Erstens mag das in manchen Bundesländern gehen, aber längst nicht in allen. Die Sachsen-CDU etwa bietet Fans des Autoritarismus und der Fremdenfeindlichkeit eine komfortable Bleibe, viel mehr als etwa die NRW-CDU (genauso wie die Berlin-Grünen dem linksalternativen Milieu attraktiver erscheinen werden als die BaWü-Grünen). Zweitens richten die Wähler ihre politische Orientierung an den Parteien aus. Das bedeutet, dass wenn etwa die CDU sich nach rechts radikalisieren würde, dann würden viele ihrer Wähler diesen Schwenk mitmachen. Wir haben das ja bei den Republicans oder den Tories gesehen. In diesem Falle würde Stauss' Rechnung sehr schnell zusammenbrechen. Aber: die grundsätzliche Argumentation Stauss' hält. Und: Gleiches gilt nach links. Deutschland ist ein strukturkonservatives Land, zum Guten wie zum Schlechten. Es ist kein Zufall, dass gerade in ihrem Geburtsland sozialistische Bewegungen immer große Probleme hatten, Fuß zu fassen.

2) Weniger Steuern - aber Sozialabgaben steigen deutlich

Die durchschnittliche Steuerbelastung war im vergangenen Jahr für alle Einkommensgruppen so gering wie seit 25 Jahren nicht. Das geht aus internen Berechnungen des Bundesfinanzministeriums hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen. Die Daten zeigen, dass der Durchschnittssteuersatz einschließlich des umstrittenen Solidaritäts-Zuschlages seit 1995 für geringe, mittlere und hohe Einkommen gesunken ist. Besonders deutlich haben Arbeitnehmer mit einem sehr hohen zu versteuernden Einkommen von 200 000 Euro jährlich profitiert; ihr durchschnittlicher Steuertarif sank von 50,7 um elf Prozentpunkte auf 39,7 Prozent. Wie aus den Unterlagen des Bundesfinanzministeriums hervorgeht, mussten kinderlose und alleinveranlagte Arbeitnehmer, die 30 000 Euro Jahreseinkommen zu versteuern hatten, im Jahr 1995 darauf einen durchschnittlichen Steuersatz von 25,6 Prozent zahlen. Im vergangenen Jahr waren nur noch 18,6 Prozent fällig. Die durchschnittliche Steuerlast für zu versteuernde Jahreseinkommen von 50 000 Euro und 70 000 Euro sank im gleichen Zeitraum zwischen sechs und sieben Prozentpunkten. [...] Bei den Sozialabgaben sieht es anders aus. In der Krankenversicherung ist die Beitragsbemessungsgrenze von 35 893 Euro (West) im Jahre 1995 auf 54 450 Euro (gesamt) im Jahr 2019 gestiegen; auch der Beitragssatz liegt mit durchschnittlich 7,8 Prozent rund 1,2 Prozentpunkte über dem Satz von 1995. Ähnlich verläuft die Entwicklung in der Pflegeversicherung; höhere Beitragssätze ergeben kombiniert mit höheren Beitragsbemessungsgrenzen deutlich höhere Belastungen für die Arbeitnehmer. (Cerstin Gammelin, Süddeutsche Zeitung)

Diese Entwicklung ist mein grundsätzliches Problem mit den Forderungen nach "umfassenden Steuerreformen", die immer implizit die Forderung sind, die Steuern zu senken. Denn die rot-grünen Steuerreformen waren letztlich Geschenke für die oberen 5%. Wie der Artikel schön zeigt, wurde zwar die Steuerlast vor allem am oberen Ende gesenkt, aber eben gleichzeitig die Belastung durch die Sozialabgaben erhöht. Davon profitieren dank der Beitragsbemessungsgrenzen vor allem die Leute, die sechsstellige Jahresgehälter versteuern (als Single, wohlgemerkt).

Ein Mittagessen in einem kleinen Restaurant im Berliner Westen. Gegenüber ein Hauptstadt­journalist, seit vielen Jahren im Geschäft. Früher, sagt er, habe es sich mit der NZZ in Deutschland so verhalten: "Jeder hat gesagt, dass er sie ganz toll findet. Gelesen hat sie keiner." Heute sei es umgekehrt. "Die Leute lesen tatsächlich, was die NZZ schreibt. Und dann fragen sie sich: Was ist eigentlich mit dieser Zeitung passiert?" Passiert ist vor allem Eric Gujer, seit Frühling 2015 Chefredaktor der NZZ. Und Erfinder der Deutschland-Strategie der Zeitung. Bereits Ende 2015 sprach Gujer, der in Deutschland studiert hatte und dort auch lange Korrespondent der NZZ war, über eine mögliche Expansion seiner Zeitung im Norden. Dort sehe er eine publizistische Lücke für die NZZ, deren "Blattlinie" er gerade "schärfe". Gujer fand, es fehle in Deutschland an einer "Stimme, die so deutlich für die Rechte des Individuums eintritt, wie wir das tun". Welche politische Ausrichtung diese Stimme haben könnte, machte er ebenfalls klar: Er sei der Auffassung, dass die Flüchtlings­politik Angela Merkels Deutschland ins Abseits manövriert habe. [...] Besonders häufig profiliert sich die NZZ in Deutschland mit Artikeln über die "vergiftete Saat der Flüchtlingskrise", Kritik an Merkel ("eine Untote"), Klagen darüber, dass "die sogenannten Bio-Deutschen, also Deutsche ohne Migrations­hintergrund", bald in der Unterzahl sein werden (der Begriff wurde nach einem Shitstorm gelöscht), oder wenn sie, gern mehrmals pro Woche, gegen eine angebliche linke Meinungsdiktatur anschreibt. Das funktioniert. Das Berliner Büro sei heute "das einzige Erfolgs­produkt der NZZ", sagt einer, der die NZZ vor kurzem verlassen hat. Und die "Taz" schreibt, es gebe in Deutschland einen "Hype um die NZZ". (Charlotte Theile, Republic.ch)

Es ist interessant, wie die NZZ eine ohne Zweifel existierende Lücke für rechtsradikale Propaganda erkannt und entschlossen in sie hineingestoßen hat. Es ist effektiv das FOX-News-Modell, nur für Deutschland. Allzu prominent sind sie glücklicherweise damit bisher nicht, aber in der kleinen Blase, in der auch die Werteunion agiert, setzen sie damit den Ton und legitimieren viel Mist mit ihrer verbliebenen Rest-Seriosität. Spannend zu sehen ist, dass diese Wende in der Produktstrategie zu einem krassen Einbruch der Verkaufs- und Abonnentenzahlen in der Schweiz selbst geführt hat. Aber wenn sich die NZZ als die AfD-Zeitung etablieren kann, mag diese Rechnung durchaus aufgehen.

Konservative Parteien und Politiker_innen haben verstanden, dass diese alte Ordnung nicht zu retten ist, und versprechen dementsprechend allerorten etwas Neues. Es kommt nicht einmal darauf an, genau auszuformulieren, wie dieses „Neue" sein soll, Hauptsache, es ist neu und damit besser. [...] Für progressive Kräfte ist es wichtig zu verstehen, dass die Zeit des Ausgleichs und des Kompromisses vorbei ist. Diese Erkenntnis mag man bedauern und diese Entwicklung gefährlich finden, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese konservativen Parteien den Konsens aufgekündigt haben. Sie haben eine Vorstellung einer bestimmten Zukunft. Diese Zukunft ist autoritär in allen Lebenslagen. Von ökonomischen Verhältnissen, die massiv zugunsten der besitzenden Klassen verschoben werden, über ein sanktionierendes Bildungssystem, das Bildungsaufstieg kaum zulässt, bis zu einer abschottenden und Tote zumindest in Kauf nehmenden Asylpolitik. Das passiert nicht heimlich, sondern ist das offene und erklärte Ziel. Dagegen treuherzig mit dem besseren Argument und Fakten an das Gewissen dieser Personen und Parteien appellieren zu wollen, verdrängt auf naive Art und Weise die Realität. Die aktuelle Episode ist nicht bloß ein Ausrutscher der Geschichte, die sich jederzeit auf den Normalzustand zurückdrehen lässt. Der Normalzustand ist nicht mehr. Die neue Normalität ist rechts. (Natascha Strobl, an.schläge)

Völlig absurd an dieser ganzen Entwicklung ist, dass ausgerechnet diejenigen, die sich konservativ nennen (also vorgeblich etwas bewahren wollen), einen möglichst krassen Bruch mit früher suchen, wenngleich sie diesen natürlich mit der Rückkehr zu einer mythischen Vergangenheit zu legitimieren versuchen. Ich sehe aber analog zu Strobl absolut, dass der Mainstream sich in vielen Bereichen deutlich nach rechts verschoben hat. Man muss nur vorsichtig sein, denn es handelt sich um kein umfassendes Phänomen. In manchen Bereichen ist der Mainstream progressiv und macht auch keine Anstalten, damit aufzuhören. Das sehen wir ja in Ländern wie den USA und dem UK auch: die Rechte von Homosexuellen, Frauenrechte, Minderheitenrechte generell sind zwar von rechts unter Beschuss, erweisen sich aber als recht resilient.

Kürzlich las ich von einer Studie über das Ernährungsverhalten der Deutschen. Man könnte das Ergebnis so zusammenfassen: "Immer mehr Deutsche sind übergewichtig, weil sie vermehrt Fastfood und zuckerhaltige Getränke konsumieren." Das ist ein akzeptabler Satz, oder? Man kann ihn inhaltlich doof finden, ihn nicht glauben und in Frage stellen, aber letztlich ist an der wissenschaftlich belegten Aussage nichts auszusetzen. Man könnte aber auch formulieren: "Die Deutschen werden immer fetter, weil sie fressen und saufen wie die Schweine." Dieser Satz sagt im Wesentlichen nichts anderes aus als der erste. Und doch ist er inakzeptabel, weil er beleidigend und herablassend in der Wortwahl ist. Dabei verstößt er gegen kein Gesetz, ich vermute jedenfalls, dass kein Gericht ihn untersagen wird. Aber es ist unanständig, sich so zu äußern. So reden wir nicht miteinander in einer zivilisierten Gesellschaft! Wer es dennoch tut, grenzt sich selbst aus. Ein weiteres Beispiel aus meinem Alltag. Jemand sagt: "Ich habe meine Schwierigkeiten damit, dass sehr viele Muslime mit ultrakonservativen Ansichten kommen und all die Errungenschaften des freien, selbstbestimmten Lebens, nicht nur für Frauen, sondern auch für Homosexuelle, Angehörige anderer Konfessionen und so weiter, rückgängig machen." Das ist eine Meinung, die man selbstverständlich so äußern darf. Klar kann man dieser Meinung widersprechen, sie kritisieren, es gibt für niemanden ein Recht auf Widerspruchsfreiheit. Aber prinzipiell ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man mit so jemandem eine konstruktive, gute Diskussion führen kann. Ein anderer schreibt mir: "Scheiß Muselpack, die gehören ausgerottet, ich erschieße die persönlich, wenn es sein muss!!!!" Das ist keine Meinung, sondern das ist Hass. Mit dieser Person wechsele ich kein einziges Wort, mich interessieren auch nicht ihre "Sorgen und Nöte", und schon gar nicht unterhalte ich mich "auf Augenhöhe" mit ihr. Wenn ich diese Person scharf kritisiere, sozial ausgrenze, ächte, juristisch gegen sie vorgehe, ist noch lange nicht ihre Meinungsfreiheit eingeschränkt; sie erfährt auch keine "Zensur". Sondern sie muss einfach nur Kritik ertragen und Verantwortung für ihre Worte übernehmen. (Hasnain Kazim, SpiegelOnline)

Das ist genau das, warum wir Political Correctness brauchen. Der Gebrauch von unhöflicher oder gar Hass zum Ausdruck bringender Sprache ist eine bewusste Entscheidung derjenigen, die sie nutzen. Niemand verbietet ihnen das zu tun, aber eine zivilisierte Gesellschaft setzt sehr bewusst Grenzen dessen, was innerhalb zivilisierter Gesellschaft sagbar ist. Mit demselben Prozess erklären wir unseren Kindern, wie sie sich in der Gesellschaft zu verhalten haben. Wenn Erwachsene meinen, dass die grundsätzlichen Regeln des Zusammenlebens für sie nicht mehr zu gelten haben, schicken wir sie zwar nicht zur Strafe früher ins Bett; es gibt aber keinen Grund, warum man sie ständig in Talkshows einladen und fragen sollte, warum sie darauf bestehen, sich schlecht zu verhalten.

6) Das Ende des Hufeisens

Maaßen scheint daher mit manchen (beileibe nicht allen!) Teilen von CDU und FDP einen Staat als Form verteidigen zu wollen, der keinen demokratischen Inhalt mehr hat. Darin weiß er sich mit der AfD einig. Deren Staat ist eine etatistische Hülle, die von jedem Bezug auf Menschenrechte als Verfassungsraison gelöst ist. [...] Wenn es im Staat als Organisationsform um dessen menschenrechtlichen, notwendig gleichheitlichen Inhalt geht, kann das auch das einzige gültige Kriterium dafür sein, wer in diesem Staat in Machtpositionen mitspielen soll. Das Tabu, mit Höckes AfD zusammenzuarbeiten, wurde gerade eindrucksvoll bestätigt - durch Volkszorn und dann auch durch Intervention der Kanzlerin und anderer maßgeblicher Akteur*innen. Ganz anders steht es um die Partei DIE LINKE. Sie ist von nun an, sicher entgegen Maaßens Absicht, ein unhinterfragter Bestandteil des deutschen „Verfassungsbogens" - ob sie nun sozialistisch oder linkssozialdemokratisch, antikapitalistisch oder wie auch immer tickt. Die Öffentlichkeit hat sich konsequenterweise mit dieser gleichfreiheitlich orientierten Vereinigung solidarisch gezeigt, wie (wenig) sympathisch sie den einzelnen Bürger*innen dabei auch sein mag. [...] Darin kommt die Abkehr der deutschen Gesellschaft vom imaginierten „Hufeisen"-Modell der gefährlichen linken und rechten „Extremismen" zum Ausdruck (Synthese!). Diese schon lange wissenschaftlich diskreditierte politische Legitimationsideologie - über die Verfassungsschutzbehörden ein essentieller Bestandteil der „Verfassungswirklichkeit" - ist endgültig an ihre verfassungspolitischen Grenzen gestoßen; ihre Akzeptanz ist dahin, nicht zuletzt weil ihre letzten maßgebenden Träger CDU und FDP sich in der Causa Thüringen in dieser Hinsicht durch ihre Präferenz für rechten Extremismus unglaubwürdig gemacht haben. Die „Extremismustheorie" ist gleichsam performativ widerlegt. An ihre Stelle tritt überfälligerweise die Normativität der Verfassung selbst. (Tim Wihl, Verfassungsblog)

Die Hufeisentheorie hat CDU und FDP sehr lange gute politische Dienste geleistet. Die gesamten 2000er und einen Großteil der 2010er Jahre hindurch verhinderte sie effektiv das Erstarken eines geeinten linken Lagers (nicht ohne freundliche Schützenhilfe der LINKEn selbst, muss man hinzufügen). Aber seit die Partei ihre radikalen Ränder überwiegend abgeworfen oder marginalisiert hat, wurde das Hufeisen zur Falle. Und in diese Falle sind beide Parteien in Thüringen sehenden Auges hineingerannt. Wesentlich bedenklicher scheint mir, was der obige Ausschnitt in den ersten Sätzen anreißt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Grundgesetzes fußt auf menschenrechtlich kodifizierten Werten, die, einmal zur Disposition gestellt, diese Ordnung erodieren und zerreiben. Deswegen macht es, wie Wihl hier schreibt, absolut Sinn, Verfassungsmäßigkeit von Parteinamen und Ideologien zu trennen und zu sagen, wer sich im jeweiligen Einzelfall aus diesem Rahmen herausbewegt. Die Verfassung wortwörtlich zu nehmen und den Kontext, ihre Kodifizierung innerhalb der Menschenrechte, nicht mitzudenken, ist ein Sport, den beide Ränder gerne betreiben, wenngleich er sich - dank des bereits vorher angesprochenen bundesrepublikanischen Strukturkonservatismus - naturgemäß häufiger auf der Rechten findet, die schlicht eine größere Bandbreite an möglichen Zitaten hat. Aber Sahra Wagenknecht hat auch eine Weile recht erfolgreich die Linie gefahren, dass die Große Koalition effektiv grundgesetzwidrige Politik mache und sich Ludwig Erhard ( of all people!) als Kronzeugen genommen. Das war zwar als politische Strategie erfolgreich, substanziell aber Quatsch, und legitimierte leider nur all diejenigen, die gerne den Hammer an die demokratische Grundordnung legen wollen. Ein Hans-Georg Maaßen etwa steht mit seiner Werteunion wenigstens mit einem halben Bein außerhalb der grundgesetzlichen Ordnung, wirft sich aber mit umso mehr Verve den Mantel des Schutzes desselben um. Die Geister, die man rief...

7) The Night Socialism Went Mainstream

On the day after Iowa's caucuses, Trump devoted an entire section of his State of the Union address to a warning against the advance of socialism, while Biden spent his final days in New Hampshire cautioning that Sanders's "democratic socialist" label would bring down Democrats running alongside him on November's ballot. Neither attack worked, and to Sanders's supporters, his surge to the top is evidence that socialism as an epithet has lost its sting. "If you look at the history of this country and the left, there have been times when our ideas have been popular and millions of working people have stood up for them," Maria Svart, the national director of the Sanders-backing Democratic Socialists of America, told me. "And I think the time is coming again for us to do that. "The socialist bogeyman idea," she continued, "has been used for decades to prevent people from bringing up alternative ideas, and Bernie winning validates our ideas and demonstrates that people, especially young people, are willing to confront capitalism." The recent evidence for whether Sanders's identity as a democratic socialist would hurt him in a general-election matchup with Trump is mixed. He fared no worse against the president when pollsters identified him as a socialist in a survey conducted by the progressive group Data for Progress. But socialism remained broadly unpopular in a poll released last month by NBC News and The Wall Street Journal: Just 19 percent of respondents said they had a positive view of socialism, compared with 52 percent who held a negative view. That was roughly the inverse of how people in the poll felt about capitalism. (Russel Berman, The Atlantic)

Das Zitieren dieser ganzen Meinungsumfragen ist völlig müßig. All diese Theorien darüber, wie sich das Label des Sozialisten für Bernie Sanders elektoral auswirken wird, sind nicht wirklich getestet. Können sie auch nicht sein, Sanders ist der erste, der das macht, zumindest seit Eugene Debbs. Es mag sein, dass die Republicans in all den Jahren der Propaganda gegen Zentristen wie Obama oder Clinton das Sozialismus-Label völlig ruiniert und die Wählerschaft der Democrats damit immunisiert haben. Es mag aber auch sein, dass die Attacken immer noch wirken wie in den 1980er Jahren und Trump einen triumphalen Wahlsieg bescheren werden. Wahrscheinlich wird das Endergebnis zwischen den Extremen sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es NICHT ein - wie stark auch immer gearteter - Nachteil sein wird. Die Frage ist daher eher, ob Sanders genug andere Qualitäten mitbringt, um diesen Nachteil auszugleichen. Trump gelang es, seine eigenen Nachteile durch Vorteile auszugleichen. Who knows?

But this sort of dysfunction has been particularly evident, and particularly damaging, in Congress, because a legislature's basic function is negotiation-a kind of work very much at odds with an ethic of performance. Congress, like any serious institution, functions by socializing its members to work together. By establishing rules and norms, avenues to recognition and status, and a commitment to the strength and purpose of the institution itself, it gives shape to a type of human being who can be called a member of Congress. For much of our history, newly elected members would be gradually formed into this distinct type over the course of their time in the institution-bringing their individual points of view, priorities, strengths, and weaknesses to the table but using them to fill out the job of the legislator, to pour themselves into it and take its shape. These norms had their downsides, frustrating efforts to reform Congress, and creating some distance between members and the public they represented. But they also yielded great benefits-forming legislators who would play their assigned role in our system and defend the legislature's prerogatives. But when those members look to the institution as a means of displaying themselves rather than letting it form their ambitions into agendas, they do not become socialized to work together. They act like outsiders commenting on Congress, rather than like insiders participating in it. Much of what they say and do, even in private discussions with colleagues, is intended not for their peers but for an outside audience that wants to see a dramatic enactment of culture-war animosities. (Yuval Levin, The Atlantic)

Der Dichter George Saxes bemerkte 1869, dass der Respekt, den man gegenüber Würsten und Gesetzen empfinde, in dem Maße abnehme, wie man ihre Entstehung beobachten könne. Und das ist unzweifelhaft wahr. Es ist nicht so, als wäre die Politik heute korrupter, als sie das früher gewesen wäre, eher im Gegenteil. Die höhere Transparenz hat zu einem Allzeithoch ethischen Verhaltens geführt. Nur, davon kommt in der Bevölkerung nichts an, das Gegenteil ist der Fall. Je mehr Transparenz existiert, desto angewiderter wenden sich die Leute ab. Diese Dynamik hat die Dynamik geschaffen, die sich heute die Rechtspopulisten zunutze machen und auf deren Feld der Bothsidermismus und Whataboutismus blühen. Wenn alles schrecklich ist, wenn jede privat verflogene Bonusmeile der größte Skandal der Nachkriegsgeschichte ist, dann kann man machen, was man will, und einfach sagen "alle sind scheiße". Das ist der größte Zerstörer der Demokratie. Denn wenn letztlich alle Politiker nur Gesocks sind, wenn sie alle lügen und betrügen, warum dann nicht erklärte Lügner und Betrüger wählen? Wenn ohnehin nichts irgendeine Konsequenz, irgendeine Bedeutung hat, warum nicht mal das Glück mit Nazis versuchen?

9) Wohin steuert die grösste Demo­kratie der Welt? Indiens poli­ti­sche Zukunft droht düster zu werden.

Seit Modis Macht­an­tritt auf der natio­nalen Bühne 2014 haben Gewalt­taten gegen Muslime markant zuge­nommen, wie Statis­tiken zeigen. Schlag­zeilen machten insbe­son­dere die selbst ernannten Gau Raks­haks („Kuh-Retter"), welche Muslimen wegen der angeb­li­chen Schlach­tung von Kühen, die in vielen Bundes­staaten Indiens verboten ist, auflau­erten, sie schi­ka­nierten und teil­weise sogar zu Tode prügelten. Die recht­liche Verfol­gung solcher Taten ging nur schlep­pend voran, oft waren lokale Poli­zisten als Mittäter invol­viert. In vielen Fällen sind die Täter, welche meist Verbin­dungen zu natio­na­lis­ti­schen Orga­ni­sa­tionen wie der RSS aufwiesen, noch immer auf freiem Fuss. Die Oppo­si­tion und namhafte Intel­lek­tu­elle kriti­sierten auch hier Modis Schweigen und Taten­lo­sig­keit. Nachdem sich die Ereig­nisse häuften und der Druck auf Modi stieg, sah er sich letzt­end­lich gezwungen, die Taten öffent­lich zu verur­teilen. Doch Modi wäre nicht Modi, wenn er nicht weiterhin verschweigen würde, dass hindu-nationalistische Grup­pie­rungen Indiens Muslime gezielt gewalt­tätig angreifen und diskri­mi­nieren. Statt sich mit den Opfern solcher Gewalt­taten zu soli­da­ri­sieren, wie er es auch 2002 hätte tun sollen, lässt er zu, dass Lokal­re­gie­rungen Minis­te­rien erschaffen, welche sich eigens um das Wohl der Kühe kümmern. Mancher­orts wird mehr für die von Hindus als heilig ange­se­henen Kühe gesorgt als für die eigenen Bürger. [...] Wohin steuert die grösste Demo­kratie der Welt? Die BJP kann bis 2024 mit einer Parla­ments­mehr­heit weiter­re­gieren und es scheint derzeit vieles darauf hinzu­deuten, dass Indien je länger desto mehr in einen Hindu-Staat verwan­delt wird. Noch nie wurde seit der Teilung Britisch-Indiens 1947 die Frage, wer zu Indien gehört und wer nicht, so kontro­vers disku­tiert wie heute. Mit der geplanten Durch­füh­rung eines Natio­nalen Bürger­re­gis­ters (NRC) steht ein weiteres Vorhaben an, welches die Zuge­hö­rig­keits­frage auf den Prüf­stand stellt und musli­mi­sche Bürge­rInnen unter Druck setzt. Die Gesell­schaft scheint poli­tisch so gespalten wie nie zuvor, gesell­schaft­lich und ebenso geogra­phisch. In Zeiten, in denen kein Verlass auf den Rechts­staat ist, die Gewalt gegen Minder­heiten zunimmt und Dissens als anti-national und anti-hindu abge­stem­pelt wird, kann sich nur die Zivil­ge­sell­schaft selbst für den Erhalt eines libe­ralen, plura­lis­ti­schen und säku­laren Indiens einsetzen und gegen eine schlei­chende Safra­ni­sie­rung Indiens stellen. (Don Sebastian, Geschichte der Gegenwart)

Ich habe mangels Detailkenntnissen wenig zum Thema zu kommentieren, außer der reinen Tatsache, dass wir viel zu wenig Augenmerk auf Länder außerhalb der westlichen Hemisphäre legen, gerade, wenn es sich eigentlich um Demokratien handelte. Brasilien und Indien sind die relevantesten Player in diesem Kontext, die wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätten als sie bekommen, aber selbst China ist trotz routinierter Beschwörungen seiner Bedeutung völlig unbekannt. Wenn jemand gute Quellen hat, in denen man regelmäßig auf verständlichem Niveau diese Orte analysiert bekommt, immer her damit.

Der Unionspolitiker Friedrich Merz will die Parteimitglieder nicht an der Bestimmung einer neuen CDU-Spitze beteiligen. "Ich halte davon überhaupt nichts", sagte Merz laut der Nachrichtenagentur dpa auf dem Jahresempfang des Wirtschaftsrats der CDU Sachsen-Anhalt in Magdeburg. "Wir können Mitglieder befragen, aber eine Entscheidung zu treffen, dafür haben wir Gremien." [...] Seine Ablehnung gegenüber einem Mitgliederentscheid begründete er auch mit der von Mitgliedern gewählten Parteispitze bei der SPD: "Schauen Sie auf das Ergebnis der Sozialdemokraten. Ein monatelanger Prozess", sagte Merz. "Und schauen Sie, was dabei herauskommt. Ist das ein gutes Vorbild für die CDU? Ich rate uns dringend davon ab." Neben Mitgliederbefragungen warnte Merz auch vor anderen Formen der direkten Demokratie. "Sie können in Großbritannien sehen, was aus Volksbefragungen und der Laune des Augenblicks heraus wird", sagte Merz mit Blick auf den Brexit. Im britischen Unterhaus habe es niemals eine Mehrheit für den Austritt der Briten gegeben. Merz betonte mit Blick auf die Kandidatensuche: "Ich möchte, dass wir das in einer anständigen Form untereinander austragen. Und ich werde dazu beitragen, dass diese anständige Form gewahrt wird. (dpa, SpiegelOnline)

11) The Sanders Doctrine

But in what should be a chastening lesson for the Sanders campaign, the president has struggled to implement his vision. He's announced plans to withdraw forces from Syria and Afghanistan-only to reverse course amid an outcry in Washington, dispatch thousands more soldiers to the Middle East, and nearly engage in all-out war with Iran. His demands that South Korea, Japan, and European nations vastly increase their financial contributions to their U.S. military alliances have run into stiff resistance from those partners and Congress, though they have spurred NATO members to up their defense spending by billions of dollars. "Even with how disruptive Trump has been, he's mostly been able to freak out people and make them question U.S. commitments and U.S. resolve," Nexon, who informally advised the Sanders campaign in 2016, said. "But how much has he changed on the ground?" One thing that has changed is that allies are already hedging against the erosion of U.S. military alliances, whether it's Japan acquiring new military capabilities or European nations discussing new forms of shared nuclear deterrence. Some U.S. allies may welcome a Sanders administration over the chaos of the Trump years. "I think [Sanders] can come up with a more coherent, credible, and predictable U.S. foreign policy, albeit inward-looking," one official with a U.S.-allied government, who spoke on condition of anonymity to candidly discuss the 2020 election, told me. "What we need from the U.S. is coherence and credibility." Other allies, particularly those whose relationships with Trump have not been rocky, will feel differently. "When Trump keeps asking, 'Why do we defend Europe?' he has a point," Araud observed. What's in question now for future American presidents is the very "definition of the American national interest." That questioning, in truth, started well before Trump. Araud recalled that when the Europeans were pressing the Obama administration to intervene in Libya back in 2011, he received a call from Susan Rice when they were representing France and the United States, respectively, at the United Nations. "You are not going to bring us into your shitty war," he remembers Rice telling him. But eventually, Obama caved. Trump and Sanders seem determined to not do the same. (Uri Friedman, The Atlantic)

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